Start für Clearingstelle Multimedia: Kontroverse um Urheberrecht
Bildjournalisten, Fotogafen und natürlich auch anderen Urhebern droht im Zeitalter von Internet, Online-Zeitungen und CD-ROM der Verlust eines wesentlichen Teils ihrer Existenzgrundlage. Sekundenschnelle weltweite Verfügbarkeit, unbegrenzte Reproduzierbarkeit, vor allem aber der Druck der Medienkonzerne und Multimediaproduzenten nagen am Schutz ihrer Urheberrechte. Welche Probleme, welche Gegenstrategien gibt es?
Nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist eigentlich alles klar. Niemand darf ohne Genehmigung des Urhebers ein Werk abdrucken, senden, ausstellen, aufführen oder verändern. Von diesem Schutz leben freie Fotografen, denn sie verdienen ihren Lebensunterhalt nicht nur damit, daß sie im Rahmen eines Auftrages für eine Zeitung oder eine Zeitschrift tätig werden, sondern auch durch die Mehrfachverwertung ihrer archivierten Fotos.
Doch das Bildarchiv als „Altersversorgung“ – so wird es unter Fotografen oft bezeichnet – ist in Gefahr. Nur ein Problem am Rande sind Internet-Freaks, die veröffentlichte Fotos einscannen und ins Netz bringen – eine Frage der Reproduktionsqualität. Von solchen Praktiken sind die Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft stärker betroffen, da ihre Texte problemlos heruntergeladen, kopiert und verändert werden können. Beide Berufszweige gleichermaßen werden überzogen mit der Total-Buy-Out-Offensive der Verlage und Medienkonzerne. Immer öfter werden sie genötigt, vertraglich alle Nutzungsrechte für alle (digitalen) Medien an den Auftraggeber abzutreten (siehe „M“ 3/96). Erst jüngst hat sich der WAZ-Konzern mit diesem Ansinnen an seine freien Bildberichterstatter gewandt.
Rechtliche Auseinandersetzungen
Auch wer solche Knebelverträge bisher abwehren konnte, ist nicht vor den Urheberrechts-Piraten in den Verlagsoberetagen sicher. Gerade hat die Fotografen-Vereinigung FreeLens gegen das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Klage eingereicht, um in einem Musterprozeß für 79 ihrer 700 Mitglieder die Honorierung für die weder genehmigte noch finanziell vergütete Veröffentlichung von Fotos auf Jahrgang-CD-ROM zu erstreiten. Denn bis 1993 gingen die geistigen Schöpfer leer aus. Nachdem der Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA) energisch auf die Verletzung der Urheberrechte hingewiesen hatte, erwirbt der Verlag erst seit 1994 von den Fotografen das Recht für die digitale Zweitverwertung und zahlt dafür im Schnitt 20 Prozent Honoraraufschlag. Wenn die „Massenklage“ Erfolg hat, werden auf den Hamburger Verlag Honorarnachforderungen in Höhe von – so schätzt FreeLens – mehr als zwei Millionen Mark zukommen.
Nicht genug, wenn man es aufs einzele Foto berechnet, findet man in der Rechtsabteilung der IG Medien, in der urheberrechtliche Auseinandersetzungen um ungenehmigte und unhonorierte Zweitverwertung von Werken auf CD-ROM mittlerweile zum Alltagsgeschäft gehören. „Einen Prozeß gegen ,Focus‘ haben wir erst kürzlich gewonnen, sind aber wegen der zu geringen Schadensersatzhöhe in Berufung gegangen“, berichtet Gewerkschaftsjuristin Erna Kronthaler. Die FreeLens-Klage sieht sie wegen der geringen Höhe des geforderten Schadensersatzes (20 Mark pro Foto + 50% Zuschlag wegen Verletzung des Urheberrechts) mit gemischten Gefühlen.
Honorarempfehlungen
In der Tat gibt es keine allgemeingültigen Honorarmaßstäbe für die Zweitverwertung auf CD-ROM oder in Online-Diensten. Mit dem Magazin „Focus“ hatte der BVPA für 1996 einen Zuschlag von 10 Prozent für die CD- und 20 Prozent für die Online-Nutzung vereinbart. Diese Sätze nennt auch die Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM) in ihren Bildhonorar-Empfehlungen 1997. Sie scheinen sich langsam – sofern die digitale Verwertung vergütet wird – durchzusetzen.
Erstmals hat die MFM in ihren diesjährigen Empfehlungen zusätzlich einen Honorarspiegel für die Einblendung von Fotos in Online-Diensten veröffentlicht, unterteilt nach redaktioneller Nutzung und Werbung, nationaler und internationaler Verbreitung sowie abgestuft nach Bildgröße und Zeitdauer des Nutzungsrechts. Das Honorarniveau bewegt sich zwischen 100 Mark für die nationale Wochennutzung eines Kleinbildes bis zu 3130 Mark für die internationale Jahresnutzung eines größeren Fotos in Online-Werbung plus Zuschläge für Einblendungen auf der Homepage oder im Hauptmenue.
Reproduzierbarkeit, Kennzeichnung, Glaubwürdigkeit
Ein weiteres Problem bei der digitalen Verwertung von Fotos ist ihre beliebige Reproduzierbarkeit. Schon bei der Focus-Vereinbarung wurde deshalb festgelegt, daß Fotos nur in einer Pixelauflösung digital publiziert werden sollen, die unterhalb der drucktechnischen Wiederverwendbarkeit liegt. Doch auch lizenzierte Verwerter schrecken nicht vor un-genehmigter Mehrfachnutzung von Digitalbildern zurück, zumal Bildbearbeitungssoftwareprogramme eine nicht mehr zu erkennende Veränderung und die Komposition mehrerer Bilder zu einem neuen bequem ermöglichen.
Als Schutz der Urheber dagegen werden sich schon bald – für den Betrachter unsichtbare – Identifikationscodes durchgesetzt haben, die unlösch- und veränderbar in die digitale Struktur der Fotos verwoben werden. Dadurch wird eine nichtgenehmigte Verwertung zumindest beweisbar. Mit der Manipulierbarkeit digitaler Fotos büßen diese aber auch ihren Dokumentationscharakter ein. Was in der Werbung gang und gäbe ist, entwertet bildjournalistische Fotografien. Wer nicht mehr glauben kann, was er auf dem Zeitschriftenfoto sieht, verliert unweigerlich auch das letzte Vertrauen in eine wahrheitsgemäße Berichterstattung der Medien. Die Fotografen in der IG Medien haben deshalb schon vor langem die Forderung aufgestellt, daß solche Fotos mit dem Vermerk „Montage“ zu kennzeichnen sind.
Es überrascht nicht, daß die Medienkonzerne und ihre Interessenvertreter die Chance zum Riesenprofit für sich nutzen und den großen Kuchen Multimedia mit niemanden teilen wollen. Ihr Vorgehen bei der Markteroberung reicht dabei von den genannten Beispielen des offenen Urheberrechtbruches über die Erpressung zu Total-Buy-Out-Verträgen bis hin zu Vorstößen, das gesamte europäische Urheberrechtssystem zu kippen. Erst im August 1996 hat die Europäische Organisation der Zeitungsverleger die Europäische Kommission aufgefordert, das in 13 Mitgliedsstaaten bewährte System abzuschaffen zugunsten des angloamerikanischen Copyrights, das den Auftraggeber bei der Weiterverwertung gegenüber dem Urheber begünstigt (siehe dazu die IG-Medien-Meinung, Seite 14).
Wenn Bill Gates ein Bildarchiv nach dem anderen aufkauft, Software-Häuser wie Adobe den Markt mit „tantiemefreien“ Foto-CD-ROM überschwemmen oder Reiseführer-Verlage dazu übergehen, ganze Länder-Fotostrecken von willfährigen „Knipsern“ für die CD-Verwertung nachschießen zu lassen, sind das Realität gewordene Horrorvisionen. Doch gehen von den digitalen Medien natürlich nicht nur Gefahren für die Urheber aus. Wenn sie, ihre Verbände und die Verwertungsgesellschaften es schaffen, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen, bieten sich lukrative neue Märkte und Verdienstmöglichkeiten.
Die Forderung der Multimedia-Industrie nach einer zentralen Institution (One-Stop-Shop) zu schnellen und unkomplizierten Recherche und Lizenzierung von Rechten für CD-ROM und Online-Angebote ist zwar einerseits der große Knüppel, mit dem Druck auf die Regierungen ausgeübt wird, um möglichst den Urheberschutz in digitalen Medien ganz über Bord zu werfen. Andererseits ist Schnelligkeit bei Multimedia ein wichtiges Kriterium und die Nöte des vielfach angeführten Lexikon-CD-Produzenten, der Tausende von Einzelrechten erwerben muß, sind durchaus nachvollziehbar.
Clearingstelle Multimedia …
Die neun deutschen Verwertungsgesellschaften haben auf diese Anforderung reagiert. Gemeinsam haben sie im November 1996 die Clearingstelle Multimedia der Verwertungsgesellschaften (CMMV) gegründet. Sie soll die zentrale deutsche Anlaufstelle – angesiedelt bei der GEMA – sein, an die sich Multimediaproduzenten über das Internet wenden können, um innerhalb eines Tages Auskunft zu erhalten, wer die Rechte an einem Werk (Foto, Musikstück etc.) hat. Derzeit werden die Softwareprogramme zur Übermittlung der Anfragen zwischen der CMMV und den jeweiligen Verwertungsgesellschaften entwickelt. Gerhard Pfennig, Geschäftsführender Vorstand der VG Bild-Kunst: „Wir gehen davon aus, daß es ab Juni einsetzbar ist.“
… aber keine Lizenzvergabe
Der von der Multimedia-Industrie geforderte One-Stop-Shop ist die CMMV damit allerdings nicht, weil Verwertungsrechte – mit Ausnahme der GEMA für Musik und der VG Bild-Kunst für die bildenden Künstler – nicht vergeben werden können. Genau der Punkt der Lizenzvergabe hat bereits im Vorfeld zu heftigen Kontroversen geführt. Interessenvertretungsverbände von Foto-Urhebern wie FreeLens und des Bundesverbandes der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA) stehen der CMMV distanziert oder ablehnend gegenüber. Sie fürchten, daß die Fotografen und ihre Agenturen die Verwertungsrechte im Multimedia-Bereich an die CMMV verlieren. „Auf der einen Seite stehen die Verwerter, die sagen, ihr müßt dafür sorgen, daß wir die Rechte kriegen und möglichst zum Einheitstarif, und auf der anderen Seite stehen die Rechtsinhaber, die sagen, unsere Rechte müssen gewahrt bleiben und wer etwas haben will, soll zu uns persönlich kommen“, beschreibt Gerhard Pfennig das Dilemma. Er hält die CMMV für dringend notwendig. „Wenn wir dieses Angebot nicht gemacht hätten, dann hätten sich noch schneller Strukturen entwickelt, mit denen auch nicht mehr die Fotografen von FreeLens die Rechteverwahrer wären, sondern die großen Verlagskonzerne.“
Aus diesem Grund hat sich auch die IG Medien für die Einrichtung der CMMV eingesetzt. Keine abschließende Position gibt es zu der Frage, ob künftig auch weitere Rechte an diese Institution übertragen werden sollen. „Sinnvoll ist es allemal, die Wahrnehmung von Rechten, die sich der Kontrolle durch Urheber entziehen, den Verwertungsgesellschaften zu überlassen. Online-Dienste dürften zu einem erheblichen Teil in diese Kategorie von Nutzungen gehören“, sagt Wolfgang Schimmel, Mitglied der IG-Medien-Rechtsabteilung und verweist darauf, daß die VG Wort schon seit Jahren die Rechte zur EDV-mäßigen Verwertung von Zeitungsartikeln wahrnimmt. „Trotzdem bliebe das zentrale Problem, daß Autorinnen und Autoren irgendwann einmal Vereinbarungen mit dem Verwerter ihrer Arbeiten treffen müssen. Wenn sie dann mit dem Verlag einer Zeitung oder Zeitschrift schlecht verhandeln, ist die Angelegenheit schief gelaufen.“
Genau diese Befürchtung hat man beispielsweise bei FreeLens. „Die CMMV ist völlig unsinnig“, meint Manfred Scharnberg. Es gehe eben nicht nur darum, Adressen weiterzugeben, sondern Sinn der CMMV sei, künftig auch die Rechtevergabe zu machen. Diese sieht er durch Aussagen von Gerhard Pfennig und kursierende Abrechnungsmodelle belegt. „Die Rechte müssen beim Urheber bleiben“, benennt Scharnberg die FreeLens-Position. „Unsere Befürchtung ist, daß sich eine Behörde entwickelt und die Preise kaputtmacht. Auf der einen Seite sitzen dann Verwaltungskräfte und auf der anderen Seite die professionellen Drücker der Medienproduzenten. Was soll dabei für Fotografen rauskommen?“ Er sieht die CMMV auch als Konkurrenz zu den Bildarchiven. Er ist sich deshalb sicher, daß „alle Leute, die professionell tätig sind, nicht mitmachen werden.“ Scharnberg: „Das wird eine einsame Veranstaltung werden. Ich sehe schwarz für das Projekt.“
Einen Interessenkonflikt befürchtet der BVPA, der 101 Agenturen vertritt. „Die Vermittlung von Informationen und Adressen wird nur der erste Schritt sein“, sagt Geschäftsführer Bernd Weise. „Es wird darauf hinauslaufen, daß auch Rechte vergeben werden. Das geht auch aus dem Vertrag der CMMV hervor.“ Damit würde die Clearingstelle zu einer Konkurrenz der Bildarchive. „Die Agenturen wollen sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und haben kein Interesse daran, die Rechte an die VG Bild-Kunst zu übertragen.“
Das Eiss-Projekt
Im Gegensatz dazu hat sich die nach dem Eklat über ihre Wahl in den Verwaltungsrat der VG Bild-Kunst zurückgetretenen BVPA-Vorsitzende Marion Wedekind (sie hatte „spontan“ gegen den vom BVPA nominierten Bernd Weise kandidiert) vehement für die CMMV eingesetzt. Die Chefin der Hamburger Transglobe Agency gehört zu den Machern des EISS-Projektes (vgl. „M“ 4/96). Die Abkürzung steht für „Electronical Image Safe Service“ und damit für eine weltweit im Internet erreichbare Datenbank, die eine schnelle Identifikation von Werken und ihren Rechteinhabern ermöglicht. Das mittlerweile von der EU im Rahmen von „Info 2000“ geförderte Projekt verfügt durch die Partner Xerox Corporation (Sicherheits- und Übermittlungstechnologien) und Docuphot AG (Image-Finder-Software) über die Möglichkeit zur elektronischen Kennzeichnung, Identifizierung und Übermittlung von Werken aller Art.
Bereits ab diesem Sommer soll in einer zweijährigen Pilotphase zunächst die digitale Verwahrung, Verwaltung und Information bei Bildwerken in der Agentur-, Museums- und Pressebranche erprobt werden. Wenn die EISS-Datenbank funktioniert, wird beispielsweise jeder Medienproduzent die Möglichkeit haben, über das Internet sekundenschnell ein bestimmtes Bildmotiv zu finden, oder erfahren können, mit welchen Fotos 1995 für deutsche Mittelklassewagen geworben wurde. Damit wäre dann fast der „One-Stop-Shop“ erreicht. Aber, so betont Marion Wedekind: „Wir wollen keine Rechtevergabe machen.“ Doch da gibt es ja noch die CMMV, wenn sie denn die Verwertungsrechte hätte. „Ich kann mir gut vorstellen, daß es zwischen der CMMV und EISS sowie möglichen Parallelprojekten eine Zusammenarbeit gibt“, sagt dazu Gerhard Pfennig.
Diese Zusammenarbeit ist manchem in der Branche allerdings suspekt, nicht zuletzt, weil zu den Förderern von EISS auch Großkonzerne wie Rank Xerox, Bertelsmann (Docu-phot) und die Deutsche Bank gehören. Als Alternative sieht FreeLens Fotografendatenbanken, über die im September am Rande der Photokina Vertreter von 18 Fotografenverbänden aus aller Welt diskutierten. Bisher am weitesten fortgeschritten ist das MIRA-Datenbanksystem, an dem die US-Fotografenorganisation ASMP beteiligt ist. Bisher 17000 Fotos können hier online gesucht, bestellt und ab Sommer auch digital übermittelt werden. Jeder Bilddatensatz ist mit den Vorgaben des Urhebers (Honorar, Ausschließungsvermerke etc.) versehen. Die Rechtevergabe erfolgt dann per Dialogfeld über das Copyright Clearing Center (CCC), ebenso später das Inkasso.
VG-Bild-Chef Pfennig kann sich ein ähnliches Modell auch für Deutschland vorstellen. „Die Qualität des AMSP besteht darin, das gewünschte Motiv möglichst schnell zu besorgen. Vertragsabwicklung, Rechteerwerb und Kontrolle laufen über das CCC, eine Verwertungsgesellschaft wie wir“, sagt er. „Das ist die Chance der Verwertungsgesellschaften, denn eine Bildagentur ist nicht automatisch die beste Institution zur Verwaltung der Rechte. Ich sehe viele Möglichkeiten der Kooperation.“ Wenn dies die Fotografen und ihre Verbände nicht so sehen, werden sie sich beeilen müssen, schnell bessere Alternativen zu schaffen.