Chris Morley, neuer NUJ-Präsident, über „Heuschrecken“ in der Presse
M | In Europa geht ein „Geist“ um: David Montgomery. Der Name des britischen Managers ist ein Symbol für Private Equity-Kapital, das verstärkt in den Mediensektor einsteigt, u. a. in die deutsche Zeitungsbranche. Was sind Ihre Erfahrungen mit Herrn Montgomery?
CHRIS MORLEY | David Montgomery wurde zunächst als Chefredakteur eines Boulevardblatts bekannt, das heute nicht mehr existiert, aber Vorreiter beim Einsatz neuer Technologien war, die den Druckergewerkschaften in den 80er Jahren schwer zu schaffen machte. Später ging er in die Führung des Daily Mirror und war als Managing-Director für ein rüdes Kostensenkungsprogramm im Umfeld des Maxwell-Skandals zuständig. So hat er zum Beispiel über Nacht 200 freie Journalisten, die regelmäßig für die Zeitung arbeiteten, gefeuert.
In dieser Zeit wurde auch meine Zeitung als Teil der Midland Independent Newspapers von der Mirror-Gruppe übernommen. Glücklicherweise fusionierte kurz darauf die Mirror Gruppe mit einem anderen Zeitungsverlag zur Trinity Mirror Group und Montgomery überlebte nicht lange auf seinem Posten. So sind meine persönlichen Erfahrungen mit Montgomery begrenzt, aber in der Zeit hab ich ihn als kalten Fisch kennen gelernt, der mit kaum einem anderen Menschen warm wird. Er war an der finanziellen Seite des Mediengeschäfts interessiert, nicht an der journalistischen.
Nun taucht Montgomery besonders im Zusammenhang mit verschiedenen Kapital-Fonds auf, ist aber im britischen Medienmanagement nicht aktiv. Ich glaube, das hat was mit seinem ziemlichen schlechten Ruf hierzulande als Zeitungsmanager zu tun. Das hindert Montgomery offenbar aber nicht daran, es in anderen Märkten zu versuchen, wo er die Leute mit seinen Methoden noch überraschen kann.
M | Für Journalisten und Verlagsangestellte in Deutschland ist das Phänomen, dass internationales Kapital wie VVS und Montgomery im Pressemarkt agiert, ziemlich neu. In welcher Weise beeinflusst das – nach den NUJ-Erfahrungen – das Klima in der Branche und in einzelnen Verlagen?
MORLEY | Ich denke, ihr müßt damit rechnen, dass sich die bisherige Branchen- und Unternehmenskultur mit den neuen Investoren und ihrem Management dramatisch ändert. Das ergibt sich folgerichtig aus dem Zweck solcher Firmenkonstruktionen, die nur auf Geldvermehrung und hohe Renditen setzen – egal was sie öffentlich bekunden. Im Endeffekt werden sie rücksichtslos mit allem und jedem umgehen, der diesen Zielen im Wege steht. Das gehört zu Montgomerys Stil: Er duldet keine Gewerkschaftsstrukturen, die sein Renditeprogramm stören und wird deshalb ein Klima der Angst schaffen. Die Folge sind Personalabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen – nicht sofort und mit großen Vorankündigungen, aber so nach und nach.
M | Montgomery argumentiert, dass Renditesteigerungen auf 20 Prozent und mehr ohne sinkende journalistische Qualität und ohne Stellenabbau möglich sind. Ist das realistisch?
MORLEY | Das hängt davon ab, wie hoch die Profitmargen im Moment sind. Wenn sie jetzt schon bei 19,5 Prozent liegen, ist das durchaus möglich. Aber im Ernst: Die Kostensenkungen waren und sind in Großbritannien stark von den technisch-technologischen Entwicklungen und Möglichkeiten geprägt. Zu Zeiten von Montgomery beim Boulevardblatt Today begann es im Druckbereich, erfasste dann alle Verlagsbereiche. Inzwischen ist das Management der britischen Zeitungen zunehmend gewillt, auch Journalistenjobs zu streichen. So haben bei meiner eigenen Zeitungsgruppe Trinity Mirror die nationalen Titel eine Profitmarge von über 20 Prozent. Bei den Regionaltiteln, für die ich arbeite, sind es 34 Prozent. Allein in der Redaktion in Birmingham haben wir in den letzten drei Jahren mit sechs verschiedenen Einsparungsprogrammen gekämpft.
M | Journalistengewerkschaften setzen besonders auf redaktionelle Unabhängigkeit als Voraussetzung für Pressefreiheit und wollen dies durch Redaktionsstatute etwa bei der Berliner Zeitung absichern. Wie geht die NUJ mit der inneren Pressefreiheit um?
MORLEY | Im Pressebereich ist der Guardian ein gutes Beispiel, wo die Belegschaft etwa über den Chefredakteurs-Kandidaten abstimmen kann. Landesweit und generell gibt es jedoch keine Regelungen, diese Fragen werden von einzelnen NUJ-Gruppen von Fall zu Fall geklärt. Ein gutes Beispiel war die Forderung des Daily Express-Besitzers Richard Desmond nach permanenter Anti-Asyl-Berichterstattung und entsprechenden Stories. Die Express-NUJ-Gruppe hat dann geeignete Maßnahmen unternommen, um ihre Mitglieder davor zu bewahren, Lügen verbreiten und Hass mit ihrer Arbeit säen zu müssen.
M | Welche Ratschläge können Sie den Kollegen in Berlin und Hamburg geben, die derzeit mit VVS / Montgomery umgehen müssen und wie kann die NUJ helfen?
MORLEY | Haltet zusammen, glaubt nicht den beschwichtigenden Worten und unterstützt die Arbeitnehmervertreter. Mobilisiert alle Bereiche, auch in der Gewerkschaft. Widersteht allen Kürzungsversuchen, Verzichtsvorschlägen und ersten Stellenstreichungen, denn sie wollen nur testen, wie weit sie gehen können. Versucht, die Öffentlichkeit und Politiker für eure Sache zu interessieren, damit sie die Motive des Managements hinterfragen und auf Qualitätsjournalismus drängen. Stärkt die Verbindungen zu anderen Gewerkschaften, auch in anderen Ländern, mit ähnlichen Interessen und mit entsprechenden Erfahrungen.
So sollten deutsche und britische Gewerkschafter ihre Kooperation auf allen Ebenen ausbauen. Die Betriebsräte müssten eng zusammenarbeiten und es wäre sehr hilfreich, wenn sich Kollegen bei Besuchen kennen lernen, ständig Informationen austauschen. Das ist wichtig, um gemeinsame Strategien und Aktivitäten zu entwickeln – neben der internationalen Kooperation in der IFJ / EFJ und der Lobbyarbeit auf EU-Ebene.