Allein speichern sie dich zum Nulltarif ein

Online-Zeitungen, Pressedatenbanken und CD ROM:
AG Urheberrecht der Fachgruppe Journalismus für Wahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften

Ich stutze. Diese Zeile kommt mir bekannt vor, obwohl sie mitten im Wort beginnt und ein Eigenname verstümmelt ist. Ich suche auf den Internet-Seiten der Handelsblatt-Tochter GENIOS Web-Search nach einem Artikel, den ich 1994 für die „Frankfurter Rundschau“ geschrieben hatte. Registrierung mit Name, Adresse und Kontoverbindung, dann FR-Datenbank auswählen. Unter meinem Autorennamen werde ich dort allerdings nicht fündig. Kein Eintrag. Nur der Nachname? Ein Titel, aber nicht von mir. Also Stichwortsuche. 20 Titel, drei von mir. Zwei sehe ich mir an und lade sie auf meine PC-Festplatte.

Jetzt weiß ich: Es ist mein Artikel, willkürlich in drei Teile, pardon Dokumente, zerhackt. „© 1996 by GENIOS Wirtschaftsdatenbanken. Alle Rechte vorbehalten. Die Reproduktion oder Modifikation ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt“, steht unter jedem. Davor: „Kosten für Suchen und Titel/Kurzliste: 8,- DM – Kosten für Volltextdokumente: 7,20 DM“. Autorenhonorar: 0,00 DM, möchte ich ergänzen.

An diesem Tag finde ich noch weitere Werke von mir im Internet. So auf den Web-Seiten einer kleinen Alternativzeitung, die mich händeringend – für ein kleines „Anerkennungshonorar“ (habe ich auch noch nicht) – um einen zeitungsseitenlangen Artikel gebeten hatte. Ich wußte gar nicht, daß die im Internet sind. Auch der elektronische Pressespiegel aus der Gewerkschaftspresse war mir vorher unbekannt. Hier bin ich mit zwei Artikeln online vertreten. Thema: Schutz von Urheberrechten. Gefragt hat mich niemand, Honorar gab es keines.

Rechtsverstöße schaffen Fakten

Die Mißachtung von Urheberrechten in den sogenannten neuen Medien hat Methode. Diese Erfahrung müssen immer mehr Journalistinnen und Journalisten machen. Die Auswirkungen, die heute im Einzelfall vielleicht noch verschmerzbar sind, werden in naher Zukunft jeden Urheber – auch wirtschaftlich – gravierend treffen. Das hat die IG Medien frühzeitig erkannt und öffentlich formuliert.

Angesichts der durch Online-Zeitungen, CD-ROM, elektronische Verlagsarchive und Online-Datenbanken geschaffenen Fakten, sind jetzt weitergehende Aktivitäten der Mediengewerkschaft notwendig – möglichst gemeinsam mit anderen Organisationen, die Urheber vertreten. Darüber waren sich Mitglieder der Fachgruppe Journalismus einig, die sich am 17. und 18. Oktober 1997 als Arbeitsgemeinschaft Urheberrecht in Lage-Hörste trafen. Die meisten waren und sind selbst von Urheberrechtsverletzungen betroffen.

Ziel der Arbeitstagung war es, Positionen zu den Problemen des Urheberrechtes in digitalen Medien zu erarbeiten, die feste und freie Journalisten betreffen. Damit soll die Diskussion in der IG Medien vorangebracht werden, um in konkrete Forderungen und konkretes Handeln zu münden. Das hört sich zunächst sehr theoretisch an. Doch wenn verhindert werden soll, daß die Urheber auf der Datenautobahn völlig unter die Räder kommen, muß jetzt die Fahrtrichtung der Mediengewerkschaft festgelegt werden.

Verleger wollen Nulltarif(vertrag)

Eine wichtige Weichenstellung für das Urheberrecht von Journalisten wird nach Meinung der AG von den Neuabschlüssen der gekündigten Manteltarifverträge für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften ((section) 10) und Tageszeitungen ((section) 12) ausgehen. Die Verlegerverbände VDZ und BDZV fordern praktisch ein „total buy out“ zum Nulltarif – ein ausschließliches, zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht für alle denkbaren Nutzungsformen nicht nur für die jeweilige Zeitschrift oder Zeitung, sondern für alle „verbundenen Unternehmen“, weltweit.

Ein „Stern“-Redakteur müßte also nicht einmal informiert werden, wenn sein Beitrag bei RTL 9 in Frankreich verwurstet wird oder über AOL Bertelsmann durch das Internet geschickt wird. Gleichzeitig wollen sich die Verlage die Nutzungserträge einheimsen, die über VGen eingenommen werden (Pressespiegel, -repro und Lesezirkel) und den angestellten Journalisten das Nutzungsrecht für ihre eigenen Werke nach dem Auscheiden nehmen.

Ein solcher Ausverkauf bei Redakteuren hätte unweigerlich auch weitreichende Konsequenzen für freie Journalisten. Denn wenn bei Festen die Rechte für CD-ROM, Online-Zeitungen, -Zeitschriften und -Archive für die Verlage „umsonst“ sind, ist die Meßlatte auch für Freienhonorare ganz niedrig gehängt.

Allein oder über VG Wort und Bild?

Ein zentrales Thema in der gegenwärtigen Urheberrechtsdiskussion ist die Frage, welche Online-Nutzungsrechte die Urheber selbst vergeben und welche an Verwertungsgesellschaften (VGen) übertragen werden sollten. Das Spektrum der Meinungen reicht von der Forderung der Verwerter nach einem One-Stop-Shop, also einer zentralen Vergabestelle für Zweitverwertungsrechte, bis zur Auffassung der Fotografenorganisation FreeLens, jeder (Bild-) Journalist müsse selbst entscheiden, ob, wo und zu welchem Honorar jede seiner Fotografien digital verwertet wird.

Dafür gibt es gute Argumente. Wer sieht nicht die Gefahr, daß sein Text oder Foto in einem Umfeld veröffentlicht wird, in dem man es nicht sehen möchte? Vielleicht kann man auch selbst ein besseres Honorar aushandeln. Andererseits: Welche Autorin oder welcher Fotograf hat die Möglichkeit und die Zeit zu kontrollieren, wo die eigenen Werke im wachsenden Internet- und CD-ROM-Markt verbreitet werden? Das können VGen effektiver. Selbst für den „armen“ Produzenten einer Lexikon-CD-ROM, der tausende verschiedene Nutzungsrechte weltweit herausfinden und sich per Einzelvertrag übertragen lassen muß, mag man Verständnis aufbringen. Die deutschen VGen haben mit der „Clearingstelle Multimedia der Verwertungsgesellschaften“ (CMMV) eine erste Konsequenz gezogen. Noch in diesem Jahr sollen die technischen Vorbereitungen abgeschlossen sein. Ob diese zentrale Online-Anlaufstelle für Lizenzierungswünsche von den Multimedia-Produzenten akzeptiert wird, muß sich dann herausstellen. Digitale Nutzungsrechte sollen durch die CMMV (vorerst) nicht übertragen werden, sondern nur Informationen über Rechteinhaber musikalischer, literarischer, künstlerischer und visueller Werke.

AG Urheberrecht für Rechteübertragung

Die AG Urheberrecht ist nach längerer Diskussion zu der Auffassung gelangt, daß die Wahrnehmung einer Reihe von Verwertungsrechten durch die VGen Wort und Bild-Kunst sinnvoller ist als durch die Urheber selbst. Dies hält die AG für notwendig bei der Zweitverwertung von erstmals in Zeitungen und Zeitschriften erschienenen Artikeln, Fotogra-fien und Grafiken in
Online-Ausgaben dieser Zeitungen und Zeitschriften,
EDV-gestützten Verlags- und Pressedatenbanken, auch wenn sie über andere Online-Datenbanken (Knight-Ridder, GENIOS, GBI) angeboten werden, und für
elektronische Pressespiegel, sowohl bei interner als auch bei öffentlicher Verbreitung, zum Beispiel über das Internet. Bei allen Formen der digitalen Verwertung muß nach Meinung der AG eine elektronische Identifizierung von Texten und Bildern, eine automatisierte Erfassung und bei Fotos eine Low-Resolution-Bildauflösung sichergestellt werden.

Die AG Urheberrecht befürwortet auch bei Jahrgang- und anderen Sammelwerk CD ROM der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage eine Wahrnehmung durch die VG Wort oder Bild-Kunst, aber als individuelle Rechteübertragung durch die Urheber an die VG. Diese Möglichkeit soll nach Meinung der AG den Urhebern auch für sonstige CD-ROM und andere Offline-Datenträger angeboten werden. Die VG Wort hat die Vervielfältigung und Verbreitung von Beiträgen aus Zeitungen, Zeitschriften, Sammlungen und Sammelwerken auf CD-ROM, für die keine individuelle Rechtseinräumung erfolgt ist, durch Beschluß ihrer Mitgliederversammlung am 17. Mai 1997 in ihren Wahrnehmungsvertrag ((section) 1 Ziff. 17) aufgenommen und kann diese Rechte ab Jahresende für die Urheber wahrnehmen, die dem nicht ausdrücklich widersprechen.

Ob dadurch Prozesse wie um die Fotos auf den „Spiegel“-CD-ROM künftig überflüssig werden, muß sich aber erst noch zeigen. Denn erstens gibt es Widerstände gegen eine entsprechende Regelung in der VG Bild-Kunst, zweitens werden die betroffenen Verlage kaum freiwillig zahlen und drittens müssen diese Rechte durch die VGen auch effektiv wahrgenommen werden.

Das aber ist nicht immer der Fall. So hat die VG Wort die Rechte für die EDV-gestützte Datenbank-Nutzung von Zeitungsartikeln (nicht für Zeitschriften) bereits seit 1984. Doch nimmt sie dieses Recht gegenüber den Online-Pressedatenbanken nicht wahr.

Jetzt gemeinsam aktiv werden!

Die AG Urheberrecht hält deshalb nicht nur die baldige Positionsbestimmung in der IG Medien und entsprechende Anträge ihrer Vertreter in den VGen Wort und Bild-Kunst für notwendig, sondern gemeinsam mit anderen Verbänden auch Maßnahmen zu ihrer Durch- und Umsetzung. Das gleiche gilt für eine Reform des Urheberrechtgesetzes (UrhG). Es sollte versucht werden, gemeinsam mit dem DJV und anderen Organisationen, die Urheber vertreten, eine gemeinsame Gesetzinitiative in Gang zu bringen.

Nur durch Diskussionen auf „Expertenebene“ wird eine wirksame Verbesserung des Urheberschutzes aber kaum zu erreichen sein. Das Thema muß nach Meinung der AG Urheberrecht einen höheren Stellenwert in der innergewerkschaftlichen Diskussion und durch Öffentlichkeitsarbeit auch außerhalb der IG Medien bekommen. Als praktische Hilfen für die Betroffenen sollten baldmöglichst Musterverträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen für freie Wort- und Bildurheber erstellt und publiziert werden. Als Maßnahmen sind massenhafte Auskunftsersuchen von Urhebern über die digitale Verwertung ihrer Werke ebenso denkbar wie Muster- oder Massenklagen gegen Urheberrechtsverletzungen (beispielsweise bei Online-Datenbanken).

Außerdem hält die AG Urheberrecht eine Initiative für neue Urheberabgaben (wie auf Fotokopierer oder Leerkassetten) für sinnvoll. Zahlen sollen diejenigen, die bereits heute mit den „kostenlosen“ Inhalten des Internets gute Gewinne machen, also zum Beispiel die Hersteller von Multimedia-PC’s, Modems und ISDN-Karten, aber auch Internet-Provider und Online-Dienste. Darüber und über weitere Maßnahmen soll auf einem zweiten Treffen der AG im Januar 1998 diskutiert werden.

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