Gratiszeitungen werden Normalität

Die Gratiszeitungen werden sich auch in Deutschland weiter ausbreiten. Der Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Zeitungstypen konzentriert sich insbesondere auf den Anzeigenmarkt. Die Zeitungsverleger schreien laut, um ihr Gewinnmonopol gegen den Marktzutritt Fremder zu verteidigen.

Ver.di-Vertreter und Betriebsräte aus 17 Zeitungsbetrieben befassten sich Mitte Mai mit der Entwicklung der Gratiszeitungen in der Bundesrepublik. Mit dabei: Der Medienwissenschafter Horst Röper vom Dortmunder FORMATT-Institut, der zu den ausgewiesenen Kennern der Zeitungslandschaft zählt. Am 11. Mai 2001 hatte das Oberlandesgericht den Antrag des Kölner EXPRESS (DuMont Schauberg) gegen die Gratiszeitung „20 Minuten Köln“ des norwegischen Medienunternehmens Schibsted abgelehnt. Das Gratisblatt kann weiter erscheinen. DuMont Schauberg will nun bis vor den Bundesgerichtshof gehen. Bisher haben alle unterschiedlichen Instanzen zu verschiedenen Objekten die Anträge der Zeitungskonzerne auf Verbot der Gratiszeitungen abgelehnt (siehe zuletzt M 1-2/01, M 4/01). Also ist auch unter juristischem Aspekt zu erwarten, dass sich der neue Typ Gratiszeitungen (werktägliche Erscheinungsweise, Anmutung einer Zeitung in Optik und redaktionellem Inhalt – überregionale Politik und Sport, Lokales und z.T. Kultur) etablieren wird. Horst Röper: „Es ist nicht die Frage ob sie kommen, sondern wann.“ Röper schätzt die Entwicklung – auch aus publizistischer Sicht – als durchaus positiv ein: mehr Vielfalt durch das Aufbrechen der Monopole der Zeitungsverleger in den Ballungszentren (z.B. Köln, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, München). Und auch die von den Zeitungsverlegern bislang diktierten Anzeigenpreise könnten durch die neuen Mitspieler neu ausgerichtet werden. Gefahren könnten sich allerdings für kleinere Boulevard-Titel ergeben.

Deutsche Zeitungsverleger sorgen sich um ihre Gewinne

Röper vergleicht den heutigen Sturmlauf der Verleger gegen die Gratisblätter mit den 70er Jahren: „Die Zeitungsverleger wetterten schon gegen die Einführung von Werbung im Hörfunk und bei den kostenlosen Anzeigenblättern. Ihr Vorwand: Die Pressefreiheit sei in Gefahr.“ Josef Peitz, Bundesfachsekretär für die Druckindustrie: „Anzeigenblätter sind heute fester Bestandteil jeder Standortstrategie der Konzerne. Und auch die Online-Angebote der Verleger sind heute selbstverständlich kostenlos.“ Wo also liegt das Problem bei den Gratiszeitungen? „Im Kern geht es um die Umsätze aus dem Anzeigengeschäft, die verteidigt werden müssen. Die Gewinnentwicklung der Verleger wird nur eine Delle erfahren, sollte Schibsted auf den Markt kommen“, so der Betriebsratsvorsitzende der „Hamburger Morgenpost“, Holger Artus. „Das wahre Problem ist die Konzentration der führenden Zeitungskonzerne (Springer, WAZ, Holtzbrinck), nicht ein möglicher und unbedeutender Schibsted-Anteil: Jede vierte gekaufte Zeitung kommt allein aus dem Axel- Springer-Verlag.“

Tarifpolitik rechtzeitig thematisieren

Keine richtige Zeitung und unnötige Konkurrenz? In der Diskussion wich die anfängliche Skepsis am Ende einer nüchternen Betrachtungsweise. Der Kampf um Marktanteile darf nicht zu Lasten der Beschäftigten geführt, die Fehler – auch der Gewerkschaft – bei der Auseinandersetzung mit den Anzeigenblättern nicht wiederholt werden. Doch das ist leichter gesagt als getan: Interessenvertretungen gibt es wenige. Die finanzielle und soziale Absicherung der Beschäftigten ist bisher dadurch nur sehr lückenhaft. Auch die journalistische Leistung ist durch die schwache Stellung der Redakteure in diesen Blättern stark eingeschränkt. Eine Analyse des Bundesverbandes der Anzeigenblätter sagt aus: Pro Erscheinungsrythmus (ein- bzw. zweimal die Woche) erscheinen heute über 80 Millionen Exemplare. Anzeigenblätter spielen für die Leser eine wichtige Rolle in der Lokalberichterstattung. Auch ihre optische Aufmachung hat sich in den letzten Jahren verbessert und der redaktionelle Anspruch ist gestiegen. Aus sozialer und finanzieller Sicht ist es Aufgabe von ver.di und DJV, sich dem Thema der Tarifpolitik bei den Gratiszeitungen rechtzeitig zu stellen. „Ein gemeinsames Hergehen beider Gewerkschaften und die Zusammenarbeit mit den betroffenen Betriebsräten,“ erklärte Martin Dieckmann, Bundesfachsekretär für Verlage und Agenturen, „wäre wünschenswert.“

Die Gratiszeitungen sind eine internationale Entwicklung. Deshalb sollte der Meinungsaustausch zwischen den Gewerkschaften, zum Beispiel in der IFJ, der Internationalen Föderation der Journalisten, möglichst bald geführt werden. Bisher wird diese Mediengattung von verschiedenen gewerkschaftlichen Gruppierungen sehr unterschiedlich bewertet, zum Teil abgelehnt. Hier hat die Tagung hoffentlich neue Denkanstöße vermittelt. Ohne gewerkschaftliche Klarheit wird sich wenig Praktisches bewegen.

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