Chroniken von Verbänden, die aus abgedruckten Dokumenten oder allgemeinen Lobpreisungen bestehen, liest keiner, wissenschaftliche Analysen erfreuen nur einen kleinen Kreis – und zu Worte kommen normalerweise nicht jene Menschen, die mit ihrem Handeln und Denken Geschichte gestaltet haben. Der Kölner Ortsverein der IG Medien hat deshalb, kurz vor seiner Auflösung in ver.di, seine Geschichte von 1945 bis 2000 auf ungewöhnliche und lebendigere Weise schreiben lassen.
Der Historiker und Journalist Ulrich Breitbach hat über die unerlässliche Quellensichtung hinaus 46 Zeitzeuginnen und -zeugen zur Geschichte des Ortsvereins von 1945 bis 2000 interviewt, sie auf ZeitzeugInnen-Konferenzen diskutieren lassen, wo auch gerne mal alte Kontroversen auflebten oder falsche Entscheidungen zugegeben wurden, und er hat ihre Erinnerungen, Einschätzungen und Erlebnisse mit allen Widersprüchen und persönlichen Färbungen unkommentiert und authentisch neben das Gerüst aus Daten und Dokumenten gestellt. Köln war und ist ein ergiebiger Ort für höchst vielschichtige Schilderungen authentischen Arbeits- und Gewerkschaftslebens der Nachkriegs- und Zeitgeschichte aus der Sicht von Druckern oder Setzern, JournalistInnen oder SchiftstellerInnen, ein Ort mit bedeutenden Verlagen und Druckereien und drei großen Senderverbänden, Ort einer stets politischen Arbeiterbewegung, in der die IG Druck noch 1968 gegen die Notstandsgesetze protestierte oder die Belegschaft der Deutschen Welle ihren singulären Kampf gegen Asbest am Arbeitsplatz führte. Mancher erbitterte Streit liest sich heute eher abstrus, manche Auseinandersetzung scheint bei den Beteiligten völlig unterschiedlich erinnert zu werden (beispielsweise die Haltungen im Verband WDR bei der Gründung der IG Medien). Höchst amüsant aber liest sich manches, was damals durchaus ernsthaft war: Gewerkschaftliche Kosmetikkurse für weibliche Angestellte, die sie vor dem Rausschmiss mit zunehmendem Alter bewahren sollten… Das Buch ist spannend, ausgesprochen kurzweilig und nachvollziehbar auch für Nichtgewerkschafter, denn es zeigt, dass Streiks oder Gewerkschaftspolitik nicht von „Apparaten“ gemacht werden, sondern von den Betroffenen, begeisterten, engagierten und fehlbaren Menschen: Geschichte von unten, durch die sich, wie Detlef Hensche bei der Buchvorstellung nicht umhin konnte zu bemerken, als roter Faden über fünf Jahrzehnte die „Kritik am Hauptvorstand“ zieht…
Ausschließlich subjektiv kommen die Texte eines schön gestalteten Bandes daher, den sich die IG Medien NRW zum Abschied geschenkt hat: „Bis hier hin. Ansichten zur IG Medien NRW“ heißt das Lesebuch nach einer Idee des Ausschusses „Qualitätskontrolle“ der Fachgruppe Bildende Kunst NRW, für das 28 Mitglieder aus allen Fachgruppen ihre Erinnerungen an die Gründung der IG Medien, an Begegnungen, Ereignisse und Auseinandersetzungen geschrieben haben. Das reicht von kämpferischen Texten zum gewerkschaftlichen Selbstverständnis eines Schriftstellers (Josef Reding) über leicht melancholische Reflexionen eines Bildenden Künstlers auf der Reise zum ver.di Gründungskongress (Lorenz Müller-Morenius) und handfeste Hoffnungen auf die neue Gewerkschaft (Willi Vogt) bis hin zu ironischen Spielereien mit „verdi.de“ eines Kabarettisten (Heinrich Pachl) oder der aufregenden Reportage über den ersten Streik beim WDR (Wendelin Werner). Beide Bücher zeigen: Es kann richtig Spaß machen, GewerkschafterIn zu sein…
Ulrich Breitbach
„Kontrovers und solidarisch,
Die Kölner IG Medien und ihre Vorläufer von 1945 bis 2000″
hrsg. v. IG Medien
Ortsverein Köln
Schmidt von Schwind Verlag, Köln 2001
311 S., Fotos, 29,80 DM, für Mitglieder 20,- DM
„Bis hier hin. Ansichten zur IG Medien NRW“
hrsg. von der IG Medien NRW, Franz Kersjes
Köln 2001, 112 S.,
zahlreiche Fotos
kostenlos bei:
IG Medien NRW
Hohenzollernring 85-87,
50672 Köln
(bitte 3 DM in Briefmarken beilegen)