Nichts Ungewöhnliches, aber wir wollen uns nicht daran gewöhnen!
Am Rande einer Nazi-Demonstration im Juli vergangenen Jahres in Hamburg erleidet ein selbständiger Elektroinstallateur schwere gesundheitliche Schäden durch Polizisten – und findet sich zwei Tage später großformatig in der „BILD“-Zeitung wieder mit der Bildunterschrift „Szene der Gewalt, durch Linke provoziert.“ Das Gegendarstellungsverfahren verläuft im Sande.
Hamburg, 8. Juli vergangenen Jahres: Die rechtsradikale Szene marschiert unter der Führung des Hamburger NPD-Landesvorsitzenden Ulrich Harder im linken Stadtteil Altona. Zum wiederholten Mal in diesem Jahr macht der braune Mob die Hansestadt zum Aufmarschplatz ihrer martialischen Demos. 2.200 BGS- und Polizeibeamte schützen die Rechten, die mit dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt und dem Hamburger Neonaziführer Christian Worch wichtige Kader Mobs aufgeboten haben. Einige der etwa 1000 Gegendemonstranten verhindern mit Sitzblockaden einen Teil der Demonstrationsroute. Am Straßenrand beobachten Altonaer Bürger den gespenstischen Aufmarsch, unter ihnen viele Ausländer wie der eingebürgerte Iraner Hamid Kaldeh, der mit seiner Frau Sabine gerade den Wochenend-Einkauf tätigt. Ihre bei-den Kinder haben sie wegen des braunen Aufmarsches zu Hause gelassen.
Als die beiden am Straßenrand vor den „Ausländer raus“ skandierenden Nazis stehen, die Plakate tragen, auf denen Ausländer als Kakerlaken dargestellt werden, schmeißt der 41jährige Kaldeh spontan eine frisch eingekaufte Tomate Richtung braunen Mob. Ein Polizist fordert ihn auf, das zu unterlassen. „Das habe ich dann auch getan“, erzählt der selbständige Elektroinstallateur. „Doch kurze Zeit darauf stürmt ein halbes Dutzend Polizisten auf mich zu, reißt mich zu Boden und verdreht mir die Schulter. Das war wie ein Überfall aus dem Nichts und äußerst brutal“ (siehe Fotos oben). Hamid Kaldeh wird festgenommen und stundenlang auf einer Wache festgehalten. „Ich hatte sehr starke Schmerzen in der Schulter.“ Trotzdem bleibt der Familienvater gefesselt, auch als ihn die Polizisten in ein Krankenhaus fahren. Erst am Abend wird er entlassen.
Die nächsten Monate hat der Familienvater weiterhin starke Schmerzen in der Schulter und ist arbeitsunfähig. Erst als er in einer Spezialklinik im März dieses Jahres behandelt wird, wird es langsam wieder besser: „Ich dachte schon, dass ich gar nicht wieder gesund werde und ich meine Firma aufgeben muss.“ Die Diagnose: Kapselabriss im Schultergelenk.
Dokumentiert ist der Vorgang unter anderem auch auf Fotos der „Bild-Zeitung“ vom 10. Juli auf Seite 3, die unter der Überschrift „Festung Hamburg“ lauter Fotos von Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gegendemonstranten bringt, ihren Lesern die Fotos von marschierenden Neonazis aber schlicht unterschlägt. Und der ganze Ärger („Verkehrs-Chaos sogar auf Autobahnen“), so wollen es die „Bild“-Schreiber ihren Lesern weismachen, komme von den Linken. Eine Kostprobe: „Im Dunkel der Nacht schlichen Kommunisten aus der PDS-Parteizentrale an der Palmaille (Altona)). Sie hängen Plakate auf: „Nazis raus“ stand drauf. Und dass Soldaten Mörder sind. Ein paar Stunden später dröhnten Kampfgesänge aus Propaganda-Lautsprechern: „Rotfront! Rotfront! An die Gewehre!“ Dass in Altona der harte Kern der Neonazi-Szene, der im Artikel lediglich als „160 mutmaßliche Neonazis“ bezeichnet wird, gegen Ausländer marschiert, verschweigen die „Bild“-Reporter ihren Lesern. Stattdessen drucken sie ein dreispaltiges Hochformat-Foto von Hamid Kaldeh, wie er versucht, sich aus dem Würgegriff der Polizeibeamten zu befreien und laut um Hilfe schreit. Die Bildunterschrift: „Szene der Gewalt, von Linken provoziert: Ein Demonstrant schreit im Polizeigriff. Vorher hatte die Polizei dreimal über Lautsprecher gebeten, die Straße zu räumen.“
Bloß: Kaldeh hatte weder auf der Strasse blockiert, noch bezeichnet er sich als Linker, geschweige denn hat er Gewalt ausgeübt. Also versucht er, mit einer Gegendarstellung die Dinge richtig zu stellen. Ein aussichtsloses Unterfangen: Auf sein Fax und ein Einschreiben, in dem er darstellt, dass „ohne meine Zustimmung ein großformatiges Foto meiner Verhaftung am 8. Juli in Altona veröffentlicht“ wurde und dass er kein „linker Provokant“ sei, bekommt er keine Antwort, eine Gegendarstellung wird nicht gedruckt. Erst in einem Vergleich ein paar Monate später erreicht er mit anwaltlicher Hilfe eine Unterlassungserklärung – für eine Gegendarstellung ist es da zu spät.
Kaldeh glaubt, dass er durch den Artikel Kunden verloren hat, Auftraggeber haben ihn auf das Foto angesprochen. „Ich bin von den Polizisten schwer misshandelt worden, aber die Bild-Zeitung verdreht die Wahrheit und macht mich zum Gewalttäter“, so die Bilanz des selbständigen Elektroinstallateurs.