Eine Dorfschule im Wechsel der Jahreszeiten

„Sein und Haben“ – Dokumentarfilm über das Lehren und Lernen von Nicolas Philibert

Ein paar Kühe werden durch den winterlichen Schneesturm nach Hause getrieben. In der kleinen französischen Dorfschule im Herzen der Auvergne ist es noch still. Auf dem Fußboden stakst eine Schildkröte zwischen Globus und Kissen umher. Und schon kommt die nächste um die Ecke. Beide geben ein schönes Bild für das Leben und Lernen an diesem Ort. Geschützt und in einem beschaulichen Tempo verbringen die Kinder der Umgebung hier ihre Grundschulzeit.

Ein Lehrer unterrichtet alle Altersstufen vom Kindergartenalter bis zur 5.Klasse. Georges Lopez ist bereits seit 35 Jahren Lehrer. In der kleinen Dorfschule, in der er auch wohnt, unterrichtet seit 20 Jahren. Er ist die Seele des heimeligen Schulgebäudes, an dessen Eingangstür er jeden Morgen seine Schülerschar begrüßt. Im Ofen des Klassenraums brennt bereits ein Feuerchen. Ein ganzes Schuljahr lang begleitete das Filmteam von Nicolas Philibert das Leben in der Dorfschule. Die Kamera sieht in die Augen der Kinder, schaut ihnen mit Sinn für Humor auf die Finger und auf den Mund. Zwischendurch schleicht sie durchs Gebäude, spürt ein Aquarium auf, oder zeigt mit ihren Landschaftsaufnahmen, wie mit dem Wechsel der Jahreszeiten die Zeit vergeht und die Kinder wachsen. Immer im Hintergrund bleibend, begleitet sie die Kinder nicht nur bei ihren Schulaktivitäten sondern gibt auch Einblicke ins Elternhaus.

Den Rahmen für den Respekt innerhalb dieser heterogenen kleinen Schülergruppe gibt Georges Lopez mit seiner eher traditionellen Autorität sowie mit einer großen Aufmerksamkeit für seine Schüler. Dabei kümmert sich der 55jährige Lehrer genauso um die Sorgen seiner Schützlinge wie um ihre Streitereien untereinander. Taktvoll und diskret gibt er sein Wissen über das Leben weiter, sei es in Mathematik, beim Händewaschen, bei der Zubereitung von Pfannkuchen oder im Gespräch über gefährliche Krankheiten.

„Sein und Haben“ von Nicolas Philibert erhielt im vergangenen Jahr den „Europäischen Dokumentarfilmpreis – Prix Arte“. Es ist ein Film über Schule, das Lernen und Wachsen sowie über den Beruf des Lehrers. Dabei macht er auf gleichzeitig schlichte wie sehr sinnliche Weise anschaulich, was so existentiell wichtig fürs Leben und Lernen ist: eine gute Beziehung zur Lehrkraft, eine funktionierende und überschaubare soziale Gruppe und eine ruhige, sortierte Umgebung. „Sein und Haben“ bietet Lernstoff für Pädagogen, Eltern und vor allem für Bildungspolitiker in einer hektischen Zeit wo Haben oft vor Sein steht.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Führer und Verführer

Das herausragend gute Doku-Drama von Joachim A. Lang, Schöpfer des fulminanten Brecht-Werks „Mackie Messer“, dechiffriert mit einer Mischung aus Spielszenen, dokumentarischem Material und Interviews mit Holocaust-Überlebenden die Propaganda-Strategien von Joseph Goebbels.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »