Sprachmächtig – gendersensible Sprache als journalistische Qualität im Berliner Workshop
Mochten Sie, geschätzte LeserInnen oder Ihr, liebe GewerkschafterInnen das große I mitten im Wort? Zwanzig Jahre, nachdem die taz ihre LeserInnen erstmals mit dem revolutionären Binnen-I konfrontierte, ist es weitgehend wieder verschwunden. Auch aus M. Doch dass es im Sprachgebrauch gekillt wurde, heißt nicht, sich mit dem generischen, dem allgemeinen Maskulinum begnügen zu müssen. Ein vom Journalistinnenbund und der Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte Januar in Berlin veranstalteter Workshop ging innerhalb des gemeinsamen Gender-Trainings Wegen und Irrwegen geschlechtssensibler Sprache im Deutschen, Französischen und Englischen nach.
Nicht nur mehr als 60 Teilnehmerinnen, sondern auch Teilnehmer aus Journalismus, PR, Behörden interessierten sich für kreative Auswege aus dem Dilemma, dass die männliche Form als allgemein gültige die Sprache dominiert. Frauen sind mitgemeint. Aber fühlen sie sich so? Werden sie wahrgenommen? Männer akzeptieren nie, bei weiblichen Nennungen einbezogen zu sein. Ein Mann macht eine Gruppe von 100 weiblichen Wesen zum Maskulinum. Für das Französische brachte es die Schriftstellerin Benoite Groult 1997 in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: Wenn 40 Frauen und ein Hund eine Kneipe betreten, dann müssen wir den männlichen Plural „ils“ statt des weiblichen „elles“ benutzen.
„Die Sprache ist in den letzten zwei Jahrzehnten kaum weitergekommen.“ Ulrike Helwerth, eine der Initiatorinnen vom Journalistinnenbund, will, um journalistische Exaktheit voranzubringen, ein bundesweites, auch internetverbundenes Netzwerk knüpfen, das Erfahrungen und Vorschläge weitergibt. Wie aber sehen die aus?
Die Suche nach gendergerechten Alternativen gestaltet sich in unserer Sprache anders als im Englischen und Französischen. Das machte Linguistin Prof. Dr. Marlis Hellinger von der Uni Frankfurt am Main deutlich, die 30 Sprachen analysierte, als Mitautorin erste Richtlinien für nicht-sexistischen Sprachgebrauch verfasste und an UNESCO-Richtlinien mitarbeitete. Im Deutschen zwingt das grammatische System zum Femininum. Deshalb sollte es auch angewandt werden, um sprachlich Frauen sichtbar zu machen. Dazu verlange die Sprache nach Symmetrie, nach Frauen und Männern, Bürgerinnen und Bürgern usw. Da solches Splitting als umständlich empfunden und in der Presse aus Platzgründen zusammengestrichen wird, bietet sich an, auf den Plural („die Delegierten“) oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen („das Mitglied“, „niemand“ statt „keiner“) auszuweichen. Vermieden werden sollten Rollen-Stereotype in Wortbildern von Überschriften („Professoren und Putzfrauen auf dem neuen Campus“). Bei Aufzählungen empfiehlt sich, immer mal zu wechseln: Ärztinnen, Lehrer, Richter, Rechtsanwältinnen. Unsinnig seien dagegen bemühte Wortschöpfungen wie „Grüninnen“. Bei allgemeinen Sachbezeichnungen ist das gebräuchliche Maskulinum akzeptabel („Leserbriefe“, nicht unbedingt „Leserinnenbriefe“).
Im Gegensatz zum Deutschen ist Englisch keine Genussprache, sondern im Trend neutral. Journalist wird spezifiziert durch he (er) oder she (sie). Weibliche Endungen sind nur in Resten wie stewardess enthalten. Eingedeutsche Begriffe aber nehmen problemlos die weibliche Endung an wie „Punkerin“ oder „Streetworkerin“. Im Französischen gestaltet sich die Debatte komplizierter. Die Grammatik fordert weibliche Formen sogar in der Mehrzahl, arbeitet mit konkurrierenden Mustern. Die konservative Academie Francaise lehnt dagegen Feminisierung ab.
SprachreformerInnen (auch Männer sind dabei) werde oft vorgeworfen, so Hellinger, das friedliche Miteinander der Geschlechter zu stören. „Das Gegenteil trifft zu!“ Die Diskussion zeigte, dass „gendern“ Arbeit bedeutet. Stefanie Thieme vom Redaktionsstab Deutscher Bundestag berichtete, wie kompliziert Gesetzestexte in dieser Hinsicht zu redigieren sind. Heike Winterling vom Bundesministerium Frauen, Senioren, Familie und Jugend bestätigte, dass Pressemitteilungen geschlechtergerecht formuliert das Haus verlassen und genau um diese Spezifik gekürzt dann in den Zeitungen erscheinen. Landesverfassungen sollten „gegendert“ sein, die niedersächsische bietet da z.B. Kreatives während die thüringische weitgehend ohne auskommt.
Wie das Binnen-I sogar aus der taz entflieht, darüber berichtete taz-Mitbegründerin Ute Scheub. Der letzte Aufstand, das aufzuhalten, sei 1998 von einem Mann angezettelt worden. Eine beliebige von ihr analysierte Januar-taz-Ausgabe zeigte, dass der „I-Anteil“ auf unter 10 % gefallen war, von 41 Artikeln ganze drei geschlechtsneutrale Formulierungen verwendeten. „Journalisten, auch Journalistinnen sind oft sprachfaul.“
Was Sprachwahl für die Gesellschaft bedeutet, untersuchte Psychologin Prof. Dr. Dagmar Stahlberg aus Mannheim in verschiedenen Experimenten. Führen maskuline Bezeichnungen von Personen tatsächlich zu geringerer gedanklicher Repräsentation von Frauen? Alle Befragungen – so musste eine Gruppe von Männern und Frauen Zeitungsartikel lesen und Fragen nach bekannten Persönlichkeiten beantworten, die entweder rein männlich (Politiker, Sportler) formuliert waren, gesplittet oder mit dem BinnenI – zeigten dasselbe: Ja, Frauen sind bei allen gedanklich schlechter vorstellbar, wenn nur das übliche generische Maskulinum verwendet wird. Meine Arbeit – mein Einfluss, in vier Arbeitsgruppen nahmen sich die TeilnehmerInnen selbst unter die Lupe. Alles in allem: Aktivierung und Sensibilisierung sind angesagt, eine gender-gerechte Aus- und Weiterbildung, Lust an Sprachschöpfungen und der Austausch darüber. Ein Aktionstag ist im Gespräch, an dem alles nur weiblich formuliert wird, der 8. März wäre kein schlechtes Datum. Und manchmal sollte man / frau es einfach aussitzen. Jede Uni-Mitteilung gibt Dekanin Stahlberg mit Binnen-I heraus. Jedes Mal wird sie kritisiert. „Und jedes Mal mache ich es wieder.“