Das Net-Business frisst seine Medien

Trudelnde Internet-Wirtschaft führt bei Milchstraße zu Entlassungen

Wer ganz oben auf der Welle des Zeitgeistes reitet, muss eigentlich wissen, was ihn erwartet. Beim E-Business hingegen sollten alte Gesetzmäßigkeiten keine Gültigkeit mehr haben. Auch für die Medien zum Thema war nur ein steiles Up anvisiert. Doch der Sog der trudelnden Internet-Wirtschaft hat auch sie erfasst. Mittlerweile im Wellental angekommen ist die Verlagsgruppe Milchstraße. Am 27. Juli 2001 wurde das Aus für die Internet-Zeitung „Net-Business“ verkündet.

„Liebe/r …, hiermit kündigen wir das Anstellungsverhältnis aus den Dir bekannten betriebsbedingten Gründen fristgerecht zum …“ Dieses Schreiben in der vom Verleger Dirk Manthey auch bei zuletzt 850 Beschäftigten weiterhin gepflegten Du-Form erhielten 31 Redaktionsmitarbeiter von „Net-Business“ per Post. Denn nach dem Erscheinen der letzten Ausgabe 32/33 am 3. August waren sie bereits von der Arbeit freigestellt. Zwei Volontäre wurden in andere Objekte der Verlagsgruppe übernommen, ebenso eine Angestellte im Mutterschutz, nicht jedoch zwei Betriebsräte, obwohl rein rechtlich eigentlich unkündbar.

„Schluss mit lustig“ in Hamburg-Pöseldorf

Doch in rauen Zeiten bleiben vom vielfach beschriebenen „Schmusekurs“ im Verlagsgebäude an der Milchstraße 1 eben nur noch Äußerlichkeiten: gutes Essen, Massage während der Arbeitszeit, Freikarte für die Kaifu-Lodge und das Du in der Kündigung. „Schluss mit lustig“ titelte „Der Spiegel“ denn auch seine Story über den „Sonnyboy“ der deutschen Verlagslandschaft und das kleine Mantheysche Imperium in Hamburgs Nobelstadtteil Pöseldorf.

Dort ist mittlerweile die Verunsicherung unter den Beschäftigten nicht nur wegen der Einstellung von „Net-Business“ groß. Auch bei „Tomorrow“ wurde die Mitte 2000 gestartetete 14-tägige Erscheinungsweise wieder rückgängig gemacht, was 17 Angestellten den Job kostet. Und ob die Push-Kampagne für „Max“ dauerhaften Erfolg beschert, ist unsicher.

Die Gerüchteküche brodelt, zumal der Einfluss des Burda-Konzerns, der besonders an den lukrativen Verlagsobjekten stärker beteiligt ist, wächst – zuletzt bei der Fusion von „Tomorrow Internet“ und „Focus Digital“ zur „Focus Tomorrow AG“ (siehe Artikel auf Seite 26). Auch dies soll 40 Arbeitsplätze in Hamburg kosten.

Manthey: „Never ever“ und plötzlich war Schluss

Bei der im Februar 2000 gestarteten Internet-Zeitung „Net-Busi-ness“ ging es zum Schluss jedenfalls ganz schnell. Angesichts rapide sinkender Anzeigenerlöse und Freiverkaufszahlen wurde nach nur wenigen Monaten die wöchentliche Erscheinungsweise wieder auf 14-tägig zurückgefahren. Doch das Anzeigengeschäft halbierte sich quartalsweise weiter. „Der Spiegel der New Economy“ – so die von Dirk Manthey immer wieder geäußerte Zielvorgabe – hatte Ende 2000 mit rund 90 Mitarbeitern seinen Zenit erreicht und ihn wie diese überschritten.

Aber auch in härteren Zeiten mit verringerter Belegschaft wurde Optimismus verbreitet. Als die Handelsblatt-Gruppe ihren „Wirtschaftswoche“-Ableger „E-Business“ kurz nach dem Start einstellte, hoffte man auf mehr Anzeigen und Leser für „Net-Business“ anstatt den „Vertrauensverlust der Gattung ,Internet-Medien‘ in der Werbewirtschaft“ (so erst in der Milchstraße-Pressemitteilung zur „Net-Business“-Einstellung) als Warnsignal zu sehen. „Never ever“ werde er das Blatt einstellen, versicherte Manthey Mitarbeitern und Betriebsrat bis zuletzt.

Neues „netbusiness“ kommt aus Heidelberg

Anfang Juli wurde dann verkündet, dass Peter Turi, Ex-Chefredakteur des „Kress Report“, die Chefredaktion des Milchstraße-Titels von Klaus Madzia übernehmen wird, um „die im Anzeigen- und Lesermarkt ins Trudeln geratene Zeitschrift für die Internetwirtschaft wieder auf Kurs bringen“, wie „horizont“ schrieb. Doch drei Wochen später wurde das Aus für „Net-Business“ bei Milchstraße verkündet, die Redaktion entlassen.

Peter Turi ist dennoch Chefredakteur und Herausgeber. Nach eigenen Angaben für einen mehrfachen Millionenbetrag kaufte er die Titelrechte von „Net-Business“. Am 7. September erschien in seinem Heidelberger Turi Verlag die Ausgabe 34/01 des neuen „netbusiness“ in Magazinform (Copypreis: 6 Mark, Druckauflage: 14.000 Exemplare; Net-Business hatte mal über 100.000, zuletzt gut 48.000). „Der Hype ist tot, die Idee lebt. Auch bei netbusiness“, heißt es in Turis Editorial. „Wir setzen netbusiness radikal gegen den Trend: Erfolgsgeschichten, wo andere jammern.“

Auch andere Start-Ups vom Medien-Markt gefegt

Als Erfolgsgeschichte wurde „Net-Business“ auch anderthalb Jahre lang bei Milchstraße konzipiert, bis am 27. Juli mitgeteilt wurde: „Leider konnte sich jedoch auch Net-Business dem schwierigen Marktumfeld nicht entziehen.“ Damit steht sie nicht allein. Die Finanzkrise der New Economy fegte in Deutschland auch andere Medien-Start-Ups wie „Business 2.0“, „Wirtschaftswoche E-Business“ und „Net-Investor“ vom Markt ebenso wie jüngst in den USA das Internet-Wirtschaftsmagazin „The Industry Standard“.

Die Konsequenzen von solch schnelllebigen Zeitschriftengründungen und -schließungen tragen nicht nur die Verlage, die ihre Verluste steuermindernd abschreiben können, sondern immer auch Dutzende Redakteurinnen, Redakteure, Angestellte und feste Freie. Oft wurden sie aus ganz Deutschland oder auch dem Ausland „abgeworben“, um nach kurzer Zeit plötzlich „freigesetzt“ zu werden.

„Viele haben woanders ihre Existenz aufgegeben“

„So planlos, wie Verlage Redaktionen heute hochziehen, so schnell werden sie auch wieder dichtgemacht“, sagt die Hamburger ver.di-Mediensekretärin Eva Loll. „Durststrecken durchzustehen, wollen sich die Verlage nicht mehr leisten.“ Das gilt auch für „Net-Business“. Immerhin handelte hier der Betriebsrat für die Betroffenen einen akzeptablen Sozialplan aus. Eva Loll erlebt es in ihrer Praxis auch anders, wie jüngst bei der Bauer-Entwicklungsredaktion „Switcher“, die nach zwei Jahren sang- und klanglos aufgelöst wurde.

Gute prozentuale Abfindungssätze relativieren sich aber angesichts nur kurzer Beschäftigungszeiten. „Viele haben woanders ihre Existenz aufgegeben“, sagt Loll. „Da kann eine Abfindung den Verlust des Arbeitsplatzes nicht aufwiegen.“

Dass die „Net-Business“-Redaktionsmitarbeiter entlassen und nicht in andere Milchstraße-Objekte übernommen wurden, macht zudem deutlich: Newcomer Milchstraße hat sein Habitus des Andersseins gegenüber anderen deutschen Großverlagen endgültig abgelegt. Und es wird wohl nicht die letzte schlechte Nachricht sein, die man aus dem Verlag in Hamburg-Pöseldorf vernehmen wird

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »