Deutsche Welle sendet jetzt aus Bonn

ver.di-Betriebsgruppe fordert Tarifautonomie und mehr Mitbestimmung – Altersteilzeit auch für Teilzeitkräfte

„Hier ist die Deutsche Welle Bonn“. Diese akustische Kennung geht seit Ende Juni rund um die Welt. Dabei kam ein Großteil des Programms zunächst weiterhin aus dem asbestbelasteten Kölner Funkhaus am Raderberggürtel. Erst Ende September ist der mehr als drei Monate dauernde Umzug geschafft und die Arbeitsplätze aller 2200 Kölner Beschäftigten der Deutschen Welle (DW), darunter 350 Redakteure und 1100 freie Mitarbeiter, ins ehemalige Bonner Regierungsviertel verlegt. Auch der Onlinebereich DW-world.de und das Fortbildungszentrum sind jetzt in Bonn. Nur DW-TV soll weiterhin in Berlin bleiben.

Zum Sendestart in Bonn feierte „die Welle“ mit 1200 Gästen auch ihren 50. Geburtstag. Ursprünglich gegründet, um vor allem Auslandsdeutschen ein neues Deutschlandbild zu vermitteln, kamen schon ein Jahr später erste Sendungen in Englisch, Französisch und Spanisch dazu. Mitte der 60er Jahre sendete die DW bereits in 25 Sprachen. Im Prager Frühling 1968 und während des Militärputsches in Griechenland wurde die Deutsche Welle vom Propagandasender der westdeutschen Adenauer-Regierung zu einer glaubwürdigen Informationsquelle in Krisengebieten – dank vieler freier Mitarbeiter vor Ort und Ausweitung der jeweiligen Sprachprogramme. Im Kosovo hörte 2001 die Hälfte der Einwohner das albanische DW-Programm. Weltweit schalten rund 28 Millionen Menschen mindestens einmal in der Woche die DW ein.

Stürmische Zeiten erlebte die Welle nach der deutschen Vereinigung: Durch die Übernahme von Teilen des DDR-Auslandsrundfunks Radio Berlin International, von RIAS-TV und der Fremdsprachenprogramme des Deutschlandsfunks wuchs der Sender bis 1994 auf 2136 Personalstellen. Seitdem wird kontinuierlich abgebaut, zurzeit noch hauptsächlich über tarifvertraglichen Vorruhestand, künftig wahrscheinlich vor allem mittels Altersteilzeit. Im kommenden Jahr wird es nach der derzeitigen Planung nur noch 1320 Planstellen bei Hörfunk und Fernsehen insgesamt geben.

Schrittweise Kürzungen

Abgespeckt wurde auch bei den Finanzen. Die Deutsche Welle gehört der ARD an, erhält aber keine Gebührengelder, sondern wird aus dem Bundeshaushalt finanziert. Seit 1999 wurden die Gelder schrittweise um mehr als 135 Millionen Euro auf nur noch 277 Millionen Euro in diesem Jahr gekürzt. Rund 400 Stellen mussten allein deshalb abgebaut werden, wobei betriebsbedingte Kündigungen durch einen auch mit Streikmaßnahmen 1999 erkämpften Sozialplantarifvertrag vermieden werden konnten.

Mit den Etatkürzungen soll es jetzt aber ein Ende haben. CDU / CSU sowie SPD und Grüne haben sich in fast gleich lautenden Anträgen im Juni im Bundestag dafür ausgesprochen, bei der noch für dieses Jahr geplanten Novellierung des Deutsche-Welle-Gesetzes für fünfjährige Finanzierungs- und Planungssicherheit zu sorgen. Zugleich soll das Internet-Angebot in zurzeit 31 Sprachen gesetzlich abgesichert werden. Beides fordert auch die ver.di-Betriebsgruppe, deren Sprecher Carl-Maria Dießel und Ujjwal Bhattacharya in einem Schreiben an den zuständigen Bundestagsausschuss für Kultur und Medien außerdem verlangten, den Paragraphen 47 des Gesetzes zu streichen. Dieser schreibt vor, dass die Beschäftigten der DW grundsätzlich nicht besser gestellt werden dürfen als vergleichbare Arbeitnehmer des Bundes. „Das verstößt massiv gegen die in Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz abgesicherte Tarifautonomie“, so Dießel.

Personalräte auch für Freie zuständig

Bei weiteren Forderungen des Betriebsverbandes an den Bundestag geht es um die Mitbestimmung. Der nur für die DW geltende Paragraph 90 Bundespersonalvertretungsgesetz „muss weg“, so Dießel und Bhattacharya, weil er die Mitbestimmung bei Programmgestaltern komplett aushebele. Das sei „auch für die Glaubwürdigkeit eines der journalistischen Freiheit verpflichteten Senders abträglich“. Außerdem müsse den Personalräten erlaubt werden, die freien Mitarbeiter zu vertreten, wie dies nach einigen Landesgesetzen bereits möglich sei. Das sei auch im Interesse der Freien, wie jüngst zufällig aufgedeckte Fälle zeigten, bei denen die gezahlten Honorare unter den tariflichen Sätzen lagen. Und es stärkt die Personalräte, die durch Stellenabbau immer kleiner werden und durch verstärkte Beschäftigung Freier an Einfluss verlieren, wenn sie diese nicht vertreten dürfen.

Bei der anstehenden Gesetzesänderung soll auch der Programmauftrag ergänzt und präzisiert werden, der noch immer die Berichterstattung über Deutschland betont. Konkret geht es um die Rolle der DW als Info-Radio für Krisengebiete, aber auch um die Frage von Regierungseinfluss. Für CDU-Chefin Angela Merkel ist die Welle eine „Stimme der Freiheit“ in Krisengebieten, deren „Staatsunabhängigkeit auch in Zukunft gewährleistet sein muss“. SPD und Grüne wollen dem Sender „weitestgehend Freiheit“ bei Aufgabenplanung, Zielgruppendefinition und regionalen Schwerpunkten geben. SPD-Bundestagsfraktionschef Franz Müntefering wünscht sich zugleich mehr Berichte über das Zusammenwachsen Europas. Offenbar aber nicht mehr für jeden in Europa, denn seit 1998 sendet die DW schon nicht mehr in Dänisch, Norwegisch, Niederländisch und Italienisch – und im Jahr 2000 wurden auch die Sendungen in Spanisch, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch und Ungarisch gestrichen. Außereuropäisch traf es auch Japanisch. Für DW-Intendant Erik Betterman ist das Teil des DW-„Unternehmensprofils“. Er setzt auf weitere Regionalisierung des Programmangebots und will den interkulturellen Dialog insbesondere mit der islamischen Welt intensivieren. Außerdem soll der europäische Einigungsprozess umfassend begleitet und die DW mit einem Fokus auf die Bereiche Wirtschaft und Kultur profiliert werden. Um ihre wichtigsten Zielgruppen – Multiplikatoren, die die Meinungs- und Willensbildung in ihren Ländern prägen – noch besser zu erreichen, setzt die DW verstärkt UKW-Frequenzen für Metropolen und ist auch federführend an der Markteinführung der digitalen Kurzwelle beteiligt.

Tarifvertrag ausgelaufen

Fast zeitgleich mit dem Sendestart in Bonn ist am 30. Juni der Gehaltstarifvertrag ausgelaufen. Die Tarifkommission der ver.di-Betriebsgruppe fordert gemeinsam mit den anderen Verbänden (DJV und VRFF) eine lineare Erhöhung der Gehälter und Honorare um 3,4 Prozent bei 12 Monaten Laufzeit. Bei der ersten Verhandlungsrunde am 24. Juli ging die DW-Geschäftsleitung nicht darauf ein, sondern erklärte nur, sie wolle sich am Abschluss im Öffentlichen Dienst orientieren, also eventuell auch den Urlaub kürzen. Ein eigenes Angebot legte die DW-Geschäftsführung nicht vor, weil sie keinesfalls den Vorreiter unter den ARD-Anstalten spielen will. Die Verhandlungen wurden in der Hoffung auf einen Pilotabschluss beim WDR auf den 19. September (nach Redaktionsschluss) vertagt. Einig ist man sich dagegen über eine Verbesserung des Tarifvertrags über Altersteilzeit. Dieser gilt jetzt auch für Teilzeitbeschäftigte. Frei werdende Stellen dürfen neu besetzt werden, sofern das Arbeitsamt eine unterstützende Finanzierung nach dem Altersteilzeitgesetz gewährt. Die Neuregelung gilt bis Ende 2009.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Feminismus trifft Klassenkampf im Film

Das Internationale Frauenfilmfest (IFFF) wirft einen sehr außergewöhnlichen Blick auf die Arbeitswelt von Frauen im Film. Damit kommt es beim Publikum gut an und liegt voll im Trend. Denn es geht um Frauensolidarität, Antirassismus, Antisexismus und Klassenkampf. Bei der 41. Ausgabe des Festivals vom 16. bis 21. April in Köln gab es volle Kinosäle. Der Schwerpunkt der von Frauen produzierten Filme aus aller Welt lag in diesem Jahr auf dem Horrorgenre.
mehr »

Klimakiller in der TV-Werbung

Knapp ein Drittel aller Spots in TV und auf YouTube wirbt für klimaschädliche Produkte. Das verstößt gegen den Medienstaatsvertrag, wie die am 6. Mai veröffentlichte Studie „Reklame für Klimakiller“ der Otto Brenner Stiftung offenlegt. Denn der Medienstaatsvertrag untersagt explizit Werbung für „in hohem Maße“ umweltschädliches Verhalten. Die Autoren fordern von der Medienpolitik eine strengere Regulierung klimaschädlicher Werbung.
mehr »

ARD und ZDF: Offene technische Plattform 

ARD und ZDF stellen sich mit einer Open-Source-Initiative und einer gemeinsamen Tochterfirma für den Betrieb ihrer Mediatheken als Streaming-Anbieter auf dem deutschen Markt neu auf. Beide wollen künftig zentrale Komponenten arbeitsteilig entwickeln und gemeinsam nutze, teilten sie gemeinsam mit. Zugleich sollen wichtige Bausteine als Open Source anderen Dienstleistern offen stehen. Das gelte unter anderem für den Player, das Empfehlungs- und das Designsystem.
mehr »

Beitragsanpassung unter der Inflationsrate

Seit die aktuelle Empfehlung der KEF zur Beitragsanpassung vorliegt, gibt es mehrere Ministerpräsidenten, die eine Zustimmung zu einer Erhöhung kategorisch ausschließen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren bereits geurteilt, dass sich ein Bundesland dem Vorschlag der KEF im bislang gültigen Verfahren nicht einfach so widersetzen darf. M sprach mit dem KEF-Vorsitzenden Prof. Dr. Martin Detzel über die aktuelle Debatte um die Rundfunkfinanzierung.
mehr »