Kino-Arbeitgeber auf unverantwortlichem Schlingerkurs in den Tarifverhandlungen
IG Medien sieht Haustarifverhandlungen als möglichen Ausweg
Wer die diesjährigen Tarifverhandlungen in der Kinobranche verfolgt hat, muß sich gelegentlich wie in einer Achterbahn vorgekommen sein. Gescheiterten Verhandlungen folgte eine Einigung über ein Schlichtungsverfahren, der in der Schlichtung gefundene Einigungsspruch wurde vom HDF zerrissen, obwohl seine eigenen Vertreter dem Spruch zugestimmt hatten.
Die Beschäftigten reagierten Ende Juli auf den Schlingerkurs der Arbeitgeber: Mit Warnstreiks und Unterschriftenaktionen demonstrierten sie für die Annahme des Schlichtungsergebnisses. Besonders pikant: Die erstmalige Berufung eines Schlichters zur Lösung des Tarifkonflikts war ein Vorschlag der Arbeitgeber, auch der Schlichter selbst wurde vom Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) vorgeschlagen. Die IG Medien akzeptierte sowohl den Verfahrensvorschlag als auch die Person des Schlichters, um nach dem Abbruch der regulären Tarifverhandlungen alle Chance für eine Einigung auszuloten. Die Arbeitgeber fuhren die Verhandlungen allerdings kaltschnäuzig an die Wand.
Die direkten Verhandlungen mit den Kino-Arbeitgebern waren am 30. Juni gescheitert. Der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) hatte die IG Medien in der dritten Verhandlungsrunde ultimativ aufgefordert, ein „Angebot“ zur Erhöhung der Löhne und Gehälter um 0,8 Prozent anzunehmen. Als die IG Medien dies ablehnte, erklärte der HDF das Scheitern. Kurz darauf verständigten sich die Tarifvertragsparteien dann auf das Schlichtungsverfahren. Und bereits am 9. Juli schien dann alles klar zu sein: Die gemeinsame Schlichtungskommission der IG Medien und des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater unter Vorsitz des neutralen Schlichters Professor Dr. Peter Hanau stimmte mehrheitlich einem Vorschlag des Schlichters zu, die Löhne und Gehälter ab 1. Juli 1998 bei einer Laufzeit von zwölf Monaten um 2,9 Prozent zu erhöhen. Die Jahresleistung sollte von 500 auf 600 DM angehoben werden, die strittige Frage der tariflichen Einstufung von Großkinos in separaten Gesprächen gelöst werden.
Doch wer glaubte, der Tarifkonflikt sei nun beendet, wurde von den Hardlinern des HDF eines besseren belehrt. Der Verband brüskierte seine Schlichtungskommissionsmitglieder – und nicht zuletzt den Schlichter – und lehnte den Kompromiß ab. Begründung: 2,9 Prozent seien zu teuer. Die Beschäftigten sahen darin vor dem Hintergrund boomender Filmtheater zurecht eine Provokation. Als besonders empörend empfinden viele die Zumutung der Arbeitgeber, die Beschäftigten sollten mit niedrigen Lohnsteigerungen einzelne Fehlinvestitionen der Arbeitgeber ausbügeln. „Es kann doch nicht wahr sein, daß wir dafür bezahlen sollen, wenn sich die großen Multiplexbetreiber in einzelnen Städten durch unsinnige Investitionen gegenseitig ruinieren“, schimpft IG Medien-Verhandlungskommissionsmitglied Karl-Heinz Belz von den Heidelberger Ufa-Kinos.
Warnstreiks gegen HDF-Hardliner
Unmittelbar vor einem zweiten Schlichtungsgespräch am 22. Juli, bei dem noch einmal ein Rettungsversuch unternommen werden sollte, schlug die Empörung in erste Warnstreiks um. In den UCI-Kinos in Hürth bei Köln und Berlin (Zoo-Palast) legten Beschäftigte die Arbeit nieder, ebenso im Cinedom in Köln sowie in weiteren Kinos in Heidelberg, Saarbrücken und Berlin. Der zweite Schlichtungstermin wurde zu einem Fehlschlag, weil der HDF die Situation noch einmal verschärfte: 2,9 Prozent könne man sich nur bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwei Jahren vorstellen. Dies hätte auf das Jahr bezogen eine minimale Tariferhöhung um 1,45 Prozent bedeutet.
Im späteren Verlauf des Schlichtungsgesprächs machte der HDF weitere Vorschläge, die aber alle daran krankten, daß sie weit unter den Vorgaben des ursprünglichen Schlichtungsspruches blieben. Die IG Medien bot dem HDF an, die Laufzeit des Tarifvertrags bei Wahrung des Schlichtungsspruches von 2,9 Prozent auf 15 Monate zu verlängern und die Jahresleistung auf 750 DM festzulegen – vergebens. Erneut machten die HDF-Hardliner, vor allem die Vertreter der Ufa-Kinos und des UCI-Konzerns, alle Bemühungen zunichte. Die IG Medien kündigte daraufhin an, den Arbeitskampf nun auszuweiten.
Nach dem letzten Ausloten aller nur denkbaren Möglichkeiten für eine Einigung am Verhandlungstisch zog die IG Medien die Konsequenz aus der HDF-Blockade und kündigte an, nun die einzelnen Unternehmen zu Haustarifverträgen aufzufordern. Die Aufnahme von Firmentarifverhandlungen solle sich zwar nicht grundsätzlich gegen den Flächentarifvertrag richten, betonte der IG-Medien-Verhandlungsführer Manfred Moos. „Für uns ist der Flächentarifvertrag aber kein Selbstzweck, insbesondere dann nicht, wenn er nur noch dazu benutzt werden soll, auf Dauer einen Niedriglohnsektor zu zementieren“, sagte Moos angesichts der Tatsache, daß die tariflichen Monatseinkommen der meisten Kinobeschäftigten derzeit zwischen 1.856 und 2147 DM brutto liegen. Dies seien „bei weitem keine existenzsichernden Einkommen“.
Firmentarifverhandlungen – es geht um mehr als Prozente
Bei Firmentarifverhandlungen wird es nicht nur um Lohnerhöhungen gehen. Die 5-Tage-Woche sowie der Anspruch auf sechs Wochen Urlaub stehen neben deutlichen Erhöhungen der Vergütungen ganz oben auf der Forderungsliste. Außerdem soll die Ortsklassenregelung des bisherigen Tarifvertrags abgeschafft werden, die eine unterschiedliche Bezahlung in Städten unter und über 100.000 Einwohnern vorsieht.
Für die IG Medien hat die Auseinandersetzung auch grundsätzliche Bedeutung. „Die Kinobranche steht beispielhaft für die Entwicklung im Bereich der Unterhaltungsindustrie und der neuen Dienstleistungsunternehmen“, betont Manfred Moos. Extrem niedrige Löhne, hohe Anforderungen an die Flexibilität der Beschäftigten und ein hoher Anteil an Nacht- und Wochenendarbeit seien die Regel in diesen Bereichen. Gleiches gelte auch für die Zusammensetzung der Belegschaften: „Typisch sind ein hoher Anteil an Teilzeitbeschäftigten und 620-DM-Kräften.“ Für die Gewerkschaft bedeute dies eine völlig andere Herausforderung als in den klassischen Industriebereichen. Dieser Herausforderung müsse und werde sich die IG Medien aber stellen.