zur Grundstruktur einer neuen Gewerkschaft im Dienstleistungssektor, der dienstleistungnahen Industrie, im Medien-, Kultur- und Bildungsbereich
Nachdem die höchsten Beschlußgremien zwischen den Gewerkschaftstagen von DAG, HBV, Postgewerkschaft, ÖTV, GEW und IG Medien die „politische Plattform“ gebilligt haben, legte der Lenkungsausschuß eine Ideenskizze zur Grundstruktur der neuen Gewerkschaft vor. Auf zwölf regionalen Foren wurde in den vergangenen Wochen darüber diskutiert. Die GEW hat sich unterdessen aus dem Projekt „vorläufig“ zurückgezogen.
Unter anderem sollten aus den Foren „Botschaften“ an den Lenkungsausschuß formuliert werden: „Transparente und mitgliederfreundliche Organisationsstruktur mit weitgehender Eigenständigkeit der Fachbereiche“ lautet eine Botschaft, die in unterschiedlichen Varianten formuliert wurde. Beim Forum in Berlin und in Lübeck signalisierte ein Blitz auf der Pinnwand, daß über diese Selbstverständlichkeit kein Konsens hergestellt werden konnte. In Lübeck ging ein ÖTV-Kollege sogar soweit und sagte: „Wo kämen wir hin, wenn jeder Friedhofsgärtner mitbestimmen würde? – Das gilt selbstverständlich auch für Lehrer und Journalisten.“ Ein anderer ÖTV-Kollege ist der Meinung, daß man die „Ehrenamtlichkeit“ nicht überbewerten soll und daß für ihn weiterhin gewährleistet sein muß, daß Hauptamtliche eine Kontrollfunktion ausüben – „sonst wird das ganze zu unübersichtlich.“
Und jetzt sind einige darüber verwundert, daß die GEW ausgestiegen ist. Sie hatte unter anderem für sich reklamiert, daß sie in der neuen Gewerkschaft die Hoheit über die Bildungspolitik haben sollte, während andere Bildungspolitik als branchenübergreifendes Politikfeld, angesiedelt bei einer Stabsstelle beim Gesamtvorstand sahen. Der Konflikt ist bei den Themen Zentralität und Dezentralität sowie Zuordnung von Kompetenzen zwischen Gesamtorganisation und Fachbereichen aufgebrochen.
In der Öffentlichkeit soll die neue Gewerkschaft als machtvolle Gesamtorganisation wahrgenommen werden. Die Nähe zum Beruf oder der ausgeübten Tätigkeit soll sich in Fachbereichen wiederspiegeln und Mitgliedernähe gewährleisten. Bei der organisatorischen Ausgestaltung der Binnenstruktur soll nach dem Wilen des Lenkungsausschusses ein möglichst „ausgewogenes Verhältnis zwischen Fachbereichsstrukturen und Gesamtorganisation“ entwickelt werden.
Nach der bisherigen Grobplanung wird die IG Medien am wenigsten auseinandergerissen. Zum bisherigen Organisationsbereich sollen die Bereiche Telekommunikation, Datenverarbeitung und Informationstechnologie dazukommen. Umstritten ist, was mit dem Bereich „Kunst und Kultur“ geschieht. Bleibt er bei der Säule „ehemalige IG Medien“, wird es ein eigener Bereich oder wird die Bildungssäule um Kunst und Kultur erweitert? Kunst- und Kulturschaffende sind zur Zeit in drei Gewerkschaften – ÖTV, DAG und IG Medien – organisiert. Zur Mediensäule werden Mitglieder der HBV, DAG und Postgewerkschaft kommen. Aber auch die „Öffentlichkeitsmenschen“ – also die Beschäftigten der Pressestellen in Kommunal- und Landesverwaltungen – gehören im Prinzip zu Medien. In der „Feinplanung“ wird man hier noch viele Unklarheiten beseitigen müssen.
Die „gewerkschaftliche Musik“ soll da spielen, wo die Mitglieder sind: In den Redaktionen, Betrieben, Verwaltungen, Schulen, Universitäten und Wohnquartieren. Orts- und Betriebsgruppen, Vertrauensleutekörper und Tarifkommissionen sollen die „Basiseinheiten“ der neuen Gewerkschaft sein. Für die Gesamtorganisation ist ein dreigliedriger Aufbau – Ort/Betrieb, Region/Land und Bund – vorgesehen. Die Fachbereiche sollen in allen Ebenen vertreten sein.
Als Organisationsmodell wurde ursprünglich über Branchensäulen und Fachgewerkschaften diskutiert (siehe hierzu Detlef Hensche „Neue Formen der gewerkschaftlichen Arbeit“ in IG Medien-Forum 3-4/98, Seite 20ff). Davon steht in der Ideenskizze nichts mehr. Weil es bei den beteiligten Gewerkschaften keine „einheitlich verwendete Begrifflichkeit“ gibt, wählte man stattdessen den Begriff „Fachbereiche“; hiervon soll es zwischen acht und 15 geben. Wo nötig, sollen sie berufsgruppenspezifische Untergliederungen bekommen. Die Trennung von öffentlichen und privaten Bereichen ist nur sinnvoll, wenn der öffentliche Bereich „ausdrücklich geschützte staatliche Hoheitsbereiche“ umfaßt.
In der Kompetenz der Fachbereiche liegt die Betreuungsarbeit der Mitglieder, die Tarif-, Branchen- und Berufspolitik und die Mitgliederwerbung. Aber: Die „Gesamtorganisation möchte auch Kompetenzen“: So heißt es im Absatz „Aufgaben- und Funktionsbestimmung“, eine starke Gesamtorganisation erfordere eine einheitliche Führung. Diese müsse die Kompetenz haben, „Letztentscheidungen“ zu treffen. Als Beispiel wird die „Herstellung einer verbindlichen Tarifkoordination sowie die Sicherstellung eines Letztentscheidungsrechts über Art und Umfang von Arbeitskampfmaßnahmen“ genannt. Das wird mit der Notwendigkeit einer gemeinsamen Tarifpolitik in fachbereichsübergreifenden Bereichen und wegen verallgemeinerungsfähigen Tariffeldern – Stichwort Arbeitszeit – begründet. Wie wird gewährleistet, daß „Basisentscheidungen“ nicht im Interesse des „Großen und Ganzen“ – was immer das dann sein mag – untergebügelt werden? Auf Bundesebene sollen branchenübergreifende Arbeitsfelder wie Wirtschafts-,Mitbestimmungs- und Technologiepolitik, Bildungs-, Medien- und Kulturpolitik, gewerkschaftliche Bildungsarbeit, Sozialpolitik, Arbeits- und Sozialrecht angesiedelt werden. Das gilt auch für die Bereiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Justitiariat, Organisationspolitik, Internationales und politische Grundsatzfragen.
Beim Benennen dieser Aufgabenfelder muß den Autoren klar geworden sein, daß sie sich hier auf „heißem Boden“ bewegen: Gleich zweimal wird darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeiten der „Gesamtorganisation und der Fachbereiche“ noch zu klären ist. Es scheint so, als sei der Lenkungsausschuß bemüht, daß die Quadratur des Kreises doch gelingt. Eine erste Konfliktlinie wird bereits angedeutet: Je feingliedriger der Organisationsaufbau ist, mit satzungsrechtlichen Kompetenzen und eigenem finanziellem Budget, desto größer wird das Spannungsverhältnis zu einem effizienten Ressourceneinsatz eingeschätzt. Weil aber betont wird, daß die neue Gewerkschaft mehr sein soll als nur die „summarische Zusammenführung und Verschmelzung“, stellt sich hier die Frage: Wieviel Eigenständigkeit bekommen die Fachbereiche wirklich?
Als ganz wichtig wird die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder angesehen. Sie sollen in allen „Prozessen der Willensbildung und Entscheidungen“ eingebunden sein. Hier wird in der Skizze betont, daß die Möglichkeiten der aktiven Teilnahme am gewerkschaftlichen Geschehen weiterentwickelt werden muß: „Dieser Grundsatz soll sich bei der Gestaltung von Gremienstrukturen und offenen Arbeitsformen widerspiegeln.“
Auch hier die Frage: Wie wird vermieden, daß „effizienter Ressourceneinsatz“ nicht zum Totschlagargument wird? Dissens herrscht darüber, wie eng oder wie weit die Fachbereiche geschnitten werden können. Die Autoren sind der Meinung, daß vieles dafür spreche, sie eher weit zu fassen. Begründung: Damit die Struktur in sich flexibel bleibt und ökonomische Veränderungen intern aufgefangen werden können. Dadurch sollen auch flächendeckend ehren- und hauptamtliche Strukturen gewährleistet werden. Weiter soll das Aufkommen betriebs- und teilbranchenorientierte Egoismen bei Haupt- und Ehrenamtlichen begrenzt werden. Am ehesten ist dadurch ein Ausgleich zwischen großen und kleinen Untergliederungen möglich.
Auf Nachfrage geben die Autoren der Skizze zu, daß man in vielen Detailfragen zu „einerseits/andererseits“-Antworten neige. Weil es bei der Neuorganisation keinen Königsweg gebe, müsse man prozeßhaft an die Sache herangehen. Das beinhalte auch, daß es zunächst nicht auf alle Fragen bereits fertige Antworten gebe. Die neue Gewerkschaft wird auch nicht von jetzt auf gleich entstehen. Im nächsten Schritt wird man sich über ein Phasenmodell, wie der Übergang von den jetzigen Organisationen zur neuen Gewerkschaft gestaltet wird, verständigen müssen.
Durch den „vorläufigen“ Rückzug der GEW wurde bereits eine Chance vertan: Die Vision einer einheitlichen Bildungsgewerkschaft war greifbar nahe. Die jetzt über mehrere Gewerkschaften verteilte „Wertschöpfungskette“ Bildung, Erziehung, Wissenschaft und Forschung hätte man in einem Fachbereich organisieren können.