Medienpolitischer Zynismus

Wolfgang Clements Ideen zur Pressefusionskontrolle – Gewerkschaften befürchten Konzentrationswelle

Proteste von ver.di und DJV, scharfe Kritik durch Kartellrechtler und Medienexperten, dazu noch offener Streit im BDZV … Wolfgang Clements Idee einer Reform der Pressefusionskontrolle findet nur wenige Freunde. Die aber sind mächtig, es sind die großen Verlagsgruppen und Konzerne, denen Clement mit seinem Gesetzesentwurf ein großzügiges Geschenk macht.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) schreibt vor, ab welcher Größenordnung „Zusammenschlüsse“ (Fusionen, Aufkäufe) von Unternehmen durch das Kartellamt zu prüfen, zu genehmigen oder zu verbieten sind. Wenn zwei Unternehmen, zusammen genommen, mehr als 500 Millionen Euro weltweit und eines davon mindestens 25 Millionen Euro Umsatz im Inland macht, ist der Zusammenschluss genehmigungspflichtig. Diese Umsatzgrößen nennt man „Aufgreifschwellen“.

Das Kartellamt hat zu prüfen, ob es durch den Zusammenschluss zu einer „marktbeherrschenden Stellung“ kommt. Zunächst wird der jeweilige Markt – „Bedarfsmarkt“ – ermittelt und untersucht. Dabei unterscheidet das Kartellamt im Fall von Zeitungsverlagen zwischen mehreren Märkten: Kaufmarkt, Abo-Markt, teilweise auch unterschiedliche Anzeigenmärkte.

Wenn durch den Zusammenschluss auf einem dieser Märkte vermutlich eine marktbeherrschende Stellung entstehen würde, ist dieser zu untersagen. Es sei denn, es können auch wettbewerbsfördernde Effekte nachgewiesen werden. Oder aber es geht um die Existenz von einzelnen Unternehmen („Sanierungs-Fusion“). Der Ermessensspielraum des Kartellamtes ist entsprechend groß und in der Vergangenheit durchaus großzügig ausgenutzt worden.

Pressefusionskontrollgesetz aus dem Jahr 1976

Zusammenschlüssse von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen unterliegen den selben Prüfkriterien wie die anderer Unternehmen anderer Branchen. Nur eine Ausnahme sieht das Gesetz vor: Für Zusammenschlüsse von Presseunternehmen gilt eine „Aufgreifschwelle“ von lediglich 25 Millionen Euro Jahresumsatz. Diese Sonderregelung wurde durch das Pressefusionskontrollgesetz 1976 festgelegt. Gründe waren damals zum einen das rasante Zeitungssterben in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und zum anderen der beschleunigte Konzentrationsprozess.

Diese dramatische Entwicklung hatte nicht nur Gewerkschaften und Medienpolitiker auf den Plan gerufen, sondern auch „klassische“ Wettbewerbsrechtler, die – wie heute Dr. Böge, Präsident des Bundeskartellamtes – Sonderbestimmungen für Presseunternehmen abseits publizistischer Erwägungen verlangten. Sonderbestimmungen gibt es im GWB auch für andere Branchen. Sie leiten sich aus Besonderheiten der jeweiligen Märkte ab.

Während die medienpolitischen und publizistischen Überlegungen auf ein Presserechtrahmengesetz zielten, reichte den Wettbewerbspolitikern eine strikt ökonomisch-ordnungspolitische Regulierung. Insofern stellte und stellt die Pressefusionskontrolle für Gewerkschaften und Medienpolitiker lediglich ein Kompromiss auf halbem Wege dar.

Pressefusionskontrolle in der Praxis

Würde man die Pressefusionskontrolle ersatzlos aus dem Kartellrecht streichen, wäre damit kein einziger der umstrittenen Presse-Zusammenschlüsse erledigt. Wenn Bertelsmann, Gruner + Jahr, der Axel-Springer-Verlag, Holtzbrinck, WAZ, aber auch FAZ oder DumontSchauberg, Madsack oder die Südwest-Presse (Medien-Union) kaufen wollen, würden sie auch der allgemeinen Fusionskontrolle unterliegen. So hätte eine Streichung der Presse-Klausel am Streit um den Kauf der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck nichts geändert.

Einen wirklichen Handlungsbedarf hat noch keiner nachweisen können. Der Präsident des Kartellamtes hat dazu Zahlen genannt: In den Jahren 1995 – 2001 hatte das Amt mehr als 11.000 Fusionen zu prüfen. Davon betrafen 80 Fälle Presseunternehmen, lediglich in acht Fällen wurde die Genehmigung des Zusammenschlusses verweigert. Auch das stereotype Argument, nur durch Deregulierung sei das Überleben kleinerer Verlage zu sichern, entbehrt jeder Grundlage. Jedesmal, wenn ein Verlag als eigenständiges Unternehmen nicht mehr existieren konnte, hat das Kartellamt die „Sanierungsfusion“ – manchmal mit Auflagen (Trennung von Redaktionen) – genehmigt.

Gleiches gilt für die immer wieder erhobene Forderung nach besseren „Kooperationsmöglichkeiten“. Auch hier sind die Belege für einen Handlungsbedarf ausgeblieben, statt dessen muss man auf die weit verbreiteten Kooperationen im Anzeigengeschäft, im Vertrieb und in der Drucktechnik verweisen.

Gesetzentwurf mit der Handschrift des Ministers

Was nun aus dem Hause Clement – allerdings mit der sehr persönlichen Handschrift des Ministers – vorgelegt worden ist, stellt gleichermaßen die Pressefusionskontrolle als auch die gesamte Logik des Wettbewerbsrechts auf den Kopf.

Im Wesentlichen handelt es sich um zwei Änderungen.

  • Die „Aufgreifschwelle“ soll von 25 auf 50 Millionen Euro herauf gesetzt werden.
  • Grundsätzlich soll eine marktbeherrschende Stellung dann akzeptiert werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Der Altbesitzer oder ein Dritter müssen weiterhin mindestens 25 Prozent Anteile an dem verkauften Titel, die Titelrechte sowie Veto-Recht im Fall der Einstellung des Titels und die letzte Entscheidung über die Inhalte (etwa durch Berufung und Absetzung von Chefredakteuren) behalten. Ausgeschlossen werden soll aber auch, dass der Käufer durch zuvor bestehende Beteiligungen Druck auf den Verkäufer ausüben kann.

Fälschlicherweise wird der Clement-Vorschlag „Redaktions-Modell“ genannt. Tatsächlich ist es ein „Gesellschafter-Modell“. Und in beiden möglichen Fällen – entweder wird der Altbesitzer oder aber ein Dritter Minderheitsgesellschafter – wird einer Strohmann-Publizistik Tür und Tor geöffnet. Es können aber auch Konzerne im Verbund binnen kurzer Zeit riesige Flächen unter sich aufteilen. Sie müssen nur sich oder eine ihrer Tochterfirmen jeweils als Minderheits- oder Mehrheitsgesellschafter einsetzen.

Hinzu kommt, dass das Kartellamt die Einhaltung des Gesellschaftervertrages fortlaufend kontrollieren soll. Es darf dies aber nicht anhand von Inhalten tun, denn das ist verfassungsrechtlich untersagt. Es darf – wenn es überhaupt Kapazitäten dafür frei hat – lediglich die Formalitäten prüfen. Sagt ein Minderheitengesellschafter zu jedem Beschluss, egal ob in Bezug auf Inhalte oder Einstellung des Titels, nicht Nein, sind die gesetzlichen Auflagen erfüllt.

Die Pointe des Ganzen jedoch ist die Begünstigung von Verlags- und Medienkonzernen gegenüber Unternehmen anderer Branchen. Werden nämlich alle Formalitäten des Gesellschaftervertrages erfüllt, findet eine Fusionskontrolle überhaupt nicht mehr statt. Das kommt einer Generalöffnungsklausel für Presseunternehmen gleich und stellt die Logik des allgemeinen Wettbewerbsrechts auf den Kopf. Wie es von ver.di zusammengefasst wurde: Aus Pressefusionskontrolle wird Pressefusionsförderung.

Verwirrte Verleger

Auch wenn in der Diskussion über die Pressefusionskontrolle immer wieder von der „Zeitungskrise“ die Rede ist, haben die Initiativen zur Deregulierung des Kartellrechts nichts mit der Branchenkrise zu tun. Im Gegenteil, schon im Sommer des Boom-Jahres 2000 sind die Großverleger im Ministerium vorstellig geworden. Unterstützung im BDZV hatten sie nicht.

Der BDZV hat nur mit Mühe zu einer eigenen Position finden können und dies auch nur in Gestalt von wenig haltbaren Kompromissen. Noch auf dem Zeitungskongress 2003 wies der Präsident des BDZV, Heinen, alle Vorschläge ab, die eine gesetzliche Festschreibung eines Redaktions- oder Gesellschaftermodells beinhalteten. Das war eine klare Absage an Hotzbrinck und WAZ: Die kleinen und namentlich die Familienunternehmen hatten sich damals im BDZV gegen die Großen durchgesetzt. Gefordert wurde dann, als Kompromiss, eine Heraufsetzung der Aufgreifschwelle auf 100 Millionen Euro.

Damals gab es noch ein Bündnis des Axel-Springer-Konzerns mit den kleinen Verlagen. Denn Springer fürchtete mit einer Neuregelung Marktverluste auf dem Berliner Zeitungsmarkt. Mit der Jahreswende kam aber auch die Wende im Hause Springer. Nun sah man bundesweit die Vorteile für sich selber größer als die Nachteile auf dem Berliner Markt. Dr. Döpffner pries den Referentenentwurf und kündigte die Bildung ganzer „Regionalketten“ an.

Stürmisch muss es im BDZV zugegangen sein, jedenfalls einigte man sich in letzter Minute im Januar auf einen Formelkompromiss, dem Clement zwar weit entgegen kam, der aber eher als reine Tendenzaussage gedacht war. Dann wendete sich das Blatt erneut. Denn nun bekamten die Mitglieder die ausgearbeitete Stellungnahme des BDZV zu lesen, und die Rebellion der Kleinen begann von Neuem.

Bedrohliches Szenario

Die Strategie der Verlagskonzerne zielt schon länger auf einer Entkoppelung von Verlagsbereichen und Redaktionen. Größere, wenn nicht sogar umfangreiche „ökonomische Plattformen“ sollen durch Zusammenschluss von Anzeigen- und Vertriebsbereichen hergestellt werden. Damit würde eine enorme Marktmacht entstehen, der kleinere und unabhängige Zeitungsverlage kaum widerstehen können. Die selbe Macht könnte fusionierende Verlagseinheiten auch gegenüber Anzeigenkunden entwickeln, worauf warnend Dr. Böge hinweist.

So erweist sich das gesamte Konzept als ein medienpolitischer Zynismus: Mit dem Ende der Anbietervielfalt geht der Angebotsvielfalt die letzte Sicherung verloren.

Martin Dieckmann
Fachgruppenleiter Verlage und Agenturen beim ver.di-Bundesvorstand

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