Glück mit Bärenpreis

Berlinale: Nach 18 Jahren wieder Gold für deutschen Film

Der Jubel am Ende war groß: Fatih Akin, ohnehin Publikumsliebling der 54. Berliner Filmfestspiele, hat für „Gegen die Wand“ einen Goldenen Bären gewonnen. Das ist zweifellos eine Sensation für das Festival und seinen Chef Dieter Kosslick, der endlich einmal dafür belohnt und bestätigt wird, sich mit Verve für das deutsche Kino stark zu machen. Denn der letzte Goldene Bär für Deutschland liegt – mit Reinhard Hauffs „Stammheim“ – 18 Jahre zurück.

Allerdings hat Akin, der seine Geschichte über die 20-jährige deutsch-türkische Sibel, die mit einem doppelt so alten Mann eine Zweckehe eingeht, um dem fundamentalistischen Dunstkreis ihrer Familie entfliehen zu können, auch in vieler Hinsicht Glück gehabt. Ursprünglich wollte der Hamburger mit „Gegen die Wand“ in die Nebensektion Panorama, sattelte aber Kosslick zuliebe um, der unbedingt eine zweite deutsche Produktion im Wettbewerb verankern wollte.

Warum Kosslick stattdessen nicht Achim von Borries‘ fesselndes Jugenddrama „Was nützt die Liebe in Gedanken“ mit einem in Mimik und Gestik phänomenalen August Diehl in die Konkurrenz geschickt hat, das wiederum nur im Panorama lief, bleibt sein Geheimnis. Zudem hat Akin davon profitiert, dass sein einziger deutscher Konkurrent Romuald Karmakar ausgerechnet mit einem Beziehungsdrama vertreten war, das rundum für Negativschlagzeilen sorgte: „Die Nacht singt ihre Lieder“, als verfilmtes Theater vermeintlich an Fassbinders Ästhetik orientiert, tatsächlich aber langweilig und unfreiwillig komisch mit endlosen Reprisen wie „Ich halt‘ das nicht mehr aus“. Dagegen war der deutsche Film im vergangenen Jahr kurioserweise mit „Good-Bye Lenin!“, „Lichter“ und „Der alte Affe Angst“ weitaus stärker und besser vertreten. – Drei Produktionen, die vielleicht einfach das Pech hatten, an eine Jury zu geraten, die andere (politische) Prioritäten setzen wollte.

Immerhin: „Gegen die Wand“ lässt sich latent als eine Stellungnahme zur schwelenden Kopftuchdiskussion interpretieren, zeigt Akin doch, dass muslimische Frauen oftmals gar nicht die Wahl haben. Der Film hat allerdings auch gravierende Schwächen, und zwar liegen die nicht nur in der etwas unglaubwürdig eingefädelten plötzlichen Amour Fou zwischen Sibel und ihrem auserwählten Bräutigam. Auch die Sexualität wird einmal mehr grenzenlos überbewertet, beschränken sich doch Sibels Probleme darauf, permanent mit irgendwem ungeniert „ficken“ zu können.

Frauen stark vertreten

Nachdem auf einer Berlinale rundum die Frauen so stark vertreten waren, ist es so gesehen ein wenig schade und verwunderlich, dass die Jurorinnen (u.a. Frances McDormand, Valeria Bruni Tedeschi und Samira Makhmalbaf) ihre Entscheidungsmacht nicht dazu genutzt haben, auch entsprechende Frauenleistungen zu honorieren. Zumindest Patty Jenkins, die mutig für eine Serienmörderin Verständnis weckt, die in die amerikanische Kriminalgeschichte als „Monster“ einging, deren Taten aber teils aus Notwehr, teils aus Ekel und Abscheu vor schmierigen Familienvätern und widerlichen Perversen resultierten, hätte man einen Preis gegönnt. Dabei hätte es sich geradezu angeboten, den Regiepreis zu teilen, zumal der koreanische Regisseur Kim Ki-Duk, den die Jury für „Samaria“ prämierte, eine thematisch ganz ähnliche Richtung einschlägt: Wie die Prostituierte Eileen Wuornos alias Charlize Theron rastet in seinem Film ein Polizist aus und geht mit Gewalt gegen Kinderschänder vor, als er beobachtet, dass sich seine eigene Tochter auf sie einlässt. Überhaupt Charlize Theron: Sie war der größte Star dieses Festivals, und zwar nicht nur, weil sie sich für „Monster“ 15 Kilo angefressen- und bis zur Unkenntlichkeit verwandelt hatte, vielmehr, weil man dem blonden Ex-Model nie und nimmer die Bewältigung einer so großen schauspielerischen Herausforderung zugetraut hätte.

Dafür hat sie den Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin verdient. Dass sie ihn mit Catalina Sandino Moreno teilen musste, die in dem spanischen Beitrag „Maria voll der Gnade“ authentisch eine schwangere Kolumbianerin spielt, die sich mit 62 Beuteln Rauschgift im Magen als Drogenkurierin anheuern lässt, ist dabei nur insofern eine Verlegenheitslösung, als dass die Bärenpreise bei einer starken Konkurrenz einfach nicht ausreichen. So schwach, wie manche Kritiker behaupteten, war dieser Jahrgang gar nicht.

Im Gegenteil: Der Berlinale ist es hoch anzurechnen, dass sie solche, aus frauenpolitischer Sicht bedeutenden Produktionen fördert. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem vergangenen Jahr. Auch für künstlerisch anspruchsvolle Filme wie Angelopoulos‘ „Die Erde weint“ oder Cedric Kahns „Feuxrouges“ zeigten sich Juroren und Kritiker diesmal seltsam unempfänglich. Sind viele Cineasten vielleicht doch Banausen, wie Karmakar auf seiner Pressekonferenz vermutete? Übrigens: Wer verdient nun eigentlich eine Rüge? Karmakar, an dem vor allem die deutsche Tagespresse seiner harschen Publikumskritik wegen kein gutes Haar ließ, oder seine Widersacher, die sich durch ihr albernes Gelächter und ihr unflätiges Benehmen während der Pressevorführung blamiert hätten, wie die österreichische Presse meint? Auch darüber sollte man einmal nachdenken. Schließlich gibt es ja eine ganz simple Lösung, sein Missfallen an einem Film zu bekunden: Vorzeitig aufstehen und den Kinosaal verlassen.

 

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