Überversorgung und Sendelöcher

Frequenzgutachten in Nordrhein-Westfalen umstritten

Eigentlich sollte es bei der Pressekonferenz ja darum gehen, wie die Sender des NRW-Lokalfunks besser empfangen werden können. Aber von Forderungen für die Lokalsender sprachen die Herren auf dem Podium in Köln schließlich nur am Rande. Ein größeres Anliegen schien ihnen zu sein, daß es möglichst bald ein neues landesweites Privatfunkprogramm gibt.

Geladen hatten die NRW-Landesanstalt für Rundfunk (LfR), die Betriebsgesellschaften der Lokalsender und ihr Mantelprogramm-Betreiber Radio NRW, um ein gemeinsames Frequenzgutachten vorzustellen. An den Ergebnissen, die die Auftragnehmer der Studie als Computergrafiken auf eine Leinwand projizierten, konnten sich die Privatfunker gar nicht satt sehen. „Zeigen Sie doch bitte nochmal die Karte mit der WDR-2-Versorgung“, bat man die Techniker von der Telekom und der Firma L&S Hochfrequenztechnik nach Abschluß ihrer Präsentation. Die Grafik war in der Tat eindrucksvoll: Fast das ganze Nordrhein-Westfalen eine knallrote Fläche, die anzeigt wo WDR 2 an mindestens vier Stellen der Frequenzskala empfangen werden kann.

Lokalfunk unterversorgt

Traurig dagegen die Lage der Lokalfunker. Da gibt es Landkreise, in denen laut Gutachten nur weniger als die Hälfte der Einwohner ihren Lokalsender hören können, in Unna, Wesel, Krefeld und Kleve. In nur 27 der 46 Sendegebiete sind 90 Prozent der Hörer mit „ihrem“ Lokalsender versorgt, schreiben die Gutachter – wenn sie eine Dachantenne in zehn Metern Höhe haben. Mit einer niedrigen Stabantenne wie beim Autoradio stünden gar nur 13 Sendegebiete entsprechend gut da. Ein Chefredakteur atmete erleichtert auf: Endlich wisse er, so Elmar Thyen von Radio Unna, warum die Höreranalysen für ihn so schlecht ausfallen: Es liege nicht am Programm, sondern an der schlechten Empfangbarkeit.

Die Aussage des Gutachtens ist klar: Ein allerorten blendend zu hörender Westdeutscher Rundfunk horte Frequenzen, um möglichst wenig Konkurrenz aufkommen zu lassen. Der WDR könne Sender mit geringerer Leistung fahren oder Frequenzen abgeben.

Die Privatfunker erbost es, daß der WDR es sich leisten kann, auf einer bisherigen WDR 2-Frequenz 103,3 MHz ab Mai das „Funkhaus Europa“ zu senden, ein eigenes 24-Stunden-Multikulti-Programm (siehe „M“ 3/99) und damit auf einen Schlag mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen zu erreichen. Dazu mußte der WDR auf dieser Frequenz lediglich sein Regionalfenster Essen schließen, eines von neun Fensterprogrammen, in denen der Sender verteilt über den Tag insgesamt 23 Minuten Nachrichtenschnipsel aus der jeweiligen Region ausstrahlt. Die kleinen Überbleibsel der einst großflächigen Hörfunk-Regionalisierung lieferten die Begründung dafür, daß WDR 2 mit demselben Programm fast den ganzen Tag über vierfach zu empfangen ist.

Runder Tisch für komplizierte Situation

Auf Initiative der Landesanstalt für Rundfunk haben sich erst einmal die Vertreter der beteiligten Sender (WDR, Radio NRW, Lokalsender-Betriebsgesellschaften und Deutschlandradio) an einen „runden Tisch“ begeben, um die Frequenzsituation zu besprechen. Allerdings dürfte es schwer sein, allein durch einen Verzicht des WDR auf einige Kilowatt und Megahertz den 46 Lokalsendern mehr Platz zu schaffen. Die Lage ist kompliziert Denn aus technischen Gründen könnte nicht jeder Platz, den der WDR räumt, auch tatsächlich einem benachbarten Lokalsender zugute kommen. Manche Sender und Frequenzen sind nur für weiträumige Sendungen geeignet, an anderen Standorten würde es lediglich die Einstrahlung von Sendern aus benachbarten Ländern begünstigen, wenn die Strahlungsleistung vermindert wird.

Zweites privates Landesprogramm für die Jugend

Doch viele halten sich ohnehin mit ihren Überlegungen und Forderungen gar nicht lange bei den Lokalsendern auf. Die Landes-CDU und der Vorsitzende des Lokalfunkausschusses Wolfgang Hahn-Cremer fordern auf Kosten von WDR-Frequenzen ein zweites Programm für Radio NRW, im Einklang mit dem Verband der Betriebsgesellschaften, dem von den Verlegern dominierten wirtschaftlichen Standbein der Lokalradios. Deren Geschäftsführer Udo Becker möchte gerne landesweit per Antenne das jugendlichere „Power Radio“ von Radio NRW hörbar machen, bisher nur in einem Digitalversuch ausgestrahlt, den kaum jemand hören kann. Was das mit Lokalfunk zu tun hat? Becker: „Power Radio“ könne helfen, die Lokalradios zu finanzieren und Radio NRW zu „arrondieren“, das eher von Älteren gehört wird, sagt Becker.

WDR – zweifelnd

Der WDR bezweifelt indes schon die technischen Grundlagen des Frequenzgutachtens, das allein auf Modellrechnungen beruht. Da wurde zum Teil die Einstrahlung von Sendern aus Belgien und Hessen berücksichtigt, die es gar nicht gibt und nach Aussage des technischen WDR-Direktors Dieter Hoff auch in Zukunft nie geben wird. Solche Phantom-Sender schmälern in dem Gutachten den Empfangsbereich der Lokalradios in den Kreisen Unna und Kleve und anderswo an den Rändern des Bundeslandes.

Laut Hoff sind dafür zum Beispiel Sender in Belgien verantwortlich, die zwar international genehmigt wurden, die die Belgier aber nie in Betrieb nähmen, weil sonst eigene Lokalsender nieder sendeten. Die Überlappungen der Sendegebiete seien unvermeidbar und notwendig, um das Land zu 100 Prozent mit den WDR-Programmen zu versorgen. Und überhaupt: Die Gutachter hätten nicht die international rechtsverbindlichen Berechnungsverfahren angewendet.

Eine Nachfrage bei der Bundes-Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ergibt allerdings: Die Behörde selbst hat bei einem Frequenzgutachten für Rheinland-Pfalz schon dieselben Berechnungsmethoden angewendet wie jetzt die Gutachter im Auftrage der NRW-Landesanstalt für Rundfunk. Allerdings wurden in dem Rheinland-Pfalz-Gutachten einige per Computer berechnete Empfangsstärken anschließend noch einmal in der Realität nachgemessen und korrigiert.

Lokalfunk außen vor

Die Aussagen von WDR-Hoff wertet Peter Schröder-Metz als „Schutzbehauptungen“. Für Schröder-Metz, Vertreter der IG Medien in der Landesrundfunkkomission, die für NRW-Privatradios zuständig ist, steht außer Frage, daß der WDR Sendeleistung abgeben könnte. Schröder-Metz nennt es einen geschickten Schachzug des WDR, das „Funkhaus Europa“ zu produzieren. Das sei ein „WDR 6“, gegen das niemand heftig argumentieren könne, um nicht in den Ruch von Fremdenfeindlichkeit zu kommen. Allerdings: Wer von den Frequenzen, die der WDR abgeben soll, einmal profitieren sollte, ist für Schröder-Metz längst nicht ausgemacht. Warum eigentlich ausgerechnet ein Radio NRW Nummer 2? Vielleicht möchten die Veranstaltergemeinschaften der Lokalradios ja selbst was machen…

Deutschlandradio hoffnungsvoll

Die allerdings sitzen nicht am „Runden Tisch“ der LfR. Aus Berlin ist dagegen der Intendant des Deutschlandradios zum „Runden Tisch“ nach Düsseldorf gereist. Ernst Elitz frohlockt: Ein so umfassendes Gutachten hätte sich sein Sender nie leisten können. Das Frequenzgutachten bescheinigt dem Deutschlandradio die insgesamt schlechteste Verbreitung aller Sender: Nur 40 Prozent der Nordrhein-Westfalen können danach mit einer Dachantenne den Deutschlandfunk hören, 45 Prozent das Deutschlandradio Berlin.

Entsprechende Daten für das Mantelprogramm Radio NRW und die Lokalfunksender insgesamt nennt die (bisher ausschließlich vorliegende) Kurzfassung des Frequenzgutachtens übrigens nicht. Die Landkarte, die anzeigt, wo Radio NRW mehrfach zu hören ist, zusammen mit unterschiedlichen Lokalsendern, diese Karte fehlt auf den 109 Seiten.

Ob der Deutschlandradio-Intendant ebenfalls meint, der WDR sei überversorgt? Da hält sich Ernst Elitz lieber bedeckt.

Er erwarte jedenfalls als Ergebnis der Konsensgespräche mit dem WDR, daß seine beiden Programme in NRW demnächst landesweit zu 100 Prozent zu empfangen sind, sagt Elitz. Denn, so assistiert sein Justiziar, das Deutschlandradio sei Teil der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung, die nach dem Landesrundfunkgesetz NRW Vorrang vor jedem Privatfunk hat.

Nur der Landtag könnte indes den WDR zwingen, Frequenzen an andere abzugeben. Denn das Landesrundfunkgesetz garantiert dem öffentlich-rechtlichen Landessender alle Frequenzen, die er schon im Jahre 1987 benutzt hat.

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