Jubiläumskongress des BDZV: Umstrittener Gesetzentwurf zur Pressefusionskontrolle – Bundeskanzler wies Kartellamt in die Schranken
Mit Politprominenz und pressepolitischen Debatten feierte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger am 27. / 28. September in Bonn seinen 50. Geburtstag. Es ging um die Pressefusionskontrolle, das Caroline-Urteil und den neuen Trend zur kleinformatigen Tageszeitung.
„Wir wollen das Kartellrecht so verändern, dass, wenn alle Stricke reißen – und gelegentlich reißen sie ja – Zeitungstitel erhalten werden können, auch wenn die wirtschaftliche Basis weggefallen ist.“ Also sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder vor rund 300 Verlegern und Verlagsmanagern im Bonner Maritim und machte sich stark vor allem für die Unterstützung krisengebeutelter mittelständischer Verlage. Dabei sind es in erster Linie die Holtzbrincks, Springers und WAZ-Männer, die die seit 1976 bewährte pressespezifische Fusionskontrolle aufweichen wollen. Auf Details des inzwischen selbst in den eigenen Reihen umstrittenen Gesetzentwurfs aus dem Hause von Bundeswirtschaftsminister Clement ging der Kanzler freilich nicht ein. Lieber schoss er mit grober Munition eine Breitseite gegen Kartellamtspräsident Ulf Böge. Der hatte es gelegentlich gewagt, die Regierungsabsichten öffentlich als pressekonzentrationsfördernd zu brandmarken. „Die Leute im Bundeskartellamt sollen arbeiten und möglichst wenig Interviews geben“, polterte Schröder. Es könne dem Amt nicht gut tun, „wenn da ständig in der Öffentlichkeit herumposaunt wird“ zu Themen, „die noch nicht mal gesetzgeberisch verhandelt worden sind“. Einer „nachgeordneten Behörde“ stehe dies nicht zu.
„Lob“ und schlechte Noten
BDZV-Präsident Helmut Heinen hatte zuvor die „unsinnigen Behinderungen“ kritisiert, aufgrund derer es „auch kleinsten Verlagen verwehrt“ sei, „für ihre wirtschaftliche Absicherung sinnvolle Kooperationen mit Nachbarverlagen einzugehen“. Immerhin: Eine Lieblingsidee Clements, das so genannte Altverlegermodell, scheint vom Tisch. Nach diesem Modell sollten Fusionen unter bestimmten Voraussetzungen (Erhalt beider Zeitungsobjekte als selbständige redaktionelle Einheiten durch den Käufer, Mindeststimmrechtanteil für den Alteigentümer) selbst dann erlaubt sein, wenn ein Verlag dadurch eine marktbeherrschende Stellung erreicht. Umso mehr setzen die Verleger jetzt offenbar auf Kooperationen „bis hin zur Gründung von Gemeinschaftsunternehmen zur Erfüllung bestimmter Verlagsaufgaben“. Allerdings, so Heinen, dürfe die „Verantwortung der Verlage für ihre jeweiligen Redaktionen nicht angetastet“ und müsse die „redaktionelle Vielfalt aufrecht erhalten“ werden.
Ansonsten lobte der BDZV-Präsident die Korrekturen beim Gesetzentwurf zum so genannten „Großen Lauschangriff“, pries die Regierung für ihr juristisches Vorgehen „gegen das unsinnige Brüsseler Verbot“ der Tabakwerbung und ermunterte den Kanzler zu „Standhaftigkeit“ in Sachen „Hartz IV“. Schlechte Noten bekam die Regierung für ihr Vorgehen in der Frage des „Caroline-Urteils“. Man bedaure es „zutiefst“, dass sie der Mahnung von BDZV und anderer Medienverbände nicht gefolgt sei, „Widerspruch gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einzulegen“. Wenn „über Fehlverhalten von Personen der Zeitgeschichte nicht mehr umfassend und schonungslos berichtet werden darf, wird letztlich die Wächterfunktion der Presse ad absurdum geführt“. Hier widersprach der Kanzler. Die Pressefreiheit, so beharrte er, sei in diesem Urteil „in Stein gemeißelt“, Politiker zudem im Gesetz ausdrücklich ausgenommen. „Guter seriöser Journalismus“ werde von dem Urteil nicht negativ berührt. Eine Berichterstattung über die Ursachen von „Hautveränderungen bei Frau X oder Frau Y“ hätten aber mit einem solchen Journalismus nichts zu tun, sagte Schröder.
Mit welchen neuen Produkten können Verlage der Marke Zeitung zu neuem Glanz verhelfen und aus der Krise kommen? Für die Großen der Branche scheint die Frage längst beantwortet. Tabloid heißt das trendige Zauberwort. Auf der Suche nach neuen Zielgruppen gehen immer mehr Verlage dazu über, billige Zeitungen im Berliner Halbformat auf den Markt zu werfen. Als vorerst letzter Großverleger kündigte Mitte September der Kölner Neven DuMont (Express, Kölner Stadtanzeiger) den Start eines weiteren 50-Cent- Blattes an. Der Ableger des Kölner Stadtanzeigers erscheint seit dem 1. Oktober unter dem Titel „direkt“. Pionierarbeit hatten zuvor schon Holtzbrinck mit dem Cottbuser Jugendblatt 20 Cent, dem Boulevard Würzburg und News in Frankfurt / Main sowie Springer mit seiner auf bundesweite Verbreitung angelegten Welt Kompakt geleistet. Beim BDZV-Festakt feierten die Verleger die solcherart nachgewiesene „Innovationskraft der Branche“. Dabei laufen sie in der Spur von britischen und schwedischen Verlegern, die das neue Zeitungsformat wesentlich früher erfolgreich erprobt haben.
Für Holtzbrinck-Manager Michael Grabner bildet die Herausgabe von Tabloid-Formaten Teil einer „Restmarktausschöpfungsstrategie“. Es gebe Lücken im Zeitungsmarkt, die die seit langem unter Auflagenschwund darbenden etablierten Blätter nicht füllen könnten. Der Grund: Sie sind zu teuer, zu groß, zu langsam, zu übergewichtig, zu starr – zumindest in den Augen einer bestimmten Klientel, nämlich der eher zeitungsabstinenten Jugend. Flexible, kleinformatige Zeitungen eröffneten die Chance, auch die Internetgeneration mit Gedrucktem zu erreichen. Dass Holtzbrinck seine Blätter News und 20 Cent zu Dumpingtarifen produzieren und verteilen lässt, erzählte Grabner freilich nicht. Vielmehr empfahl er der Branche, sich an den Produkterneuerungszyklen der Autobranche zu orientieren. Dort würden schließlich alle paar Jahre neue Autotypen entwickelt. Bei den Zeitungen habe es in der Nachkriegszeit mit Bild, taz und Financial Times Deutschland nur drei echte Neugründungen gegeben.
Beim Erfolg von Welt Kompakt handelt es sich „im wesentlichen um eine Markterweiterung“. Meint zumindest Jan-Eric Peters, in Personalunion Chefredakteur von Welt und Berliner Morgenpost. Nach Marktforschungen Springers hätten „mehr als die Hälfte unserer Leser vorher noch gar nicht oder nur selten Tageszeitung gelesen“. Die meisten seien zwischen 18 und 35 Jahre alt, „also genau die Zielgruppe, die wir mit unserem Konzept erreichen wollen“. Daten zum bisherigen Verkauf der kleinen Welt-Schwester mochte Peters einstweilen nicht verraten. Ein anderes Datum spricht allerdings für sich: Die Berliner Teilauflage der großen Welt befindet sich in freiem Sturzflug. Im Vergleich zum Vorjahr fiel der Verkauf im zweiten Quartal 2004 um 43 Prozent auf knapp 15.000 Exemplare. Dies dürfte vor allem auf den im Mai gestarteten Testlauf von Welt Kompakt zurückgehen. Das neue Produkt wurde in der Bundeshauptstadt anfangs gratis verteilt.
Erfolg und Sturzflug
Eher nach einer Erfolgsstory klang der Erfahrungsbericht von Terry Grote, Geschäftsführer des Londoner Independent. Das unter sinkender Auflage leidende Qualitätsblatt war seit November 2003 parallel zur etablierten Ausgabe im Tabloid-Format erschienen. Die britische Leserschaft biss an. Während die Konkurrenz Boden verlor, stiegen die Verkäufe des Independent im ersten Halbjahr 2004 um 16 Prozent. Im Mai stellte der Verlag komplett aufs Halbformat um. Geschäftsführer Grote will indes aus der Formatfrage keinen Fetisch machen. Es gehe am Ende nicht um Größenfragen: „Sie können Menschen durch ein neues Format neugierig machen, aber sobald sie es geprüft haben, kommt es letztlich auf die Inhalte Ihrer Zeitung an.“