Der Berg kreißt …

Gedenktage im Mai – Gedanken über das Grundgesetz und die Pressefreiheit

Am 23. Mai hat das Grundgesetz seinen 50. Geburtstag. Theodor Heuss hatte ihm gewünscht, daß es im Bewußtsein und in der Freude der Bürger lebendig wird. Dazu bedarf es einer aktiven Bürgergesellschaft, die Einmischung praktiziert: Wer, wenn nicht wir?

Freilich: Als Gewerkschaften gegen den Sozialabbau demonstrierten, wurde von der Regierung Kohl gesagt, Demokratie bestehe nicht darin, daß man sich danach richte, wer mehr Menschen mobilisieren könne. Bei der geplanten doppelten Staatsbürgerschaft, als ein rechtes Kartell den Aufstand der Stammtische probte, war das dann ganz anders.

Das Grundgesetz hat arge Beulen bekommen. Sie bestehen in der schleichenden Preisgabe konstitutioneller Grundwerte. Statt Grundrechte zu schützen, werden sie demontiert wie das Asylrecht, das keines mehr ist. So ging es auch beim Recht auf Unverletztlichkeit der Wohnung im vergangenen Jahr. Dieser Grundgesetzartikel ist dermaßen deformiert worden, daß seine Überschrift eine glatte Irreführung bedeutet: Verletzlichkeit der Wohnung müßte der Artikel 13 jetzt heißen.

Wohl ist es unrealistisch, unter derzeitigen politischen Bedingungen darauf zu hoffen, daß der Lauschangriff zurückgenommen wird. Innenminister Otto Schily hat in einem „Spiegel“-Interview deutlich genug demonstriert, was ihm die Pressefreiheit wert ist. Er war und ist durchaus bereit, auch Journalistinnen und Journalisten von befugten Unbefugten abhören zu lassen – mit der bauernschlauen Bemerkung, über das Zeugnisverweigerungsrecht von Medienschaffenden stehe ja nichts im Grundgesetz. Und Journalist sei ohnehin keine geschützte Berufsbezeichnung. Auch Gerhard Schröder hatte „keinerlei Bedenken“ und forderte im Februar 1998 noch nicht einmal Nachbesserungen. Um so nachdrücklicher tritt die IG Medien für eine angemessene gesetzliche Garantie des Rechts auf Zeugnisverweigerung für Journalistinnen und Journalisten ein. Ein wirksamer Schutz der Medien vor staatlichen Abhörmaßnahmen muß grundgesetzlich verankert werden. (Jetzt ist nämlich niemand verfassungsfest vom Abhören und Ausspähen ausgenommen – auch trotz der sogenannten Nachbesserungen nicht.)

Presse handelt im öffentlichen Auftrag. „Wo immer im Staate etwas faul ist“, hat der Medienrechtler Martin Löffler geschrieben, „soll die Presse Laut geben und so nach dem Willen der Verfassung das Amt eines öffentlichen Wächters aus-üben“. Wohl haben Institutionen die Tendenz, sich vor kritischen Blicken zu schützen. Wenn allerdings die Summe derartiger Interessen zu Gesetzen führt, die die Kontrollfunktion der Presse in Gefahr bringt, dann ist auch die Demokratie in Gefahr.

Man muß immer wieder darauf hinweisen, daß es sich bei diesem Zeugnisverweigerungsrecht nicht um ein berufsständisches Sonderrecht oder ein Medienprivileg handelt; es geht vielmehr um das Recht der Allgemeinheit auf Informationsfreiheit, einer Voraussetzung für die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Meinungsfreiheit.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem berühmten „Spiegel“-Urteil dieses Schutzbedürfnis der Presse klar umrissen. Zur Pressefreiheit gehöre der „Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten“, schrieben die obersten Richter damals. Er sei unentbehrlich, da die „Presse auf privaten Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, daß das Redaktionsgeheimnis gewahrt bleibt“.

In juristischen Fachzeitschriften mehren sich die Angriffe auf die Pressefreiheit, gegen das angeblich zu liberale Bundesverfassungsgericht und gegen dessen Medienreferenten, Dieter Grimm. Der frühere Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Horst Sendler beklagte den Verfall des Abendlandes, der nur gestoppt werden könne, wenn die „Hypertrophie der Grundrechte“ eingedämmt wird. Auch andere Juristen sind der Meinung, ein Übermaß an Grundrechten fördere Unrecht. Deshalb wollen sie die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die künstlerische Freiheit etwas zurechtzustutzen. Journalisten gelten ohnehin in den Augen etlicher Juristen und Politiker als potentielle Rufmörder, Verleumder, Wahrheitsverdreher. Wer auf die Medien schimpft, dem ist der Beifall auf Parteitagen gewiß, ganz gleich von welcher Partei.

Im Koalitionsvertrag hat sich zwar die neuen Regierung auf eine Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts geeinigt, aber man darf skeptisch sein, zumal die SPD-Oberen eben nicht gerade zu den glühenden Verfechtern der Pressefreiheit gehören.

Als 1962 der „Spiegel“ durchsucht wurde, wurde der Vorwurf des Landesverrats bemüht. In den neunziger Jahren bedarf es nur noch des Verdachts auf Beihilfe zum Geheimnisverrat und schon wird durchsucht und beschlagnahmt. In den vergangenen Jahren haben die Amtswalter dutzendweise in Redaktionen zugeschlagen und das Unterste zuoberst gekehrt. Der Effekt der Durchsuchungsaktionen ist übrigens so gut wie immer gleich null. Der Berg kreißt und gebiert noch nicht einmal ein Mäuslein.

Diese Durchsuchungen sind ein schwerer Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei diesem rechtsstaatlichen Gebot geht es um das rechte Verhältnis der Mittel. Zum Beispiel: Wegen des Diebstahls zweier Essiggurken darf nicht gleich die Wohnung des Verdächtigen umgekrempelt werden. Dieser zentrale Grundsatz wird nunmehr bei den Durchsuchungsbeschlüssen gegenüber Medien überhaupt nicht mehr berücksichtigt. Staatsanwaltschaften behandeln Journalistenbüros wie Marmeladenfabriken und durchsuchen nach dem Motto: Irgendein faules Früchtchen wird schon zu finden sein. So werden in Deutschland Pressefreiheit und Informantenschutz dramatisch mißachtet.

Alljährlich am 3. Mai begehen wir den Internationalen Tag der Pressefreiheit. Dabei haben wir stets die Situation auch und gerade im Ausland im Blick. Weltweit ist die Pressefreiheit durch Medienkonzentration in Gefahr, aber gerade derzeit sind auch etliche Journalistinnen und Journalisten mit Leib und Leben bedroht.

Inzwischen bombardiert die NATO Senderanlagen in Serbien. Und sie baut Propagandasender auf, die auf serbisch senden. Wer aber Bomben auf Sender wirft, darf nicht annehmen, daß die Informationen, die jetzt verbreitet werden, von der Bevölkerung ernst genommen werden. Für den Zweck, Meinungsvielfalt wiederherzustellen, sind diese Bomben bestimmt nicht geeignet. Und einmal mehr werden dadurch auch Medienbeschäftigte einer Lebensgefahr ausgesetzt. „Hände weg von den Medien“ muß auch für die NATO gelten.

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