Kein Anschluss unter dieser Nummer

Redakteur trotz gewonnenem Prozess ins „Exil“ getrieben

Auf der Suche nach Kündigungsgründen hat schon manche Verlagsspitze ungewohnte Kreativität entwickelt. Bei Bauers Neuer Revue wurde im Dezember vergangenen Jahres der ungewöhnliche Vorwurf der „Betriebsspionage“ gegen zwei Redakteure erhoben. Als „Beweis“ wurden rechtswidrig ausgewertete Telefonverbindungen ins Feld geführt.

Erstinstanzlich haben beide Beschuldigte die Prozesse gegen ihre fristlose Entlassung gewonnen. Ein Kläger einigte sich mit dem Verlag, Matthias Bothe besteht auf seiner Weiterbeschäftigung.

Der Redakteur sitzt seit Monaten rund zehn Kilometer von der Redaktion der Neuen Revue entfernt in einem acht Quadratmeter großen Büro – in direkter Nachbarschaft zur Personalabteilung. Seit er in erster Instanz seine Klage gegen die vom Verlag ausgesprochene fristlose Kündigung gewonnen hat, darf er wieder an einem Schreibtisch sitzen. Allerdings nicht nur räumlich weit von der Redaktion entfernt. Über seinen Computer hat er keinen Zugriff auf das System der Neuen Revue. „Um ein Fax zu senden, frage ich freundlich bei der Personalabteilung, ob ich ihr Gerät benutzen darf“, sagt Matthias Bothe. Trotz der kollegialen Hilfe, gerade dort wurde der Richterspruch wenig begeistert aufgenommen, der Verlag hat Berufung eingelegt.

Seinen Anfang nahm der bizarre Fall bereits Anfang Dezember 2003. Damals erhielten Matthias Bothe und ein Kollege die fristlose Kündigung. Der Vorwurf: Sie sollen Exklusivgeschichten an die Konkurrenz verraten haben. Als Beleg dienten Nachweise von Telefonverbindungen, die vom Verlag Monate zurück ausgewertet wurden. Unter anderem hatte Matthias Bothe mehrfach die Zentrale des Axel-Springer-Verlags in Berlin angerufen. Daraus schlossen die Verantwortlichen im Verlag, er habe den Boulevardblättern B.Z. und Bild berichtet, woran die Neue Revue gerade arbeitet. Bothe soll unter anderem eine „exklusive“ Geschichte über Harald Juhnke der Bild-Zeitung verraten haben.

Pflichtverletzung durch Verlag

Dabei hatten die Kollegen der Bild den zeitlich verzögerten Umweg über die Neue Revue gar nicht nötig: Die ebenfalls bei Springer erscheinende B.Z. hatte bereits die Neuigkeiten über Juhnke gedruckt und aus diesem Text wurde bei der Neuen Revue auch zitiert. „Was hätte ich da noch verraten können?“, fragt sich nicht nur Matthias Bothe. Dem Gericht erschienen die Vorwürfe ebenfalls unschlüssig. Zusätzlich widerspricht die Auswertung von Telefonverbindungen eindeutig einer Konzernbetriebsvereinbarung. Und die zuständigen Richter schrieben in ihr Urteil: „Das Verwertungsverbot gilt strikt“. Das „rechtswidrig erlangte Wissen um Telefonate des Klägers“ stelle eine „Pflichtverletzung“ dar und er solle „zu unveränderten Bedingungen“ weiterbeschäftigt werden. Für Matthias Bothe an seinem Exilarbeitsplatz ein ebenso schwacher Trost wie die Tatsache, dass er während seiner monatelangen Abwesenheit als Ersatzmitglied in den Betriebsrat gewählt wurde. Die Pressestelle des Bauer-Verlags wollte sich nicht zu dem Vorgang äußern.

sil

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten, Fame und Follower

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
mehr »

BVerfG stärkt Rundfunkfreiheit

Eine Hausdurchsuchung im Jahr 2022 bei einem Redakteur des freien Radios Radio Dreyeckland in Freiburg verstieß gegen die Pressefreiheit und war verfassungswidrig, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Damit kippt das höchste Gericht eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart.
mehr »

Faktenbasiert, aufklärend, machtkritisch

Der Journalist Georg Restle ist seit 2012 Leiter und Moderator des Politmagazins Monitor in der ARD. Der studierte Jurist tritt für einen „werteorientierten Journalismus“ ein. Mit M sprach er über Fakenews, Fehlerkultur und journalistische Resilienz.
mehr »

Aktivrente: Keine Option für Freie

Ein Bestandteil des derzeit kontrovers diskutierten “Rentenpakts” ist die sogenannte Aktivrente. Wer trotz Ruhestand weiter erwerbstätig ist, bekommt einen Steuerbonus. Doch das geplante Gesetz enthält eine Schieflage: Freie Journalisten oder Autorinnen sind wie andere Selbstständige von der Regelung ausgenommen.
mehr »