Gericht stoppt „wundersame Rechtevermehrung“

„Tagesspiegel“: Online-Nutzung nicht kostenlos

Alles deutet darauf hin, daß fünf freie Berliner Pressefotografen am 14. September vor der 16. Zivilkammer des Berliner Landgerichts mit ihren Klagen gegen den Verlag des hauptstädtischen „Tagesspiegel“ einen vollen Erfolg erstritten. Schriftliche Urteile sollen erst in einem Monat vorliegen. Die Ausführungen des Vorsitzenden Richters ließen jedoch keinen Zweifel am Tenor der Entscheidungen. Die Bildjournalisten hatten sich gerichtlich dagegen gewehrt, daß „Der Tagesspiegel“ – teilweise über Jahre hinweg – von ihnen gelieferte Fotos außer in der eigenen Tageszeitung stillschweigend auch in der Online-Ausgabe des Blattes und in den zum gleichen Konzern gehörigen „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) abgedruckt bzw. genutzt hatte, ohne dazu von den Fotografen eine Genehmigung eingeholt, geschweige denn zusätzliche Honorare gezahlt zu haben.

Dieses Verfahren, Urheberrechte von Pressefotografen mit Füßen zu treten, gipfelte im Berliner Verlagshaus an der Potsdamer Straße in der Aufstellung „schwarzer Listen“ von Bildjournalisten , die sich mit dieser „Verwertungspraxis“ nicht einverstanden erklärt hatten. Im Frühjahr diesen Jahres war es deshalb zu einer bundesweit bisher einmaligen Protestaktion von Pressefotografen und sie vertretenden Gewerkschaften und Verbänden gekommen (M berichtete). Da der Verlag Der Tagesspiegel GmbH auch in der Folge alle Verhandlungsangebote ausgeschlagen hat, ließen die fünf Pressefotografen in einer Art von „Musterprozessen“ nun die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen nach Unterlassung der Mehrfachnutzung in anderen Publikationen und Medien sowie nach Schadensersatz feststellen.

Die Fotografen Oliver Behrendt und Hans-Peter Stiebing wurden dabei von der Bildjournalistenvereinigung FreeLens, Matthias Littwin vom DJV sowie die Kollegen Andreas Schoelzel und Dietmar Gust von der IG Medien rechtlich vertreten. Das Gericht entsprach in der mündlichen Verhandlung in allen wesentlichen Punkten den Anträgen der Fotografen. So dürfte der Verlag verurteilt werden, keine bis zum Verhandlungstag im „Tagesspiegel“ abgedruckten Fotos der Kläger bzw. deren elektronische Daten zu einer weiteren Verwertung an Dritte, insbesondere an die PNN oder den Tagesspiegel-Online-Dienst, weiterzugeben. Den Klägern ist überdies vom Verlag Auskunft über den Umfang bisheriger Urheberrechtsverletzungen zu erteilen. Die voraussichtlichen Schadensersatz-Zahlungen wegen entgangener Honorare dürften sich erklecklich summieren. Von einem der Fotografen werden überdies 3000 DM Vertragsstrafe geltend gemacht, da es der Verlag trotz zuvor abgegebener Unterlassungserklärung versäumt hatte, strittige Fotos aus der Homepage des Tagesspiegel zu nehmen. Hinsichtlich teilweise fehlender Urheberrechts-Vermerke hatten Geschäftsführer Dr. Rolf Aschermann und seine Rechtsanwälte bereits während der mündlichen Verhandlung die Forderungen der Fotografen anerkannt.

Von besonderer Bedeutung dürfte die von Richter Dr. Hess vorgetragenen Argumentation sein, daß der Verlag mit dem Ankauf von Fotos gemäß Urheberrechtsgesetz lediglich ein „einfaches Nutzungsrecht“ an den Bildern erworben habe, welches nicht automatisch an andere Konzerngesellschaften übertragbar sei. Wenn ein Verlag aus wirtschaftlichen Erwägungen Outsourcing betreibe und Aufgaben in andere Gesellschaften auslagere, müsse er auch anerkennen, daß er gegenüber diesen keine Rechte, etwa am Abdruck von Fotos, abtreten könne. Eine „wundersame Verdopplung“ von Eigentumsrechten, wie sie der „Tagesspiegel“ gegenüber den freien Foto-grafen einseitig praktiziert habe, sei also juristisch nicht gegeben. Außerdem sei eine – wie vom „Tagesspiegel“ mit Blick auf die PNN geltend gemachte – „Mantellieferung“ in der Region traditionell nicht branchenüblich.

Die klagenden Fotografen verließen das Gericht verständlicherweise „sehr zufrieden“ (Littwin). Die Kläger-Anwälte Dirk Feldmann und Dr. Christian Donle werteten das Verhandlungsergebnis als „Grundsatzentscheidung“. In den Klagen sei bewußt keine Auflistung zu Verwertungsrechten an einer Vielzahl einzelner Fotos angestrebt worden, stattdessen erwarte man eine „Richtungsentscheidung für die gesamte Medienbranche“.

Das Gericht habe bestätigt, daß es nicht hinzunehmen sei, wenn ein Verlag einseitig neue Vertragsbedingungen diktieren und Urheberrechte nach seinem Gutdünken auslegen wolle, kommentierte FreeLens-Geschäftsführer Manfred Scharnberg den voraussichtlichen Tenor der Urteile. Andreas Köhn, IG Medien, sah die Verhandlung als „vollen Erfolg für die freien Pressefotografen“: „Wir erwarten, daß der ‚Tagesspiegel‘ künftig Urheberrechte nicht weiter verletzt und daß er bis zum Abschluß von Tarifverträgen Fotohonorare entsprechend der Empfehlungen der Mittelstandsvereinigung Fotomarketing zahlt.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland. Immerhin sorgte die große Protestwelle der letzten Monate, die vielen Demonstrationen für Demokratie dafür, dass die AfD-Ausbeute an den Wahlurnen nicht noch üppiger ausfiel. Noch Anfang…
mehr »