Adieu, ihr kleinen Haifische!
Ich kann mich noch genau erinnern: Empört stürmte die Kollegin in den ehrwürdigen Tonbearbeitungsraum, daß die Kellogschalter erzitterten. Wütend warf sie den – liebevoll Bobby genannten – AEG-Wickelkern auf den Blechteller der M10 und schlang das braune Band mit einer einzigen schwungvollen Bewegung vor dem Tonkopf vorbei um den leeren Aufwickel herum. Ohja, ich sah sie schon, diese unzähligen, scharf hervorstechenden Tonbandkleber, mit denen das Band durchsetzt war. Schief und krumm geklebt – Haifische! Und als junger Tontechniker hielt ich mich vorsichtig im Hintergrund, um bei der nun folgenden Auseinandersetzung nicht aufzufallen. Der erfahrenen Kollegin folgte nämlich nicht nur die noch viel erfahrenere Betriebsaufsicht, sondern auch ein Redakteur, so ein junger, unlauterer, aber schon mit rotem Kopf.
Erwischt, dachte ich. Nun haben wir einen dieser Selbstschneider. Bachmann, klar, wer sonst. Und schon hörte ich die Folgen dieses frevelhaften Tuns: Angeschnittene H’s, atemlose Übergänge und bei jedem Schnitt ein saftiger Blubser. Nagelschere.
Zwanzig Jahre später wische ich mir die Augen, wenn ich die Kolleginnen und Kollegen an den Digas-Schirmen sitzen sehe, (fast) jeder Schnitt ein Treffer und eigentlich sehr sachliche Kommentare: Ja, es spart Wege, es ist unmittelbarer und vor allem – wir wüßten gar nicht mehr, woher das Personal nehmen. Aber irgendwie nimmt es langsam überhand.
Und jetzt?
Es gibt mehrere Herangehensweisen in der Auseinandersetzung um die komplexen Folgen von technischen, arbeitsorganisatorischen und programmlichen Veränderungen.
- Wir können berufsständische Grenzen verteidigen – dabei immer neue Rückzugslinien ziehen und so lange wie möglich den Status Quo verteidigen. Damit können wir sogar eine Weile Erfolg haben. Tatsächlich gebietet keines der technischen Geräte, daß ein Redakteur daran arbeitet. Und auch die Vernetzung hindert uns nicht, die herkömmliche Arbeitsteilung aufrecht zu erhalten. Auch eine vollautomatische Sendeablaufsteuerung kann selbstverständlich von einem gelernten Tontechniker bedient werden.
- Wir können dabei selbstformulierte Qualitätsstandards ins Feld führen, die jedoch für die meisten Menschen ganz offensichtlich keinen realen Wert darstellen. Im Gegenteil: Die von Tontechnikern gehaßte Komprimierung mit „Optimod“ begrüßen die Autofahrer, weil das Radio nun das Getriebe übertönt. Und die Ablehnung der Datenreduktion bei der digitalen Tonbearbeitung ist für die meisten Anwendungen einfach absurd.Wir können die Augen zu machen und die schöne neue Radiowelt über uns hereinbrechen lassen – schließlich bricht einem Redakteur kein Zacken aus der Krone, wenn er auch noch selber schneidet, recherchiert und nach der Sendung ein bißchen dokumentiert. Wir mußten früher auch aufräumen.
Hauptsache, es wird keiner entlassen und als Systemverwalter werden die heutigen Tontechniker auf jeden Fall noch unterkommen.
Differenzieren
Wir können aber auch differenziert auf die Veränderungen reagieren. Wir können Forderungen aufstellen und Widerstand leisten, wo die Digitalisierung nur ein Mäntelchen für Arbeitsverdichtung und Personalabbau hergibt. Wir können Qualifizierung fordern, wo sich Berufsbilder ändern. Und wir können einen neuen, gewerkschaftlichen Zusammenhalt entwickeln, wo die berufsständischen Bastionen wegbrechen.
- Wenn die programmunterstützenden Tätigkeiten in die Redaktionen wandern, dann muß es das Personal auch tun. Redakteure brauchen Entlastung und Unterstützung – bei Recherche, Planung, Organisation und Programmabwicklung.
- Wo dazu neue, übergreifende Berufsbilder notwendig sind, müssen sie qualifiziert beschrieben und die Ausbildung entsprechend organisiert werden. An die Stelle der alten Arbeitsteilung darf nicht keine Arbeitsteilung treten. Wenn die Gewerkegrenzen nicht mehr zur Arbeitsteilung taugen, dann muß umso mehr die Teilung der Arbeitsmenge – und damit die Begrenzung der Arbeitszeit – in den Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Arbeit.
- Die Arbeitsteilung auch im Bereich der hochwertigen Musik- und Hörspielproduktion muß mit dem Ziel des Erhalts der Arbeitsplätze und der sinnvollen Arbeitsorganisation neu durchdacht werden.
- Rundfunkfreiheit kann auch in Zeitnot geraten. Die programmliche Tätigkeit, die sich zukünftig nicht auf die RedakteurInnen beschränken wird, braucht Freiraum für eigenständige Recherche, kritische Reflexion und die unabdingbare Unabhängigkeit der Bericht-erstattung. Die oft proklamierte verfassungsmäßige Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschränkt sich schon heute häufig genug auf das Abschmettern von Festanstellungsklagen. Die Anstalten können nur dann zur Sicherung der informationellen Selbstbestimmung beitragen, wenn sie intern sowohl politischem als auch materiellem und Arbeitsdruck Widerstand leisten.
Vision
Vergessen die Haifische des Kollegen Bachmann. Vergessen seine Flüche über bornierte TechnikerInnen, vergessen auch unsere Klagen über arrogante Elfenbeintürmler. Gemeinsam verteidigen wir, ehemals durch strikte Tätigkeits-Mauern getrennt, das Recht, den korrupten Bürgermeister-Kandidaten selbst auf die Spur zu kommen – statt die vorgefertigten O-Tön-Krümel aus dem Audio-Dienst der Parteien abzurufen.
Horror-Vision
Der „Redakteur“ allein im Haus. Ohne Hoffnung. Aber mit Maus.