Ein paar Fragen sind da noch unerledigt. Warum eigentlich sind bisher alle deutschen Regierungen daran gescheitert, die Gesundheitskosten zu senken und die Macht der Pharmalobby zurückzudrängen? Warum ist Deutschland wieder einer der größten Waffenexporteure und warum funktioniert Rüstungskontrolle nicht? Einige, wenn auch nicht alle Antworten liefert die Dokumentationsreihe „Akte D“ mit den beiden Filmen „Die Macht der Pharmaindustrie“ von Winfried Oelsner und „Das Comeback der Rüstungsindustrie“ von Dirk Laabs.
„Akte D“ ist inzwischen ein erfolgreiches ARD-Markenzeichen. Die erste Staffel bekam 2015 den Grimmepreis. Unter anderem mit der Begründung, es handle sich um eine neue Form des Geschichtsfernsehens, nicht personalisierend und auf Erinnerungen beruhend, sondern faktenbasiert und auf langer historischer Linie angelegt. Freilich auch unterhaltend. Akte D, das klingt nach Kriminalermittlung und Wiedervorlage – und sowas Ähnliches ist es ja auch.
Die Macht der Pharmaindustrie
Etwa „Die Macht der Pharmaindustrie“: Der Film legt die Spur zu wesentlichen Strukturen bis auf hundert Jahre zurück, bis zur Gründung der Firma Bayer. Sehr früh mit Medikamenten erfolgreich, wurde hier von Anfang an mit viel Marketing gearbeitet – und bis heute sind die Vermarktungskosten wesentlicher Grund, warum Medikamente in Deutschland so teuer sind. Die Politik des Konzerns illustriert der Film am Beispiel von Heroin, das um die Wende zum 20.Jahrhundert als eine Art Universal-Medikament benutzt wurde. Bald aber war Heroin auch als Rauschmittel in Gebrauch, doch Bayer brauchte lange, bis das Unternehmen die Droge schließlich vom Markt nahm. Zentraler Punkt: Von Anfang an gab es für die Pharma-Sparten der hochkonzentrierten chemischen Industrie keine gesetzlichen Regulierungen, kein staatliche Vorsorge zur Medikamentensicherheit. Der Film geht auf zwei entsprechende Skandale ein, Contergan-Skandal und HIV-verseuchte Blutkonserven. In der Akte D stehen auch Nachrichten über die DDR, keine guten. Als im Westen Diskussionen um Medikamentensicherheit aufkamen, gingen die Konzerne in die DDR und ließen dort testen. Nach westlichem Standard zwar, aber die Haftung lag allein bei der DDR. Und widersprochen hat dort niemand.
Die lange historische Linie führt direkt in die Gegenwart. Immer noch funktioniert die systematische Beeinflussung durch eine mächtige Pharmalobby. Und immer noch entscheidet die Politik sich im Zweifel für den Standortfaktor statt für langfristige Sicherheit.
Das Comeback der Rüstungsindustrie
Dann die Rüstung. Eigentlich sollte Deutschland nach 1945 nie wieder mit Waffen die Welt beliefern. Und doch genehmigte das Wirtschaftsministerium etwa 2015 den Panzerdeal mit Katar. Eine interessante Pointe liefert Autor Dirk Laabs mit dem Nachweis, dass nach 1945 die Alliierten selbst dafür sorgten, die deutsche Waffenproduktion wieder ins Laufen zu bringen. Erstens brauchten sie selbst Waffen im Koreakrieg, zweitens war der Fokus schon längst auf mögliche künftige Kriege gegen die Sowjetunion gerichtet. So fanden bald die maßgeblichen Waffentechniker der Wehrmacht reichlich Arbeit und wurden von den USA abgeworben. Firmen wuchsen heran, von denen hat man selten gehört, wie etwa das Berliner Unternehmen „Fritz Werner“, das bald der Waffenproduktion dienende Werkzeugmaschinen und dann auch Waffenfabriken in viele Länder der Welt lieferte, von Sudan bis Algerien. Dazu natürlich auch die Großen, Kraus Maffei und Rheinmetall. Porsche mischte im Panzerbau mit, die griechische Militärjunta bekam U-Boote geliefert ebenso wie Jahre später die chilenische Militärdiktatur.
Trotz Kriegswaffenkontrollgesetz und vieler politischer Versprechen wurden immer wieder und bis heute Waffen in Spannungsgebiete geliefert. Der ehemalige SPD-Abgeordnete Norbert Gansel, politisch stets ein Gegner von Waffenexporten, schildert eindrücklich, wie alle, auch die sozialdemokratischen Regierungen, die Waffengeschäfte nicht wirklich unterbanden. Auch dies also eine von lang herrührende Geschichte, mit vielen von Autor Dirk Laabs akribisch zusammengetragenen Fakten. Ein wenig fehlt in der Darstellung die Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, ein demokratiepolitisch wichtiger, wenn auch gescheiterter Versuch des Widerstands. Und vielleicht sagt mal jemand dem Autor, dass Texter und Sprecher zwischendurch auch einmal Luft holen dürften. Man muss Zuschauer nicht zutexten, sondern ihnen auch mal Gelegenheit zu eigenen Gedanken geben.
Wie die erste, ist auch die zweite Staffel von „Akte D“ interessantes Zeitgeschichtsfernsehen. Die Dokumentationen werden von der ARD wie gewohnt auf einem sehr späten Sendeplatz versendet. Man mag diese Ignoranz schon gar nicht mehr erwähnen und kann nur auf die Mediatheken verweisen. Der dritte Film dieser Staffel handelt übrigens vom „Mythos der Trümmerfrauen“ und korrigiert einiges an den Klischeebildern, die sich hartnäckig über Jahrzehnte gehalten haben.
„Die Macht der Pharmaindustrie“: ARD, 11.4.2016, 23.30
„Das Comeback der Rüstungsindustrie“: ARD, 19.04.2016, 23.30
„Mythos der Trümmerfrauen“: ARD, 24.04.2016, 23.30