„3. Mai – Internationaler Tag der Pressefreiheit

  • Frei, pluralistisch, unabhängig. Das sind nach Überzeugung der UNO Haupt-Merkmale von Medien, die in der Lage sind, demokratische Strukturen und die Stabilität demokratischer Verhältnisse zu fördern. Diese Merkmale sind zugleich Existenzbedingungen für Medien in demokratischer Orientierung.

Sind die Medien in Deutschland „frei, pluralistisch und unabhängig“? Im Vergleich zur gleichgeschalteten Presse und zum Parteifunk des Hitler-Staates sind sie es gewiss. Auch im Vergleich zu den meisten Ländern der Welt von heute.

Hitler-Deutschland ist ein wichtiger Maßstab. Ebenso wie Stalin-Russland. Die tatsächlichen Verhältnisse vor 60 Jahren zeigen Zeitgenossen, dass der jeweils erreichte gegenwärtige Entwicklungsstand bei aller Kritikwürdigkeit objektiv ein Fortschritt ist. Manchmal muss man Menschen daran erinnern, wenn sie ohne Rücksicht auf Dialektisches, Historisches und Pro-zesshaftes das Ideal bereits „jetzt“, spätestens aber morgen umgesetzt wissen wollen.

Hitler-Deutschland und Stalin-Russland dürfen allerdings nicht der Maßstab an sich sein. Das würde einem zerstörerischen Relativismus Scheunentore öffnen. In seinem Schatten dürften sich dann alle wohl fühlen, die ein bisschen weniger inhuman und weniger pressefeindlich sind, als Hitler und Stalin, Franco und Mussolini, Pinochet und „Papa Doc“, die ehemaligen oder diskreten Militärdiktaturen in Griechenland, in der Türkei und anderswo.

Legitimer Maßstab für den Entwicklungsstand muss außer der Entfernung zum Schlimmst-Möglichen auch die Distanz zu dem für Richtig Erkannten und Vereinbarten sein.

  • Die Freiheit der Medien in Deutschland im Sinne einer Freiheit von staatlicher Zensur ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts klar. Diese Zensur findet nicht statt.

Eine bisher nie gekannte Vielzahl von Medien existiert. Etwa 125 Tageszeitungen, gut zweitausend Zeitschriften, mehr als 200 ordentlich und ungestört empfangbare Fernseh- und Radioprogramme. Dazu gehört die politische Bandbreite zwischen FAZ und TAZ, die informationellen Tauchtiefenunterschiede zwischen Deutschlandfunk und so genannten Hit-Radios, die kulturelle Differenz zwischen arte und RTL-Nacktprogramm, die geschmacklichen Unterschiede zwischen Beinahe-Hard-Porno im Privat-Fernsehen und Beinahe-noch-Liebesfilm im Öffentlichen, die demokratisch unterschiedlich kontrollierbaren Eigentumsformen des öffentlich-rechtlichen und des privaten Medien-Angebots.

Das kann man als Pluralität bezeichnen. Leisten sie den Menschen, die Deutschland ein bestimmtes Feld (ihr „Umfeld“) demokratisch mitbestellen sollen, die erwartete und vereinbarte Hilfe?

„Teils-teils“ wäre 2000 die korrekte Antwort. Vielfalt gibt es bundesweit und weltweit. Regional und lokal erscheint dagegen manches als Einfalt. Dabei ist Differenzierung angebracht. Eine tendenz-betonte Allein-Stellung am Ort sehen die Eigentümer einer Tageszeitung gelegentlich nicht als Problem. Sie nehmen die elektronischen Medien, die mit Regional- oder Lokal-Programmen im Verbreitungsgebiet empfangbar sind, als ausreichendes Korrektiv. Das ist allerdings Alibi-verdächtig.

Andere Eigentümer und Herausgeber setzen als Ausgleich für ihre Alleinstellung als Printmedium redaktionell eine relativ große Tendenz-Breite oder Toleranz durch.

Printmedien haben eine besondere Stellung und öffentliche Verantwortung im Medien-System: ihr Inhalt ist nachhaltiger, d.h. beliebig oft, unabhängig vom Aufenthaltsort und im individuellen Auffassungs-Tempo wahrnehmbar; dazu individuell zeitlich weitgehend unabhängig archivierbar und zitierbar. Elektronische Medien setzen mit ihrer „Flüchtigkeit“ der grundsätzlich gewünschten öffentlichen Kommunizierbarkeit physikalische Grenzen.

Die digitalen Medien – mit ihrer miniaturisierten und hochtransportablen Hardware – könnten das physische Problem der herkömmlichen Medien kompensieren: Das Internet als globales „Schwarzes Brett“ für jedermann und jedefrau erscheint als ideale Form einer demokratischen Öffentlichkeit, bei der es zwischen Veranstalter/Verleger und Autor/Bürger keinen Unterschied mehr gibt.

Noch sind wir aber nicht soweit. Und schon gar nicht unter dem Aspekt der „demokratischen Leistung“ von Medien-Systemen.

  • Denn ein globaler „Chat-Room“ ist im Zweifel genau so viel und so wenig demokratisch, wie der Stammtisch ein verantwortliches, nach demokratischen Regeln gestaltungsfähiges Bürger-Forum ist. Die Durchsichtigkeit und Kontrollierbarkeit delegierter, erworbener oder vererbter Machtpositionen geht von Stammtischen nur bedingt aus. Auch nicht automatisch vom Surf-Revier des Internets.

Die immer noch einflussreichsten Massenmedien – Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen – sind nach wie vor und zunehmend in ihrer qualitativen Pluralität von jenem Virus gefährdet, der als „Markt-Gesetze“ bezeichnet wird. Die seit Jahren anhaltenden und aktuell zu beobachtenden Konzentrationsprozesse in den Medien sind unübersehbar. So genannte medienübergreifende Cross-Ownerships zeigen, dass tendenzbezogene Medien-Vielfalt nicht mehr über eine Vielzahl von Medien-Eigentümern gewährleistet werden kann.

Dieser Frage müssen sich die Medien-Eigentümer stellen.

Sie müssen sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts gemeinsam mit Journalistinnen und Journalisten auch der Frage stellen, warum immer mehr Menschen die Sozialverträglichkeit von Medien in einer demokratisch konstruierten Wohnung für alle bezweifeln. Die breite Empörung und zugleich der offensichtliche Konsum, den Emissionen wie „Big Brother“ auslösen, ist ein Indiz dafür. Auch der von vielen Menschen als Verlogenheit empfundene Jugend- und Kinderschutz im Fernsehen über die Festlegung von Sendezeiten gehört dazu. Weil die Frage berechtigt ist, ob die Medien nicht auch für jene „nur“ zehntausend Kinder eine Verantwortung haben, die sich nicht an die Kinder-Sendezeiten halten.

Sollen künftig die in der Verfassung verankerten allgemeinen Menschen- und Persönlichkeitsrechte künftig je nach Marktlage – sozusagen börsennotiert – gelten? Sollen andererseits selbsternannte Moralapostel bestimmen dürfen, wo die Medien-Message endet?

  • Journalisten und Journalisten als Autoren und Realisatoren sind in der Regel Abhängige im Medien-System. Ob fest angestellt oder frei.Frei im Sinne der UNO heißt auch, dass sie als Autoren und Realisatoren nicht gezwungen oder genötigt werden dürfen, gegen ihre Überzeugung, gegen die handwerklichen Regeln und auch nicht gegen die allgemein vereinbarten Grundsätze für eine demokratie-verträgliche Herstellung von Medien-Inhalten und Vermittlungsformen zu produzieren.

Auch der Hinweis auf die Markt-Nachfrage kann nicht jede Nachfrage nach journalisitschen Dienstleistungen rechtfertigen: Wenn der „Markt“ ein neues Hitler-Deutschland oder ein wiederholtes Stalin-Russland verlangte, gäbe es – hoffentlich – auch keine Unterwerfung unter angeblich dominante Markt-Gesetze.


Manfred Protze, dpa-Redakteur in Oldenburg, ist der stellvertretende Bundesvorsitzende der dju/Fachgruppe Journalismus in der IG Medien


 

Veranstaltungshinweis:

11. Mai 2000, Berlin
Internationale Konferenz
Medien im Konflikt – Mittäter oder Mediatoren
Mit internationalen Referenten

Ort:
Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin, Tel. 030/26935-6

Veranstalter:
Friedrich-Ebert-Stiftung mit der Fachstelle Eine Welt Medien/GEP und der Deutschen UNESCO-Kommission

Anmeldung:
Friedrich-Ebert-Stiftung Abt. Int. Entwicklungszusammenarbeit Frau Heidi Thies Godesberger Allee 149 Tel. 0228/883610 ,Fax 0228/883600 e-mail: Heidi.thies@fes.de (bis 9. Mai)

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