„Handelsblatt“ träumt vom Cyber-Cash

Die Düsseldorfer Verlagsgruppe Handelsblatt will die Gunst der Interneteuphorie am Aktienmarkt nutzen und träumt vom Cyber-Cash. Zu diesem Zweck sollen die journalistischen Online-Angebote von „Handelsblatt.com“, „Wirtschaftswoche heute“ und „DM-Online“ sowie der Werbevermarkter „GWP online marketing“ in eine eigenständige Aktiengesellschaft ausgliedert, und zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt an die Börse gebracht werden. Durch den Börsengang soll frisches Geld in die Verlagskasse fließen, um die Expansion des Unternehmens im Online-Bereich zu finanzieren.

In der „Handelsblatt Online AG“ sollen die Tarifverträge nicht mehr gelten. „Die AG wird nicht dem Arbeitgeberverband angehören“, erklärte der Geschäftsführer der Verlagsgruppe, Heinz-Werner Nienstedt, bei einer Mitarbeiterversammlung am Tag vor der offiziellen Bekanntgabe der Ausgliederung bei der Bilanzpressekonferenz am 13. April. Man wolle die Starrheiten des Tarifvertrages nicht übernehmen, erklärte Nienstedt. Auch Mitbestimmung ist in dem neuen Unternehmen offenbar nicht erwünscht. Auf die Frage, ob es einen Betriebsrat geben werde, antwortete Nienstedt mit: „Hoffentlich nicht.“ Ansonsten blieb er viele Antworten schuldig. Auf die Fragen, wie es denn mit den Sozialleistungen wie zum Beispiel Presseversorgungswerk, Jobticket etc. aussehen werde, ließ sich Nienstedt lediglich einen Satz entlocken: „Niemand wird sich schlechter stellen.“

Darauf wird insbesondere der für eine einjährige Übergangszeit noch zuständige „Handelsblatt“-Betriebsrat bei den anstehenden Verhandlungen achten. 60 bis 70 Kolleginnen und Kollegen sind von der Ausgliederung der Online-Aktivitäten betroffen. Bei den Redakteuren, Technikern und anderen Angestellten sorgte die Ankündigung für unterschiedliche Reaktionen. Viele fragen sich, ob die bisher vorbildlichen Sozialleistungen des Hauses auf Dauer erhalten bleiben. „Bislang hat sich die Geschäftsführung durch einen partnerschaftlichen Umgang“ ausgezeichnet“, zeigt sich die Betriebsratsvorsitzende Ulrike Mende zuversichtlich. „Gerade vor dem Hintergrund des geplanten Börsengangs ist der Verlag auf gute Leute angewiesen – ohne die geht nichts.“

Die künftigen Beschäftigten der „Handelsblatt Online AG“ sollen Aktienoptionen erhalten. Die Verlagsgruppe hofft, durch die (allerdings ungewisse) Aussicht auf schnellen Aktien-Reichtum qualifizierte Journalisten zu halten und neue zu gewinnen. Die organisatorische Trennung der Online-Aktivitäten von den Mutterblättern „Handelsblatt“, „Wirtschaftswoche“ und „DM“ wird von vielen Mitarbeitern skeptisch beurteilt. Dem hält Verlagssprecherin Kathrin Behrens entgegen, man wolle „die aus den Printtiteln gewachsenen Markenidentitäten und Qualitäten“ bewahren und die Synergien mit den Print-Publikationen weiter ausbauen. Im Klartext: An den Internettiteln „Handelsblatt.com“, „Wirtschaftswoche heute“ und „DM-Online“ werde man festhalten.

Ansonsten blickt die Verlagsgruppe Handelsblatt auf ein erfolgreiches Jahr zurück: Trotz neuer Konkurrenz durch die deutsche Ausgabe der „Financial Times“ erreichte die Auflage des „Handelsblatt“ im ersten Quartal 2000 mit 167 410 Exemplaren einen historischen Höchststand. „In der ersten Runde ist das Match an das ,Handelsblatt‘ gegangen“, jubelte Heinz-Werner Nienstedt auf der Bilanzpressekonferenz. Die Verlagsgruppe habe im Geschäftsjahr 1999 das Rekordergebnis aus dem Vorjahr noch einmal übertroffen. Der Gesamtumsatz der Verlagsgruppe stieg um 29,1 % auf 678,8 Mill. DM. Hauptumsatzträger waren einmal mehr die Zeitungen mit 257,8 Mill. DM, vor den Magazinen (168,8 Mill. DM) und den Fachmedien (106,1 Mill. DM).

Der Anteil der elektronischen Medien am Gesamtumsatz lag bei 43,4 Mill. DM. Die Anzeigenerlöse stiegen um 32,6 % auf 381,4 Mill. DM. Die Umsatzrendite betrug 17 Prozent.

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