„Rückkehr in die Fremde?“

Eine Ausstellung über Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945 bis 1955

„Demokratie, dein Mund heißt Radio“, formulierte Alfred Döblin, in der Uniform eines französischen Offiziers nach Deutschland zurückgekehrt, den Erziehungsauftrag des Rundfunks nach zwölf Jahren Hitler-Diktatur. Als „demokratischen Apparat par excellence“ machte Döblin das Medium aus, das die Re-Education der Deutschen befördern sollte.

An die Geschichte der Remigranten und des Rundfunks in den ersten zehn Jahren nach Kriegsende erinnert eine Ausstellung, die das Deutsche Rundfunkarchiv in Zusammenarbeit mit dem Archiv der Akademie der Künste Berlin und dem Arbeitskreis selbstständiger Kulturinstitute erarbeitet hat. Sie wurde zuerst in den Räumen der Berliner Akademie gezeigt, bevor sie auf die Reise durch die Republik geht.

Remigranten und Rundfunk – ein bislang kaum beackertes Feld der Medien- und Kulturgeschichte, auf das die Ausstellungsmacher aufmerksam machen. Die Schau führt die Besucher in 13 Stationen durch die Geschichte des Radios und vertraut dabei nicht nur auf Faksimiles, Fotos und Texttafeln, sondern auf das Medium selbst. Wer sich mit Kopfhörern versorgt, hört an jeder der 13 Stationen vor zeitgenössischen Radioapparaten Original-Ton-Collagen. Wer mehr Zeit und Muße aufbringt, kann – in tiefe Sessel versunken – über Stunden historischen Originaltönen lauschen.

Die Ausstellung beginnt nicht erst 1945, sondern 1933. Am 31. Januar, einen Tag nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, notiert Jochen Klepper in sein Tagebuch „Im Funk müssen wir fast alle mit unserer Entlassung rechnen, obwohl es schon der reaktionäre Rundfunk war“. Seit Beginn der 30er Jahre hatten die Nazis gegen den „Weimarer Systemfunk“ mobil gemacht. Unmittelbar nach der Machtübernahme wurde der Rundfunk gleichgeschaltet. Rundfunkmitarbeiter, die jüdischer Abstammung waren, der kommunistischen oder sozialdemokratischen Partei angehörten, mussten Entlassung und Verhaftung befürchten, leitende Mitarbeiter wurden ins KZ gebracht.

Zu den beklemmendsten Ton-Dokumenten gehört die einzige überlieferte Reportage aus einem KZ aus der NS-Zeit. Ein Nazi-Reporter „berichtet“ über das Lager Oranienburg, in das Alfred Braun, einer der populärsten Radioreporter (er wurde später SFB-Intendant) gebracht worden war.

Der Rundfunk wurde in der Hand von Joseph Goebbels zum großen Massenbeeinflussungsmittel. Nach der offenen Diskriminierung Andersdenkender durch die Bücherverbrennung setzte die Massenflucht einer politisch-kulturellen Elite aus Deutschland ein.

Viele Emigranten engagierten sich bei den deutschsprachigen Redaktionen der Rundunkstationen ihrer Gastländer. Der Rundfunk spielte eine entscheidende Rolle bei dem Versuch, von außen, aus dem Exil, auf die Deutschen einzuwirken, sie aufzuklären. Zuerst hatten sich Emigranten über „Radio Moskau“, den „Roten Sender“, an die Deutschen gewandt. Zu ihnen gehörten Willi Bredel, Friedrich Wolf, Johannes R. Becher, Herbert Wehner. Dann begann die BBC ihren deutschsprachigen Dienst. Berühmt wurden die über 50 Reden, mit denen Thomas Mann aus dem amerikanischen Exil die „Deutschen Hörer“ zu erreichen suchte. Bis heute fehlt allerdings eine solide Programmgeschichte des deutschen Exil-Rundfunks, so der Historiker Peter Steinbach in einem einleitenden Essay im Begleitband zur Ausstellung.

Nach 1945 stellte sich für die Geflohenen die Frage, ob sie in das zerstörte Land zurückkehren sollten. Die Emigranten wurden keineswegs mit offenen Armen aufgenommen. Die Ausstellung dokumentiert die „große Kontroverse“ um Thomas Mann. Frank Thieß, Vertreter der selbsternannten „Inneren Emigration“, warf den Geflohenen vor, sie hätten von „Logen und Parterreplätzen“ der deutschen Tragödie zugeschaut.

Es sind die Emigranten, die die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit forcierten. Eberhard Schütz kam als Londoner „War Correspondent“ zurück, um ausführlich über die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse zu berichten. (Er wurde später Programmdirektor des NWDR und dann des SFB.)

Markus Wolf – aus Moskau zurückgekehrt (und später Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes) kommentiert im Berliner Rundfunk die Nürnberger Urteile gegen die Hauptkriegsverbrecher. „Rückkehrer in Uniform“, wie Golo Mann oder Alexander Maass sorgen dafür, dass Re-Education vor allem „Wieder-Erziehung zur Kultur“ ist. Die „Akustische Bibliothek“ von Radio Frankfurt, geleitet von Hans Mayer und Stephan Hermlin, lässt die im Dritten Reich verfemte Literatur wieder zu Wort kommen.

Zu den Zivilisten, die an der Seite der Allierten nach Deutschland zurückkehrten, gehörte Fritz Eberhard, von 1949 bis 1958 der legendär-liberale Intendant des Süddeutschen Rundfunks.

Viele Remigranten hatten ihre Tätigkeit beim Berliner Rundfunk aufgenommen. Der Sender in Poelzigs Haus des Rundfunks (heute SFB) stand unter bestimmendem Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht. Hans Mahle, aus dem Moskauer Exil kommend, nahm ihn in Betrieb.

1945 war der Rundfunk das schnellste Medium. Papierknappheit und eine darniederliegende Presse sorgten dafür. Im Westen sollte er föderal organisiert sein, staatsfrei, den Postulaten Aufklärung, Freiheit, Mündigkeit und Öffentlichkeit verpflichtet, nachdem der „Volksempfänger“ während der Hitler-Diktatur das Instrument kollektiver Verblendung war.

Mit der Teilung der Welt und dem aufbrechenden Ost-West-Konflikt orientierten sich die Remigranten nach ihren politischen Standorten. Auf einer Begleit-Veranstaltung zur Ausstellung der Berliner Akademie der Künste erinnerte Stefan Heym, in der Uniform eines US-Sergeants zurückgekehrt, wie rasch der Rundfunk in der Nachkriegszeit in den Sog des Ost-West-Konflikts geriet und wusste sich darin einig mit der „zivilen“ Rückkehrerin Marianne Regensburger, die für den RIAS gearbeitet hatte.

Aldred Döblin, der das Radio 1947 so emphatisch gefeiert hatte, sah sich beim Südwestfunk aus der Programmarbeit gedrängt und kehrte in sein Exilland Frankreich zurück. Anesichts der Ressentiments, die vielen Remigranten nach 1945 entgegenschlugen, folgert Peter Steinbach: „Hätte es unmittelbar nach 1945 bereits Quotendenken gegeben, mancher Remigrant hätte mit Rücksicht auf die Hörerschaft kaum eine Chance bekommen.“


  • Die Ausstellung ist ab 15. Juni im Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Weitere Stationen: München, Frankfurt/M., Magdeburg, Dresden, Stuttgart, Göttingen, Hamburg und Lorsch.
    Das lesenswerte Begleitbuch zur Ausstellung kostet 32,- DM. Für einen geringen Aufpreis ist die CD zu erhalten. In 17 Tonaufnahmen sind u.a. Thomas Mann und Wolfgang Langhoff, Markus Wolf und Hans Mayer, Friedrich Karl Kaul und Werner Milch, Alfred Kantorowicz und Theodor W. Adorno zu hören.
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