„Trainingsmaßnahmen sind Abschreckungsmaßnahmen“

Was dem Münchner Arbeitsamt für arbeitslos gemeldete Film- und Theaterschaffende so einfällt

Das Zitat beschreibt die neue Politik des Arbeitsamtes (AA) München gegen die Berufsgruppe der „Künstler und zugeordneten“ Berufe. Seit zweieinhalb Jahren werden unstetig beschäftigte Film- und Theaterschaffende (FUTS) zu einer Trainingsmaßnahme verpflichtet, die beibringen soll, die „arbeitslosen Zeiten mit branchenfremder Tätigkeit“ auszufüllen.

Die rechtliche Grundlage dazu liefert der Mitte ’97 entfallene Berufsschutz. Jeder Arbeitslose darf jederzeit in jede Stelle vermittelt werden. Gerade bei Film- und Theaterschaffenden ist aber die Arbeitslosigkeit ein unumgänglicher Bestandteil des Berufslebens. Da die schöne neue Arbeitswelt vorgibt, dass man nur von Projekt zu Projekt arbeitet, ergeben sich ganz automatisch Zwischenzeiten. Viele kommen nicht umhin, diese als Arbeitsloser zu verbringen. Arbeitsfrei ist diese Zeit dennoch nicht, denn schließlich sucht man neue Projekte, knüpft Kontakte, leistet unentgeltliche Vor- und Nacharbeiten. Damit soll jetzt Schluss sein. Wenn es nach dem AA München geht, sollen in Zukunft FUTS zwischen den einzelnen Projekten im Call-Center sitzen, oder im Schlachthof Schweinehälften tragen.

Programm

So weit so schlimm, sollte man meinen. Doch bei genauerem Hinschauen erhält dieses Training noch eine andere Dimension. Das Training besteht aus mehreren Einheiten: erstens eine Einführung in das Arbeits- und Sozialrecht, zweitens ein Computertraining für Anfänger, drittens ein Personaltraining, um die jeweiligen Stärken und Schwächen der eigenen Persönlichkeit zu verdeutlichen, viertens ein Bewerbungstraining, das einem die Bewerbungssituation im klassischen Arbeitsmarkt näherbringen soll, und fünftens eine Einführung in kaufmännische Grundlagen.

Die befragten Teilnehmer – aus allen Bereichen der Branche wild zusammengewürfelt – empfanden diese Trainingsmaßnahme als eine schikanierende und inkompetent geführte Veranstaltung, bei der sie – zum Beispiel im sogenannten Personaltraining und bei den dort veranstalteten Psychospielchen – auch gedemütigt und beleidigt wurden. Die angeblich angebotenen Kursinhalte seien zum Teil gar nicht und zum Teil nur rudimentär erarbeitet worden, darüber hinaus seien sie ausschließlich auf branchenfremde Tätigkeiten ausgerichtet gewesen. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Beruf und eine Verbesserung der beruflichen Situation werde systematisch unterbunden.

Das Training dauert zwei Monate, täglich acht Stunden. In dieser Zeit schlagen die Teilnehmer oft nur Zeit tot. Der durchgeführte Computerkurs beispielsweise behandelt nur das absolute Basiswissen. Wer schon einen Tag vor „Word“ oder „Excel“ gesessen ist, langweilt sich dort sinnlos, mit den in technischen Berufen in Film und Theater verlangten Kenntnisse und Fähigkeiten hat das Computertraining aber nichts zu tun.

Statistik

Es stellt sich die Frage, warum das AA Geld für so eine sinnlose Maßnahme ausgibt. Tatsächlich spart das AA dadurch Geld. Was so paradox klingt, lässt sich schnell erklären. Das Training findet sechs mal jährlich statt. Zu jedem Trainingsbeginn werden etwa 150 Personen eingeladen. Wegen der schlechten Publicity dieser Maßnahme versuchen sich die meisten davor zu drücken. Sie melden sich ab oder krank. Die, die einfach nicht erscheinen, bekommen eine Sperrfrist, was bedeutet, dass man über einen mehrwöchigen Zeitraum kein Geld erhält, aber dennoch die Zeiten vom Anspruch abgezogen werden. So waren im Training 02. bis 04. 2000 von 150 Eingeladenen nur 15 dabei. Mit dem Geld, dass bei den restlichen 135 eingespart wird, lässt sich der Kurs und die 15 Personen bezahlen und es bleibt auch noch ordentlich was übrig.

Und als gelungener Nebeneffekt wird auch noch die Arbeitslosenstatistik geschönt. Obwohl die meisten immer noch keinen Job haben, tauchen sie dennoch nicht mehr in der Statistik auf.

Auch dass sich diese Maßnahme gerade gegen die Film- und Theaterschaffenden richtet, verwundert nicht. Sie sind relativ schlecht organisiert und erregen daher weder allzu großes Aufsehen, noch fordern sie solidarisches Handeln bei Anderen ein. Während Trainingsmaßnahmen bei anderen Berufsgruppen erst für Langzeitarbeitslose durchgeführt werden, die zum Teil über ein bis zwei Jahre ohne Job sind, werden FUTS oftmals wenige Tage nach dem Ende eines Projektes eingeladen, ohne Rücksicht darauf, ob Arbeitslosengeld oder -hilfe bezogen wird. Darüber hinaus gibt es selbst für Leute, die dieses Training bereits einmal durchlaufen haben, keine Gewähr, dass sie es nicht noch einmal müssen. Manche haben das Training schon dreimal besucht. Spätestens da wird die skandalös schikanierende Praxis eindeutig.

Diese „Erfolge“ haben nun auch andere AA auf den Plan gerufen. Das AA Freising lädt inzwischen Schauspieler zu einem achtwöchigen Bewerbungstraining. Dass Standardbewerbungen nach Vorgabe des AA für Darsteller keinen Sinn machen, ist dabei Absicht. Auch AA außerhalb Bayerns interessieren sich schon für den „Modellversuch“ München. Eine Ausdehnung auf andere Metropolen ist gut denkbar.

Protest

In München regt sich nun allerdings auch der Protest. Teilnehmer der Trainingsmaßnahme haben sich zusammengeschlossen, um gegen das Vorgehen des AA Widerstand zu leisten. Erste Erfolge, hauptsächlich in der Öffentlichkeitsarbeit wurden realisiert. Auch die Gewerkschaften IG Medien und DAG, sowie die Berufsverbände aus dem Filmbereich konnten für die Problematik sensibilisiert werden. Noch schaltet das AA München allerdings auf stur, doch sind die Forderungen der Protestierenden klar und deutlich: Wenn schon Trainingsmaßnahmen, dann kurze und fortbildende Maßnahmen nach Berufszweigen getrennt, keine Abfrage datenschutzrechtlich relevanter Daten, keine schikanierenden Vorgehensweisen der Dozenten, sowie Einführung des Saisonarbeiterstatus für die FUTS.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »