Am 4. und 5. April 2000 durchsuchten Polizeibeamte im Großraum München die Wohnungen von zwei kurdischen Schriftstellern und Journalisten. Beide sind als unabhängige Intellektuelle in den Kurdischen Nationalkongress (Sitz Brüssel) gewählt. Sowohl bei Haydar Isik als auch bei Haci Erdogan beschlagnahmten die Beamten im wesentlichen Bücher und Zeitungsausschnitte. Dabei handelt es sich durchweg um Materialien, die öffentlich zugänglich sind.
Bei Haci Erdogan wurde zusätzlich die Festplatte des Computers durchsucht und eine Diskette beschlagnahmt. Auf der Diskette befinden sich nach Angaben von Haci Erdogan Texte, die 1986 von Mitgliedern von Pax Christi und Medico International nach einer Delegationsreise nach Kurdistan angefertigt wurden. Außerdem wurden bei beiden Ausschnitte der prokurdischen türkischsprachigen Zeitung „Özgür Politika“ beschlagnahmt. „Özgür Politika“ kann in der Bundesrepublik an jedem Zeitungskiosk gekauft werden.
Bei den Büchern und Zeitungsausschnitten handelt es sich jeweils um Einzelexemplare, deren Besitz, selbst wenn es sich um verbotene Publikationen handeln würde, keineswegs strafbar ist. Sowohl Haydar Isik als auch Haci Erdogan arbeiten publizistisch; sie sind Mitglied der IG Medien. Für beide sind die beschlagnahmten Unterlagen wesentliche Grundlage für ihre journalistische bzw. schriftstellerische Arbeit.
Im Durchsuchungsbeschluß, der vom Amtsgericht München und vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck in wortidentischer Form verfügt wurde, heißt es, es solle nach Spendenquittungen, Spendengeld und Propagandamaterial gesucht werden. Nachdem weder Spendengelder noch -quittungen zu finden waren, nahmen die Beamten offensichtlich jene Unterlagen mit, die mehr oder weniger mit dem Problemfeld Kurdistan zu tun haben, darunter aus Isiks Wohnung auch dessen Roman „Safagi Beclemeyecegiz „(Wir warten nicht auf den Sonnenaufgang) und vier Musikkassetten.
Haydar Isik musste 1980 nach dem Militärputsch aus der Türkei fliehen. Er ist für sein langjähriges Engagement für eine politische Lösung des Kurdistankonflikts bekannt. Haci Erdogan arbeitet als Kolumnist für „Özgür Politika“ und ist Redaktionsmitglied bei der Vierteljahresschrift „Birnebun“.
Das Vorgehen der Behörden muß nach Meinung der Rechtsanwältinnen der beiden Betroffenen in Zusammenhang mit einer Veranstaltung in München am 25. Dezember 1999 gesehen werden, an der Haydar Isik und Haci Erdogan teilgenommen hatten. Bei dieser Veranstaltung war in geringfügigem Umfang gegen behördliche Auflagen verstoßen worden, z.B. als drei (!) Wunderkerzen abbrannten, oder die Kundgebungsteilnehmer „es lebe Apo“ skandierten. Apo ist der Spitzname des in der Türkei zum Tode verurteilten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Rechtsanwältin Juliane Scheer: „Bestenfalls liegt hier eine Ordnungswidrigkeit vor, die aber unter keinen Umständen eine Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt.“ Vielmehr scheinen Polizei und Staatsanwaltschaft daran gelegen gewesen zu sein, den beiden Nationalkongress-Mitgliedern zu verstehen zu geben, dass ihre Aktivitäten (wie die Organisation einer Feier zum kurdischen Neujahrsfest Newroz am vergangenen Samstag in München) unerwünscht sind. Gegen die Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahmungen werden Hyadar Isik und Haci Erdogan Rechtsmittel einlegen.
Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien hat in einer Erklärung vom 5. April 2000 aufs schärfste gegen das Vorgehen der Behörden protestiert (siehe Pressemitteilung 35 vom 5. April 2000). Am Wochenende protestierten in mehreren Städten der Bundesrepublik Kurden gegen die Vorfälle in Bayern.