Frauen in der ARD
Eine Diskussion unter Frauen. „Wie ich das liebe, diese Frühdienste während der Fußball-EM in einer Redaktion, in der 50 Prozent Männer arbeiten“, sagte eine und die anderen nicken. Zwar kann sich keine von uns vorstellen, dass man Frühdienste lieben könnte. Aber in einer Redaktion, in der nur die Hälfte männlich ist, was ja bedeutet, dass die andere Hälfte weiblich ist, muss gut arbeiten sein. Wir hatten sie missverstanden. Ihr Satz war ein Seufzer, pure Ironie! Ihr waren 50 Prozent zuviel in Wochen, in denen sich beinahe jeder Mann als Fußball-Experte versteht und sich aufgerufen fühlt, Frau die Sache einfach zu erklären.
Aber haben wir dafür nicht gekämpft? Für Chancengleichheit, für annähernd ausgeglichene Verhältnisse? Gegen das Dasein als „einzige Frau“. Die – so schien es – oft hauptsächlich deshalb beschäftigt wurde, um mit ihr zu argumentieren. So ließ sich Liberalität demonstrieren „Hier arbeitet auch eine Frau“ hieß: „wir haben nichts gegen Frauen“, hieß aber auch „Wir haben schon eine. Mehr brauchen wir nicht.“ So ließen sich weitere Bewerbungen abschmettern. Andernfalls wären die Kollegen vielleicht sauer geworden und hätten ihre Karriere-Chancen ernsthaft bedroht gesehen.
Bei den Nachrichten gab es über die Jahrzehnte immer eine Chefin vom Dienst. Das war in Ordnung. Eine Frau, neun Männer, ein gutes Verhältnis. Als ich mich Anfang der 80er Jahre um eine freie Stelle bewarb, nahm mich ein Kollege zur Seite. Ganz im Vertrauen und offenbar ohne sich vorstellen zu können, dass mich das verletzen konnte. „Mach dir keine Hoffnung, mehr als eine Kröte schlucken sie nicht“, sagte er. Als Erklärung, warum ich die Stelle nicht bekommen würde. Kröte gleich Frau. (Ich bekam sie dann zwar doch, was mich einige Nerven gekostet hat. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Zwanzig Jahre ist das her. Es scheint viel länger. Wer heute von den schönen Zeiten schwadroniert, da es im Journalismus keine Frauen gab, wird ausgelacht. Damals war das in manchen Kreisen üblich. Der Rat, es im Bergbau zu versuchen, wurde nicht gern gehört. Obwohl der tatsächlich noch immer frauenfrei ist, wenn auch nicht in einem guten Zustand. Vielleicht gerade deshalb… Frauenfrei sind heutzutage nicht einmal mehr die Sportredaktionen. Obwohl die sich am längsten und tapfersten gewehrt haben.
Wie weit wir gekommen sind, wird in Gesprächen mit Kolleginnen deutlich, die am Anfang ihrer Karrieren sind. Sie sehen keine Hindernisse auf ihrem Weg nach oben. Erzählungen aus einer Zeit, da der Chef immer ein Mann und jede Frau eine Sekretärin war, finden sie komisch. Und doch. So war es noch Anfang der 80er Jahre.
Als die damalige Hörfunkdirektorin ihren Ausstand in der Katholischen Akademie feierte, lud sie dazu alle Redakteurinnen ein. Wir erschienen zahlreich und merkten im Gespräch mit dem Akademie-Direktor, dass er uns alle für Sekretärinnen hielt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es so viele Redakteurinnen beim BR gab. Damals lag der Frauenanteil im BR immerhin schon bei gut 40 Prozent! Zehn Jahre später hatte er 44,55 Prozent erreicht. 1993 gab es also unter den Festangestellten 1576 Frauen und 1996 Männer. Inzwischen, das heißt im Jahr 1998 – das letzte, für das genaue Zahlen vorliegen – sind es 1536 Frauen und 1849 Männer. Der Frauenanteil liegt damit jetzt bei 45,4 Prozent. Allerdings befinden sich noch immer die meisten Frauen in den unteren, schlechter bezahlten Gruppen. Bei den Freien ist übrigens mit 573 Männern und 570 Frauen die Parität fast erreicht.
Es geht also aufwärts. Es gibt inzwischen Auslandskorrespondentinnen (zum Beispiel in London und Buenos Aires), Studioleiterinnen (in Wien), sogar Kommentatorinnen bei Fußballspielen. (Die allerdings sind noch in der Situation, keine Fehler machen zu dürfen, wollen sie nicht den alten Vorwurf hören „Frauen können das einfach nicht.“) Es gibt mehr Abteilungsleiterinnen als früher und vereinzelt Hauptabteilungsleiterinnen oder Direktorinnen.
Heute hören Männer manchmal das Argument, sie seien ja hoch qualifiziert und man hätte sie auch gern für einen Posten genommen, aber leider, leider das Geschlecht sei falsch. In Zeiten der Gleichstellungsbeauftragten seien Männer kaum mehr durchzusetzen. Das ist natürlich ein großer Blödsinn. Prozentual werden auch heute noch mehr Männer eingestellt und beschäftigt als Frauen. Aber es ist Zeichen eines Stimmungswandels. Einer weit verbreiteten Furcht. Männerkarrieren scheinen bedroht. Was einmal so einfach schien – der Weg vom Freien zum Festen, vom Redakteur zum Abteilungsleiter – ist schwieriger geworden. Allerdings gilt das für beide Geschlechter. Unbefristete Stellen sind selten geworden. Dass besser qualifizierte Frauen eine Stelle bekommen, so weit sind viele Kollegen schon. Dass eine gleich qualifizierte Frau eine Stelle bekommt, das ist auch bei den Toleranten umstritten. Es widerspricht ihrem Sinn von Chancengleichheit.
Die Institution der Gleichstellungsbeauftragten, so scheint es manchmal, wird von den Kollegen ernster genommen, bedrohlicher empfunden, als von den Kolleginnen.
Als wir in den 80er Jahren anfingen, an unserem ersten Gleichstellungsplan zu arbeiten, konnten wir uns nicht vorstellen, dass es über 15 Jahre dauern würde, bis auch der BR tatsächlich ein Gleichstellungsgesetz und eine Beauftragte haben würde. Wir ahnten nicht, dass sich die Generation nach uns für das Erkämpfte nur mäßig interessieren würde. Den Jüngeren ist das Erreichte selbstverständlich. Was zeigt, wie weit wir wirklich schon gekommen sind.
- Brigitte Reimer, seit 1981 Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk/Hörfunk – zunächst in der Nachrichtenredaktion, seit 1989 im Zeitfunk. Dort inzwischen stellvertretende Leiterin. Sie organisierte mit der Frauengruppe im Bayerischen Rundfunk u.a. das Medienfrauentreffen 1993 in München.