Blut ist dicker als Wasser

Die deutsche Fernsehlandschaft ist endgültig in Senderfamilien aufgeteilt

Schon seit Jahren funktioniert Medienaufsicht in Deutschland nach dem Prinzip von Hase und Igel. Weil Konzerne wie Bertelsmann oder Kirch-Gruppe den Kontrolleuren stets einen Schritt voraus waren, blieb denen nichts anderes übrig, als die Gesetzgebung an die Realität anzupassen. Mit der Aufteilung der Fernsehlandschaft in Senderfamilien hat sich das Modell der Konzentrationskontrolle endgültig erledigt.

Im Privatfernsehen gibt es zwar zwischen den beiden großen Mühlsteinen Kirch und Bertelsmann bloß noch ein paar kleine Körnchen wie den Nachrichtensender n-tv, doch die Meinungsvielfalt sehen die Aufsichtsgremien trotzdem nicht in Gefahr. Hinter dieser Gleichgültigkeit verbirgt sich wohl auch die Einsicht, das von Privatsendern ohnehin keine großen Beiträge zur Meinungspluralität zu erwarten sind. Abgesehen davon ist ProSieben beim konzentrationsrechtlichen „Zuschaueranteilsmodell“ ohnehin als Kirch-Sender betrachtet worden.

Doch auch die veröffentlichte Meinung nahm die „Liebesheirat“ der beiden Kirch-Sender ProSieben und Sat.1 gelassen zur Kenntnis. Nur die Aktionäre des Axel-Springer-Verlages waren überhaupt nicht begeistert, weil das Haus seine Anteile an Sat.1 (41 Prozent) gegen 11,48 Prozent der KirchMedia tauscht; jetzt hat man überhaupt nichts mehr zu sagen und wird sich wohl ganz aus dem Geschäft zurückziehen.

Wenn überhaupt eine Branche die aus ökonomischer Sicht höchst vernünftige Eheschließung zwischen ProSieben und Sat.1 mit Skepsis verfolgt, dann ist es die Werbung treibende Wirtschaft. Die beiden Giganten des Werbefernsehens, KirchGruppe und CLT-Ufa (RTL, RTL 2, Super RTL, Vox), teilen sich fast den ganzen Werbekuchen. Die Kirch-Sender (ProSieben, Sat.1, Kabel 1, DSF, N24) dominieren das Geschäft. Von den 5,21 Milliarden Mark, die es brutto in den ersten vier Monaten dieses Jahres zu verdienen gab, ging mit 2,54 Milliarden fast die Hälfte nach München-Unterföhrung beziehungsweise Berlin (die beiden Werbezeitvermarkter MGM und Media 1 werden konsequenterweise ebenfalls zusammengeführt); die CLT-Ufa-Gruppe kassierte 1,97 Milliarden. Die restlichen 700 Millionen gehen an die Mini-Sender, zu denen zumindest in Sachen Werbung auch ARD und ZDF gehören.

Skepsis bei der Werbewirtschaft

Um so wichtiger ist der öffentlich-rechtliche Block für die Meinungsvielfalt. Die zweite Säule des dualen Rundfunksystems ist die unabdingbare Voraussetzung, um die Entwicklung zum privatwirtschaftlichen Duopol mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen zu können. Zusammengerechnet haben ARD, ZDF, die Dritten Programme sowie Spartenkanäle wie Phoenix oder 3sat (insgesamt 43,2 Prozent) immer noch mehr Marktanteile als Kirch-Gruppe (25,5 Prozent) und CLT-Ufa (24,1, Prozent). Bei der für die Werbung maßgeblichen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen liegen die Kirchsender (32,9 Prozent) übrigens ebenfalls vor RTL & Co (29,6 Prozent).

Während sich die Fernsehlandschaft mit dieser Blockbildung in den nächsten Jahren vermutlich konsolidieren wird, ist die Entwicklung innerhalb der Familien noch nicht beendet. Offiziell sind beispielsweise ProSieben und Sat.1 zwar gleichberechtigte Partner, doch im Vorstand der neugegründeten ProSiebenSat1 Media AG werden drei Positionen vom bisherigen Pro-Sieben-Vorstand besetzt (Urs Rohner, Ludwig Bauer, Lothar Lanz); Sat.1 wird von Geschäftsführer Jürgen Doetz vertreten. Programmliche Änderungen sind daher in erster Linie beim Berliner Sender zu erwarten. ProSieben ist mit seiner Ausrichtung als Spielfilmsender für eine junges Publikum ohnehin das erfolgreichere der beiden Programme. Sat.1 wäre allerdings schon seit geraumer Zeit viel deutlicher in der Gewinnzone, wenn nicht Jahr für Jahr die teuren Bundesliga-Rechte Riesenlöcher in die Bilanzen reißen würden. Diese Senderechte stammen von der ISPR. Diese Firma für den Handel mit Sportrechten gehört zu je 50 Prozent Kirch und Springer, die sich auf diese Weise vom eigenen Sender teuer bezahlen ließen. Das klingt zwar dialektisch, zumal Leo Kirch seinerseits mit gut 40 Prozent an Springer beteiligt ist, doch man kann davon ausgehen, dass der gewiefte Taktiker auch an diesem Geschäft profitiert hat.

Produktion, Rechte, Technik in einer Hand

Während sich Kirch in der glücklichen Lage befindet, eine komplette Medienindustrie – Produktionsfirmen, Rechtehandel, TV-Sender und Technologie – zu befehligen, sind die Strukturen beim Konkurrenten CLT-Ufa weniger eindeutig. Hier gibt es keine vergleichbare Dominanz eines einzelnen Konzerns. Die Anteile an der Holding mit Sitz in Luxemburg halten die Finanzfirma Audiofina (dominiert von dem Belgier Albert Fr_re) sowie auf deutscher Seite die Zwischengesellschaft BWTV, die zu 80 Prozent zu Bertelsmann gehört; die restlichen Anteile liegen bei der Essener WAZ-Gruppe. Auch bei den einzelnen Sendern ist die CLT-Ufa allenfalls primus inter pares. Nur beim deutschen Marktführer RTL gibt es neben der CLT-Ufa (89 Prozent) noch den Juniorpartner BWTV. Schon allein aus diesem Grund liegt es aus Sicht der CLT-Ufa nahe, die Konzerninteressen auf RTL – Brutto-Werbeumsatz 1999: 3,8 Milliarden Mark – zu konzentrieren. Die anderen Sender haben sich diesen Interessen unterzuordnen: Vox musste den potenziellen Quotenknüller „Titanic“ abgeben, RTL 2 darf von der nächsten „Big Brother“-Staffel nur das tägliche Graubrot ausstrahlen, und Kindersender Super RTL zeigt samstags vormittags Konserven, um nicht dem „Disney Club“ bei RTL in die Quere zu senden.

Auch bei Sat1 wird man sich daran gewöhnen müssen, dass die Entscheidungen zukünftig nicht mehr in Berlin, sondern in München-Ismaning, dem Sitz der Kirch-Gruppe, fallen. Profitieren müsste davon eigentlich der Zuschauer. Gerade an Feiertagen haben sich die Privatsender in der Vergangenheit mit Top-Programmen zu überbieten versucht; damit dürfte dank einer vernünftigen Koordinierung jetzt Schluss sein. Das ist doch schon mal was.

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