Es gibt Probleme, die juristisch schwer zu lösen sind, nur solidarisches Handeln bringt vorwärts
„Kurt Gerrons Karussell“ heißt Ilona Zioks ebenso leiser wie ausdrucksstarker Dokumentarfilm über den jüdischen Chansonnier, Schauspieler und Kabarettisten, den die Nazis 1944 in die Gaskammer schickten. Bemerkenswert ist dieser Film vor allem, weil er Gerron in authentischen Erzählungen von Zeitzeugen, etwa von Camilla Spira, in all seiner Besessenheit als Künstler wieder lebendig werden lässt.
Die überlebenden Weggefährten des Schauspielers, der stets gern Schurken, Banditen und schmierige Kapitalisten spielte, hatte Ilona Ziok aus aller Welt in einen kleinen Theatersaal zusammengeführt. Ute Lemper, Max Raab, Ben Becker und Bente Kahan gewann die Autorin, das Werk Gerrons zu rezitieren. Kritiker allerorten waren voll des Lobes für die außerordentliche Leistung der Autorin, ihr Film fand international Anerkennung.
Doch in der Redaktion gab es Trouble. Eine gekürzte Fassung des Films wurde in Arte und beim SFB ausgestrahlt. Ziok, eine ebenso eigenwillige wie ambitionierte Filmemacherin und Produzentin, verwehrte sich dagegen heftig. Die Kürzung stelle einen Eingriff „in die angelegte filmische Konstruktion und den Rhythmus des Films“ dar. Im gekürzten Film ende Kurt Gerron endgültig in Auschwitz, moniert die Autorin. In der längeren Fassung ist er am Ende des Films in einer Zeichnung zu sehen, die ihn trotzig aufbegehrend zeigt, zu hören ist sein Lied „Das kleine Nachtgespenst“. Dieses Ende, so sagt die Autorin, hat seine Bedeutung: Der Künstler wurde brutal ermordet, doch sein Geist und seine Kunst leben für die Nachwelt weiter.
Und gnadenlos unterbezahlt
Dieses Werk sei zudem gnadenlos unterbezahlt, meint Thomas Frickel von der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e. V. (ag. dok.). Aus gesicherten Quellen wisse er, so Frickel, dass Arte pro Sendeminute an den SFB aus öffentlichen Rundfunkgeldern rund 3000 Mark zahle, der Sender also etwa 180 000 Mark insgesamt einnehme. Die Autorin und Produzentin selbst bekam nach eigener Aussage rund 80 000 Mark brutto. Ziok zieht ein bitteres Fazit: Für die von ihr nicht autorisierten Kürzungen wurde ihr zudem noch Geld abgezogen. Die Autorin zieht jedoch noch ein anderes Fazit: „Auch wenn andere über mich sagen mögen, ich sei schwierig. Es ist wichtig, sich zu wehren“. Verlust von Folgeaufträgen befürchtet sie nicht, denn ihre Filme laufen gut und bringen den Sendern, wie man sieht, Geld ein. Die ag. dok. bemühte sich um einen Kompromiss: „Intendanz und Justiziar waren zu einer Einigung bereit, doch die Redakteurin ließ sich von ihrer unflexiblen Haltung nicht abbringen“.
Nicht nur individuelles Tauziehen um Vertragsbedingungen ist Frickel wichtig, sondern auch politische Einmischung: „Die „ag. dok.“ setzt sich dafür ein, das geltende Urheberrecht durch ein Urhebervertragsrecht zu erweitern. Wir wollen durchsetzen, dass für jede Form der Verwertung eine angemessene Vergütung zu zahlen ist. Ein Honorar für die geleistete Arbeit, eines für die Verwertung“, erläutert Frickel. Sowohl für Autoren als auch für unabhängige Produzenten müsse das gelten.
Eine Möglichkeit diese Veränderungen herbeizuführen, sieht Beate Maihöfer darin, die Vertragsbedingungen selbst zu formulieren“, so die Fachanwältin für Arbeitsrecht, auch im Auftrag der IG Medien tätig. „Je mehr Leute dies machen, desto größere Erfolgschancen beim Auftraggeber“. Doch wenn der Sender darauf besteht, dass der hausinterne Vertrag unterschrieben werde, könne der Autor wenig dagegen ausrichten: „Dieses Problem ist juristisch selten zu lösen. Dagegen hilft nur das Solidaritätsprinzip der Autoren, immer wie-der entsprechende Verträge einzufordern“. Inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Autoren und Redakteuren seien mit urheberrechtlichen Begründungen kaum zu lösen.
Ein Fall für Schmerzensgeld
Ilona Zioks Problem ist jedoch keine Ausnahme. Der Berliner Vertragsanwalt der ag. dok., Christlieb Klages, erinnert sich auch Helga Reidemeisters Fall. Deren ursprünglich 90-minütiger Film über Rudi Dutschke „Aufrecht gehen“ wurde vom SFB unautorisiert als 45 Minutenstück verhackstückt. Helga Reidemeister zog vor den Kadi und es kam zu einem Vergleich, weil es sich dabei um „einen gröblichen urheberrechtlichen Verstoß“ handelte. Sie bekam Schmerzensgeld.
Filmemacher seien auch in öffentlich rechtlichen Sendern zunehmend zu Lieferanten von Rohmaterial degradiert. Klages ist es ein politisches Anliegen, dagegen vorzugehen. „Es kann nicht sein, dass sich Sender Eigentums- und Bearbeitungsrechte übertragen lassen und dann das überlassene Material unvergütet und unautorisiert umgestalten“. Klages gelang es kraft seiner Argumente, den Sender von seinem Vorhaben abzubringen.
Nur noch Rohmaterial
Diese Entwicklung liege allerdings derzeit offenbar im Trend, so der engagierte Anwalt. Eine fatale Tendenz und eine persönliche Entwertung der Filmemacher sieht Klages in solchem Vorgehen. Die Botschaft dahinter sei wohl eindeutig: „Ihr seid für uns kleine Schnösel, die wir mit der Kamera auf die Straße schicken – ihr gebt uns das Material, wir machen damit, was wir wollen“.
Dass solche Methoden jetzt schon konzeptionell verankert werden, wie etwa in der 20-teiligen Arte-Serie „Mein Gott, Europa“, ist in Klages‘ Augen „die Spitze des Eisbergs und urheberrechtlich bedenklich“. Der deutsch-französische Kultursender Arte hatte in Kooperation mit der britischen BBC junge europäische Filmemacher aufgefordert, ihr Bild vom Kontinent festzuhalten – doch die Sache hatte einen Haken. Klartext: In diesem „Europa-Projekt“ durften sich junge Filmemacher zwar – wie es im Presseheft so schön heißt – „kreativ, ambitioniert und talentiert“ austoben, „wenn Ideen in Ihrem Herzen brennen“. Doch das dicke Ende folgt: Die Autoren müssen alle Rechte an den Sender abgeben, sie haben keine Kontrolle über die inhaltliche Gestaltung ihres Films. Der Zutritt zum Schneideraum ist den „jungen Talenten“ nur mit Sondergenehmigung möglich.
„Richtiges Leben kann nicht in einen Plan gepresst werden“, heißt es zur Begründung in dem Aufruf an junge europäische Filmemacher, den der Produzent Adam Alexander 1998 verfasst hat. Gemeint ist, dass die Interpretation nicht mehr durch den Autor erfolgen soll, sondern durch den Sender. Weiter im Text: „Also sind Sie der Filmemacher, der neugierig und engagiert ist? Der eine spannende Geschichte zu erzählen hat, von er nicht noch nicht weiß, wo sie hinführen wird?“
Was soll eigentlich aus den jungen Autoren werden, wenn Sie nicht wie die vorherigen Generationen die Chance bekommen, zu lernen, was es heißt, Zivilcourage und Rückgrat zu entwickeln? Und wie sollen die Zuschauer zukünftig noch Vertrauen in ein Programm im öffentlich-rechtlichen Auftrag setzen, wenn es keinen Streit mehr um Inhalte gibt? Wenn alles aus dem Zusammenhang gerissen und im dusteren Schneideraum wieder beliebig als Patchwork zusammengesetzt werden darf?