Keine lokale Vielfalt mehr

WAZ-Konzern schließt Lokalredaktionen

Die Pressevielfalt in Nordrhein-Westfalen ist weiter geschrumpft. Gleich drei Redaktionen der „Westfälischen Rundschau“ (WR) im Sauerland schloss der WAZ-Konzern zum 1. Oktober. Von den zwölf RedakteurInnen wurde bislang keine/r entlassen. Sie sollen zum Teil in anderen der verbliebenen rund 30 Lokalredaktionen der „Westfälischen Rundschau“ arbeiten, zum Teil aber auch als sogenannte Springer eingesetzt werden.

Am 25. September erfuhren die Beschäftigten in den Redaktionen Iserlohn, Letmathe und Hemer durch einen Anruf der Chefredaktion, dass sie nur noch fünf Tage lang für ihre Leser und Leserinnen schreiben. Die Ausgabe für Samstag, 30. September, sollte die letzte sein. Und die LeserInnen-Briefe für diese Ausgabe durften die Lokalredakteure nicht selbst in Blatt heben. Diese Aufgabe wurde von der Chefredaktion zur „Chef(redaktions)sache“ erklärt. Schon am 2. Oktober fanden dann die Abonnenten der „Westfälischen Rundschau“ in den genannten Orten den Lokalteil des IKZ („Iserlohner Kreisanzeiger“) in ihrem vertrauten Rundschau-Mantel. Eine andere lokale Tageszeitung können sie nicht bestellen. Es gibt keine.

Auch der IKZ gehört zum WAZ-Konzern; offiziell zwar nur zu 25 Prozent, doch das Kartellamt ist der Überzeugung, dass IKZ-Geschäftsführer Wichelhoven durch die Verträge mit dem Konzern letztlich nichts mehr zu sagen hat. Wichelhoven habe seine Anteile zwar in eigenem Namen, aber auf Risiko und Rechnung der WAZ erworben. Die WAZ habe ihm den Kaufpreis für die Anteile zur Verfügung gestellt und sich in einem weiteren Vertrag unter anderem Gewinnanteils- und Verfügungsrechte für diese Anteile einräumen lassen, konstatierte das Kartellamt schon im Februar 1998. Dieser Zusammenschluss sei dem Kartellamt von der WAZ nicht angezeigt und angemeldet worden. Der Wettbewerb auf dem Zeitungsmarkt in diesem Verbreitungsgebiet sei durch den Zusammenschluss vollständig ausgeschaltet. Denn wer im Lokalteil inseriert, liest seine Anzeige in beiden Zeitungen. Die Behörde untersagte damals diesen Zusammenschluss. WAZ-Justiziar Heyer kündigte daraufhin gleich an, gegen diesen Beschluss Beschwerde einzulegen und den Rechtsstreit notfalls bis zum Bundesgerichtshof zu führen. Das tat der Konzern auch. Das abschließende Urteil wird noch für dieses Jahr erwartet. Kenner der NRW-Zeitungsszene sind denn auch überzeugt, dass der Konzern die Entflechtung, die womöglich vom Gericht angeordnet wird, vorweggenommen hat.

Flurbereinigung aus Kartellrechtsgründen

Denn alle anderen Gründe, die Mitglieder der Geschäftführung und Chefredaktion dem Betriebsrat und der Belegschaft nannten, sind für die Beschäftigten nicht nachzuvollziehen. Hatten die Geschäftsführer Erich Schumann und Günther Grotkamp während der letzten Betriebsversammlungen den WR-Redakteurinnen stets von einem Auflagen-Plus in Iserlohn gegenüber einem Abo-Rückgang des IKZ berichtet, teilte Schumann den Betriebsräten am besagten 25. September nun mit, die Auflage der WR in Iserlohn mit den Ausgaben Letmathe und Hemer stagniere auf niedrigem Niveau. Und auf der Betriebsversammlung anläßlich der bevorstehenden Schließung meinte WR-Chefredakteur Frank Bünte, die SPD sei eine treibende Kraft in dieser Angelegenheit. Die Partei, der noch wenige Anteile der WR gehören, habe ein Interesse daran, dass die Dividende möglichst hoch sei – zur Finanzierung der Wahlkämpfe. Und die Schließung sei für Schumann eben ein Beitrag zur Erhöhung dieser Dividende. Der Verlag sei reich und die Renditebotschaft habe gegenüber der publizistischen Botschaft dominiert. Der Entschluss der WAZ-Konzernleitung sei nicht aus heiterem Himmel gekommen, es habe Rauchwölkchen gegeben.

Über Dividendenerhöhung spricht die Konzernleitung jedoch nicht. Und die Rauchwölkchen blieben von den Beschäftigten unbemerkt. Die WR-Redaktion Iserlohn, gerade erst vier Wochen vorher mit nagelneuen technischen Geräten an jedem Arbeitsplatz ausgestattet und damit auch endlich online erreichbar, mußte stattdessen am 26. September den AbonnentInnen auf der ersten Lokalseite mitteilen, der Schließungsbeschluss „stellt sicher, dass die Leserinnen und Leser der íWestfälischen Rundschau‘ auch künftig umfassend und aktuell aus überregionaler, regionaler und lokaler Sicht informiert werden. Mit dieser Konzentration verstärkt die ,Westfälische Rundschau‘ zugleich ihre Anstrengungen in den Wettbewerbsgebieten im Großraum Dortmund, im Märkischen Kreis, im Lenne- und Volmetal sowie im Siegerland“. Für die in der Lokalredaktion formulierten Überschrift „WR stellt Erscheinen vor Ort ein“ gab’s tags darauf eine Gegendarstellung aus eigenem Haus. Chefredakteur Frank Bünte ließ die „liebe Leserin, lieber Leser“ wissen: „Die Rundschau bleibt am Ort, wenn auch nicht mehr mit eigenen Lokalredaktionen.“

Weitere aktuelle Beiträge

Für ein digitales Ökosystem

Markus Beckedahl, Journalist und Gründer des Online-Portals www.netzpolitik.org, erkennt  im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Ort, wo alternative digitale Infrastrukturen gut entwickelt werden können.
mehr »

Rechte Influencerinnen im Netz

Rechtextremismus und rechte Parolen verbinden viele Menschen automatisch mit testosterongesteuerten weißen Männern. Diese Zielgruppe füttert AfD-Politiker Maximilian Krah mit simplen Parolen wie: „Echte Männer sind rechts.“ Das kommt an bei Menschen, die im Laufe der Zeit irgendwann beim „Gestern“ stecken geblieben sind. Inzwischen verfangen solche rechten Klischees auch bei Frauen. Vor allem im Internet.
mehr »

KI macht Druck auf Suchmaschinen

Die Künstliche Intelligenz frisst den Traffic: Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) meldet massive Einbrüche bei der Suchmaschinen-Nutzung aufgrund von Chatbots bei Google oder ChatGBT. Weil viele Nutzer*innen sich mit den Zusammenfassungen von KI zufrieden geben, klicken sie nicht mehr weiter zu den Websites, von denen die Informationen bezogen werden.
mehr »

Sicher ist sicher: Eigene Adressen sperren

Journalist*innen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Ziel rechter Angriffe geworden. Die Zahl tätlicher Übergriffe erreichte 2024 einen Rekordwert, so eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Die Autoren benennen die extreme Rechte als strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit. Einschüchterungen oder sogar körperliche Übergriffe geschehen mitunter direkt an der eigenen Haustür. Den damit verbundenen Eingriff in das Privatleben empfinden Betroffene als besonders belastend.
mehr »