Wie der digitale Wandel die öffentliche Diskussion in unserer Mediendemokratie verändert, ist Leitthema des Bandes „Medienumbruch und Öffentlichkeit“. Medienwissenschaftler Norbert Bolz beschäftigt sich in seinem Stück „Propaganda 2.0“ mit der Transformation des Propagandabegriffs im digitalen Zeitalter. Der „Islamische Staat“ verzichte – anders als noch die RAF – auf eine Begründung für seine Terroraktivitäten. Er werbe schlicht „mit der eigenen Grausamkeit“. Viele Nachrichtenmedien gingen dieser Strategie auf den Leim.
Als Quelle, so Bolz, werde in den Medien-News fast täglich „Propagandavideo der IS“ angegeben. Schlussfolgerung des Autors: „Der Terror sendet sich in den offiziellen Massenmedien weltweit selbst.“ Bolz bezeichnet die auf höchstem professionellem Niveau elaborierte IS-Propaganda als „Selbstorganisation der radikalen Verlierer“. Vor diesem Hintergrund verschwimmen für ihn die Grenzen zwischen Werbung, Public Relations und Propaganda.
Für „Cicero“-Redakteurin Petra Sorge erscheint der vielfach behauptete Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und der Krise des Printmarktes zu simpel. Es gebe keine Nachfrage-, sondern vielmehr eine Anzeigenkrise. Anhand der bekannten Geschäftsmodelle – von der Paywall bis hin zu den neu entstandenen Digital-Kiosken wie „Pocketstory“ oder „Blendle“ erörtert die Autorin die kommerziellen Überlebensaussichten für journalistische Produkte. Gegen den Begriff „Onlinejournalismus“ setzt Sorge den Terminus „Digitaler Journalismus“. Darunter fallen für sie derzeit drei der von ihr ausführlich erläuterten Bereiche: der webbasierte Echtzeitjournalismus, das multimediale Storytelling und der Social Media Journalismus. Ausdrücklich widerspricht sie der Annahme, dass Qualitätsjournalismus bei Facebook und Co. keinen Platz finde. Das eigentliche Problem sei die durch die sozialen Netzwerke beförderte Vergrößerung des „Knowledge Gap“. Die zentrale Herausforderung für den Journalismus im 21. Jahrhundert sei also eine doppelte: Neben der Finanzierung ist es die Frage, wie verhindert werden kann, dass sich diese Lücke zwischen Informierten und den von der digitalen Entwicklung Abgehängten nicht noch weiter vergrößert.
Meinungsforscher Hans Mathias Keppling erörtert in seinem Beitrag das spezifische Machtverhältnis zwischen Politik und Medien. Einigermaßen redundant erscheinen seine medienökonomischen Ausführungen, in denen er bekannte Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung der Printmedien referiert. Fixiert auf die längst überholte Konkurrenzdebatte zwischen „bloggenden Laienjournalisten“ und „traditionellen Medien“ gibt er am Ende Entwarnung: „Ein großer Teil der Zeitungen und Zeitschriften wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Auflagen-, Reichweiten- und Einnahmeverluste überleben und sich, wenn der bisher unbekannte Boden erreicht ist, stabilisieren.“
Abgerundet wird der Band durch sieben Thesen des früheren „Wirtschaftswoche“-Chefredakteurs Roland Tichy zur Fehlentwicklungen im aktuellen Journalismus, auf die seiner Meinung nach der galoppierende Glaubwürdigkeitsverlust der Medien zurückgehen könnte: vom Skandalisierungs- bis zum Rudeljournalismus.
Fazit: Ein inhaltlich etwas disparater Band, der einige nützliche Erkenntnisse liefert, unterm Strich aber viel Bekanntes wiederkäut. Er versammelt vier Beiträge, die auf ein Interdisziplinäres Colloquium des Kölner Lindenthal-Instituts vom 8. November 2014 und vom 31. Januar 2015 zurückgehen. Wieso diese kaum Broschürenstärke erreichende Kompilation zu einem derart stolzen Preis vertrieben wird, bleibt das Geheimnis des Verlags.
Johannes Hattler, Hans Thomas (Hg.): Medienumbruch und Öffentlichkeit. LIT Verlag Münster 2016, 64 Seiten, 29,90 Euro.