Jauch auch

Stell dir vor, es ist Talkshow und keiner schaut hin. Getalkt wurde doch gestern schon und vorgestern und auch morgen und übermorgen. Nein, übermorgen nicht. Am Freitag, da lachen wir Couch-Potatoes nur über Comedy oder können uns nicht mehr erinnern, ob wir den „Tatort“ schon gesehen haben. Samstag auch nicht, da singen wir Volkslieder. Aber Sonntag, das ist neu. Sonntag talkt jetzt Günther Jauch. Auch.
Aber vielleicht ist das gar nicht lustig und man muss es so sehen: die ARD delegiert ihren Auftrag zur politischen Meinungsbildung an die TV-Plaudertaschen. So bis Do blüht jetzt eine Talkshow-Monokultur. Die ARD hält das für politisches Fernsehen. Ein Koordinator soll die Themen koordinieren. Aber was, wenn ein Atomkraftwerk explodiert oder ein Minister stürzt? Wer da nicht mitschwatzt, ist ignorant. Also werden es alle tun. So war es mit Guttenberg und auch mit Fukushima. Hat es uns weiter gebracht?
Die Talkshow kann nur auf ein beschränktes Repertoire an Showtalkern zurückgreifen. Hans-Olaf Henkel hat wahrscheinlich schon öfter im Schlafsack hinter den Kulissen übernachtet, für den nächsten Auftritt; er wird auch die geplante redaktionsübergreifende Datenbank austricksen. Schließlich wird er gebraucht. Ein böses Krokodil sollte immer auf der Bühne sein, wie etwa der fiese Arbeitgeberanwalt Naujoks, der Gelegenheit zur Eigenreklame immer gern annimmt. (Aber bitte nicht schon wieder Hans-Werner Sinn).Und natürlich die Guten, Ranga Yogeswar oder Richard David Precht. Wer dann noch zwei Zicken, die sich eh nicht leiden können, nebeneinander setzen kann, hat gewonnen.
Ach ja, Politik. Die erledigen dann Politiker, die lieber hier plaudern als einem politischen Magazin ein Interview zu geben. In der Talkshow werden sie nämlich nicht gegrillt, höchstens geföhnt. Man kann von So bis Do natürlich auch ab- oder umschalten. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist: wenn die guten Sendeplätze mit Polittalk zugestopft sind, bleibt für anderes politisch und gesellschaftlich relevantes Fernsehen nur die Nische und der Programmrand. Wie jetzt schon der politischen Dokumentation oder dem völlig vernachlässigten Dokumentarfilm.
Übrigens haben waren die TV-Schwatzbuden drei Sommermonate lang geschlossen. Hat das jemanden daran gehindert, sich seine politische Meinung bilden zu können?

PS: Alles Nähere in der vorzüglichen Talkshow-Studie von Bernd Gäbler, die er für die Otto-Brenner-Stiftung geschrieben hat, erhältlich bei: www.otto-brenner-stiftung.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten, Fame und Follower

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
mehr »

Faktenbasiert, aufklärend, machtkritisch

Der Journalist Georg Restle ist seit 2012 Leiter und Moderator des Politmagazins Monitor in der ARD. Der studierte Jurist tritt für einen „werteorientierten Journalismus“ ein. Mit M sprach er über Fakenews, Fehlerkultur und journalistische Resilienz.
mehr »

Medienkompetenz live und vor Ort

Daß Medienkompetenz nicht nur digital, sondern auch im real life vermittelt werden kann  zeigt ein Projekt aus Berlin. Durch aktive Medienarbeit möchte das Meko Neukölln Kinder und Jugendliche darin stärken, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Angebote sollen die Teilnehmenden befähigen, sich selbst auszudrücken und ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
mehr »

Erziehung zur digitalen Mündigkeit

Wie kann man Kinder und Jugendliche bei der Social-Media-Nutzung vor Gefahren wie Cybergrooming oder -mobbing schützen, ohne ihnen Teilhabe- und Befähigungschancen in der digitalen Welt zu verbauen? Die aktuelle Debatte wird hitzig geführt. Antworten reichen von einem Verbot für Tiktok, Instagram und Co für unter 16-Jährige bis hin zur Stärkung von „digitaler Mündigkeit“ der User und rechtlicher Regulierung der Anbieter.
mehr »