Schreibkrisen? Klar hab ich die!
Spätestens seit sie das Drehbuch zu den ersten drei Staffeln der ARD-Erfolgsserie „Weissensee” geschrieben hat, gehört Annette Hess zu den renommiertesten Drehbuchautor_innen Deutschlands. Die dritte Staffel, die für die 49-jährige auch die letzte war, wurde in diesem Jahr sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Und das, obwohl die gebürtige Hannoveranerin die Geschichte, die sie schreibt, ,nur’ von der anderen Seite der Mauer aus erlebt hat. Eine Geschichte, der sie sich, um sie erzählen zu können, mit allen Sinnen annähern musste – über die typischen Gerüche, das Essen oder die Musik.
So wie sie es immer tut, wenn sie historische Stoffe umsetzt. Ob „Die Frau vom Checkpoint Charlie”, „Die Holzbaronin” oder zuletzt „Ku’damm 56”. Am meisten faszinierten sie die Geschichten aus der Geschichte, erzählt sie auf dem diesjährigen Sehsüchte Filmfestival in Potsdam in einem Podiumsgespräch. Aktuell arbeitet sie an einem Drehbuch, das zwischen 1820 und 1831 spielt. Diese Zeit des Biedermeier bekommt sie noch schwer zu greifen. Einen Zugang zu ihr findet sie erneut über ein sinnliches Detail aus dem historischen Kontext: So hatte der Ausbruch des Vulkans Tambora im Jahre 1815 auch Jahrzehnte danach noch zu Veränderungen in der Farbgebung des Tageslichts geführt. Diese wunderschönen Sonnenuntergänge verewigte William Turner in seinen Gemälden. Anlass für Annette Hess, sie ihrer Protagonistin, der Giftmörderin, als Kulisse zu geben.
Doch auch Annette Hess hat mal klein angefangen. Und selbst heute schreibt
sie nicht nur ‚große’ Sachen. Schließlich könne kein Mensch davon leben, nur fürs Kino zu schreiben, stellt sie nüchtern fest. Noch während sie bereits als Autorin für „Weissensee” arbeitet, füllen Bücher für die ARD-Serie „Tierärztin Dr. Mertens” ihre Haushaltskasse auf. Dem Autor_innennachwuchs empfiehlt sie, sich für nichts zu schade zu sein, nicht einmal vor RTL-Reality-Formaten wie „Verdachtsfälle” zurückzuschrecken – wenn auch das Schreiben unter anderem Namen in diesem Fall angebracht sei, fügt sie durchaus ernstgemeint hinzu.
Sie selbst hat ihren Werdegang als Drehbuchautorin der Entdeckung von Roman Polanskis Autobiographie zu verdanken, einer lustvollen Beschreibung des Lebens mit dem Film. Sie habe in ihr den Wunsch geweckt, Drehbuchautorin zu werden. Nach mehrmaligen Versuchen, einen Studienplatz an der HFF Potsdam zu bekommen, die unter anderem daran scheiterten, dass ihr Fürsprecher, der damalige Studienleiter Regie, offenbar eine Stasi-Vergangenheit hatte, besorgt ihr die Filmhochschule schließlich, „aus schlechtem Gewissen” wie Hess mit einem Lachen sagt, ein Praktikum beim Fernsehsender SFB, einem Vorgänger des heutigen RBB. Nachdem dann doch noch ein Studium in „Szenisches Schreiben” an der HdK (seit 2001 UdK) Berlin gefolgt war, stellte sie jedoch fest, dass ihr das Erzählen über die reine Sprache einfach zu wenig war. Sie will Bilder entstehen lassen, verwirft deshalb die Idee mit dem Theater und geht zurück zum SFB, wo sie zunächst Sketche schreibt, bevor sie sich dann ganz dem Drehbuchschreiben widmet. Ob sie denn auch mal Schreibkrisen habe? „Mal?” Schreibkrisen habe sie in einer Tour, gibt sie unumwunden zu. Die überbrückt sie dann aber einfach, indem sie die Titel für die einzelnen Szenen des Drehbuchs schreibt. Eine gute Gliederung ist schließlich schon die halbe Miete.
Wer die besten Filme von Annette Hess gesehen hat, der weiß, dass ihre besondere Stärke darin liegt, vielschichtige und
lebendige Figuren sowie komplexe, multithematische Plots zu konzipieren. Die Vielschichtig- und Wandelbarkeit der Figuren versteht sie dabei als den Kitt, der die Geschichte zusammenhält und der trotz der Vielfalt an unterschiedlichen Motiven und Erzählsträngen einen homogenen Erzählfluss ermöglicht, ohne dass dabei der didaktisch-dokumentarische Zeigefinger zum Vorschein kommt. Das positive Feedback auf Hess’ Arbeit scheint ihre
Herangehensweise zu bestätigen. Nach Ausstrahlung der „Weissensee”-Folgen hat sie sehr viele Zuschriften bekommen, die Bestätigung und Zustimmung ausdrückten. Viele ehemalige DDR-Bürger erkannten in der einen oder anderen Figur sich selbst oder Verwandte und Bekannte wieder. Monique Hofmann <<