Britisches Medienimperium mit dubiosen Moralvorstellungen
Großbritannien erlebt derzeit eine der tiefsten sozialen und politischen Krisen der Nachkriegszeit. Die brennenden Innenstädte Englands Anfang August sind da nur das jüngste Zeichen. Hinzu kommt das Potential für Massenstreiks gegen das Sozialabbauprogramm der Regierung im Herbst. Bereits am 30. April streikten 700.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Es gibt noch ein Problem, das derzeit fast vergessen scheint, sich aber standhaft weigert von der Bildfläche zu verschwinden: Der Abhörskandal oder Murdochgate, wie er auch genannt wird.
Fast scheinen die Unruhen im August ein „Glücksfall“ für britische Politiker, vom Premierminister Cameron abwärts. Endlich konnte man wieder vor die Presse treten und über kriminelles Verhalten reden, ohne dauernd mit den Verbindungen führender Politiker und Polizeichefs mit der Führungsspitze des Murdoch-Imperiums konfrontiert zu werden.
Ein Imperium übrigens, das am 11. August 2.7 Milliarden Dollar Profit für das vergangene Jahr bis einschließlich 30. Juni 2011 ausweisen konnte. Darunter ist eine Steigerung der Profite durch Filmverleih um 53%. Die Auswirkungen des Abhörskandals sind hier noch nicht dabei. Die News of the World (NOW) machte im Juli dicht und kommt in der Bilanz nicht vor. Aber Murdoch ist größer als eine Zeitung. Sein Familienbetrieb ist u.a. an 20th Century Fox, Fox Broadcasting, Harper Collins, dem Wall Street Journal und mit 39% an BskyB beteiligt. Die Familie ist geschwächt, aber noch lange nicht am Boden.
Massenhaftes Abhören
Der Abhörskandal tauchte über die Jahre immer wieder auf. Dem Journalisten Nick Davies gebührt Respekt dafür, die Geschichte im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends nie aus den Augen verloren zu haben. Durch die Enthüllungen über das massenhafte Abhören von Terror- und Mordopfern, sowie in Afghanistan gefallenen Soldaten durch „News International“ (britische Murdoch-Zeitungsgruppe zu der u.a. The Times, The Sun, The Sunday Times, zuvor auch News of the World, gehören) im Juli 2011 bekam die Weltöffentlichkeit einen kleinen Einblick über das interne Beziehungsgeflecht der britischen Eliten.
So musste der Londoner Polizeichef Stephonson seinen Platz räumen. Der ehemalige stellvertretende NOW Redakteur Wallis war sein Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Londoner Polizei. Er wurde am 13. Juli wegen des Abhörskandals verhaftet. Zuvor hatte Wallis seinem Vorgesetzten Stephonson einen Kuraufenthalt im Wert von 12.000 Pfund geschenkt. Stephonson war mehrmals bei hohen „News International“-Managern zu Gast.
Stephonsons Stellvertreter John Yates musste ebenfalls gehen. Er verschaffte unter anderem der Tochter von Wallis einen Job bei der Polizei, weigerte sich 2009 gegen Murdochs „News International“ zu ermitteln und lies es zu, dass Polizisten von „News International“ Gelder entgegen nahmen. Diese Zahlungen waren von Rebekah Brooks, der ehemaligen Chief Executive von Murdochs „News International“ in Großbritannien autorisiert. Brooks ist eine enge Freundin von Premierminister Cameron, die beiden saßen oft gemeinsam beim Dinner. Brooks wurde von der Londoner Polizei verhaftet, kurz bevor sie vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Thema aussagen sollte. Dies rief Ärger bei den Ausschussmitgliedern hervor, denn die Verhaftung habe es Brooks ermöglicht, aufgrund der polizeilichen Untersuchung über bestimmte Dinge vor dem Ausschuss Stillschweigen zu bewahren.
Ein anderer Freund Camerons ist der ehemalige NOW-Redakteur Coulson, bis Januar Camerons Pressesprecher. Cameron hatte ihn angeheuert, obwohl er von Coulsons Rolle im Abhörskandal wusste. „Jeder verdient eine zweite Chance“, waren damals Camerons Worte. Interessanter Weise gilt dies nicht für Jugendliche, die während der Unruhen im August beispielsweise eine Wasserflasche im Wert von 3.50 Pfund gestohlen haben. Solche Jugendlichen verdienen laut Cameron die volle Härte des Gesetzes, im angesprochenen Fall sind dies 6 Monate Haft.
Wahrheit verschleiert
Am 16. August gab es nach einigen Wochen der relativen Stille Neuigkeiten über den Skandal. Der parlamentarische Ausschuss zu Sport, Kultur und Medienfragen veröffentlichte einen bereits vor vier Jahren geschriebenen Brief des ehemaligen Korrespondenten der NOW beim britischen Königshaus, Clive Goodman. 2007 ging Goodman für vier Monate ins Gefängnis, weil er Telefone im königlichen Palast anzapfen lies. Damals behauptete unter anderem Coulson, dies sei eine nicht autorisierte Einzelaktion gewesen. In Goodmans Brief steht nun aber, dass die Abhöraktionen „mit vollem Wissen und Unterstützung“ hochstehender Journalisten durchgeführt wurden. Das bedeutet Probleme für Leute wie Coulson und Cameron, die bereits auf eine Beruhigung der Lage hofften. Aber auch die Murdochs, Junior und Senior, müssen nun damit rechnen, bald wieder vor dem parlamentarischen Ausschuss zitiert zu werden. Ihnen steht der Verdacht ins Haus, wissentlich die Wahrheit über das Ausmaß des Skandals verschleiert zu haben.
Das trifft sich mit Äußerungen des kürzlich verstorbenen NOW Journalisten Sean Hoare. Dieser machte den Abhörskandal bei „News International“ erstmals öffentlich und bezeichnete das Hacken von Telefonen als Teil einer ganzen Kultur bei „News International“. Hoare verbrachte viel seiner Zeit mit Rock- und Popstars, erklärte immer wieder, dass das Hacken von Telefonen allseits bekannt und auch bei anderen Zeitungen – die nicht zu Murdoch gehören – alltäglich war. Letzteres ist bislang noch nicht belegt.
Im Zuge seiner Rückzugsgefechte legte Murdoch die NOW still. Das kostete 200 dort Beschäftigten den Arbeitsplatz und führte zum ersten Solidaritätsstreik bei der NOW-Schwesterzeitung The Sun seit über 25 Jahren. Murdochs Medienkonzerne sind gewerkschaftsfreie Zonen. Bei „News International“ setzte er dies vor 25 Jahren mit tatkräftiger Unterstützung durch die Thatcher Regierung und die Londoner Polizei durch. Damals verbot Murdoch kurzerhand die Gewerkschaften bei „News International“. Drucker und Journalisten sollten einen diesbezüglich geänderten Arbeitsvertrag akzeptieren oder ihren Job verlieren. Die Druckergewerkschaften und die Journalistengewerkschaft NUJ kämpften dagegen an, mussten sich aber letztendlich einer drückenden Polizeiübermacht beugen. 5.000 Beschäftigte verloren in Folge ihren Job. So begannen die engen Verbindungen zwischen Murdoch und der Londoner Polizei.
Für die National Union of Journalists (NUJ) ist gerade der Rauswurf der Gewerkschaften bei „News International“ ein Teil des Problems. Gewerkschaften hätten die Möglichkeit, die größten Exzesse eines Medienkonzerns zu verhindern, finden viele Aktive der NUJ. So sagte NUJ Generalsekretärin Michelle Stanistreet auf einer Veranstaltung in London Ende Juni: „Es gibt eine klare Verbindung zwischen dem Verbot kollektiver Strukturen und dem Sinken redaktioneller Standards. Wir haben schon lange für eine „Gewissensklausel“ in allen Arbeitsverträgen für Journalisten argumentiert.“ Bereits jetzt unterschreiben Journalisten beim Eintritt in die Gewerkschaft einen „Code of Conduct“, der ethische Verhaltensweisen festlegt. Mit einer gesetzlich festgelegten Gewissensklausel will die NUJ diese Standards allgemeingültig festschreiben lassen.
2007 war Stanistreet als Redakteurin an der Verteidigung solcher Standards beteiligt. Der Daily Star, die Tageszeitung bei der sie damals arbeitete, wollte eine fiktive Titelseite, genannt die „Daily Fatwa“ erstellen. Damit wollten die Redaktionschefs demonstrieren, wie Zeitungen in einem muslimisch dominierten Großbritannien aussehen würden. Allerdings revoltierte die gewerkschaftlich organisierte Redaktion gegen das Vorhaben. Die Seite konnte nicht erscheinen.
Um die Hintergründe des Murdoch-Skandals zu beleuchten, will Cameron einen parlamentarischen Ausschuss einsetzen, der in naher Zukunft die Arbeit aufnehmen soll. Der Aufgabenbereich dieses Ausschusses sollte aber bei Gewerkschaftern in der Medienbranche die Alarmglocken schellen lassen. Denn der Ausschuss soll sich mit „Medienmonopolen in Großbritannien“ beschäftigen, womit auch der Staatssender BBC gemeint ist.
BBC steht im Weg
Die BBC ist britischen Konservativen schon lange ein Dorn im Auge. Während des Murdoch-Skandals schossen sich Zeitungen wie die Daily Mail oder das Conservative Home Blog nicht auf die Machenschaften Murdochs, sondern die „einseitige“ Berichterstattung der BBC ein. Die BBC habe eine regelrechte Hetzjagd auf die Murdoch-Familie organisiert, war regelmäßig zu lesen.
Diese Kommentare decken sich mit dem Vorhaben der britischen Koalitionsregierung, der BBC das Wasser abzugraben und sie eventuell zur Privatisierung freizugeben. 2010 wurde die Höhe der Rundfunkgebühren hinter verschlossenen Türen neu verhandelt. Das Ergebnis: Die Gebühren werden 6 Jahre lang nicht steigen, was einer Kürzung des zur Verfügung stehenden Budgets gleichkommt. Entsprechend soll in den nächsten Jahren bei der BBC um 20% gekürzt werden. Das führte bereits zu Streiks gegen Entlassungen beim World Service.
Auch hier spielte Murdoch eine Rolle. Murdoch strebt eine dominierende Position in der britischen Fernsehlandschaft an. Die BBC steht da im Weg. Noch Anfang Juli war Premierminister Cameron bereit, für Murdoch den Weg freizumachen, damit dieser die Mehrheit von British Sky Broadcasting (BSkyB), dem größten Anbieter von Pay-TV in Großbritannien und Irland, kaufen kann. Die Eskalation des Abhörskandals legte das vorerst auf Eis, die von Murdoch befürwortete Demontage der BBC geht aber weiter.
In den kommenden Monaten ist sicherlich mit weiteren Enthüllungen in Sachen Murdoch zu rechnen. Doch selbst wenn sein Imperium fällt, gibt es noch viele andere genau wie ihn. Die NUJ fordert, dass auch die Rolle der anderen großen Medienkonzerne im Untersuchungsausschuss zur Sprache kommen muss. Deren dubiose Moralvorstellungen stehen denen eines Murdoch in nichts nach. Gerade die Lokalpresse leidet, weil guter Journalismus dem Profitinteresse untergeordnet wird.
Seit einem Monat streiken die Redakteure und Journalisten der zur Johnston Press Gruppe gehörenden Lokalzeitungen in Südyorkshire. Dort wollen die Verleger 18 Redakteure entlassen und eine Zeitung mit fast 100jähriger Tradition stilllegen. Ähnliches spielt sich im ganzen Land ab. Beispielsweise wurde in Port Talbot in Wales die Lokalzeitung vom Verlegerkonzern Trinity Mirror geschlossen. Die entlassenen Journalisten gründeten eine Kooperative um weiterhin einen lokalen Nachrichtenservice anbieten zu können.
Doch können solche Kleinprojekte der Macht der Verleger etwas entgegensetzen? „Nein“, meint der Mitbegründer der Kooperative Ken Smith, der auch im Vorstand der NUJ in Wales sitzt. „dafür muss das Medieneigentum aus den Händen der multinationalen Konzerne genommen werden, die die Medienlandschaft bislang kontrollieren.“ Der Murdoch-Skandal hat gezeigt, was mangelnde demokratische Kontrolle der Medienbranche bedeuten kann. Die Diskussion über Alternativen hat begonnen, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Währenddessen versucht die Murdoch-Presse sich wieder als moralische Instanz zu präsentieren. Die Sun gibt dieser Tage Eltern Ratschläge, wie sie ihre Kinder richtig erziehen, damit diese sich nicht an Unruhen beteiligen und fordert gleichzeitig hohe Haftstrafen.
Rupert Murdochs Reich
Film
20th Century Fox
Vereinigte Saaten
Bücher
Harper Collins
USA; GB; Austral.; Indien etc.
Fernsehen
Fox Broadcasting Comp.
Vereinigte Saaten
Fox Cable Networks
Vereinigte Saaten
BSkyB (39%)
Großbritannien
Sky Deutschland (45%)
Deutschland
Zeitungen
Wall Street Journal
Vereinigte Saaten
New York Post
Vereinigte Saaten
News International
The Times
Großbritannien
The Sun
Großbritannien
The Sunday Times
Großbritannien