Dass das Thema Transparenz in den Medien auf der nr-Jahreskonferenz 2016 nicht zum Ersten Mal diskutiert wurde, zeigt bereits dessen Relevanz. Es belegt aber auch, dass es sich bei der Etablierung einer Fehlerkultur in den Medien um einen langwierigen und dynamischen Prozess handelt, der immer wieder hinterfragt und gegebenenfalls neu justiert werden muss. In diesem Jahr berichteten Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung, Elmar Theveßen, stellvertretender ZDF-Chefredakteur, Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD Aktuell und der Medienjournalist Stefan Niggemeier über den Umgang mit Fehlern und die Beziehung zum Publikum.
Den wohl selbstkritischsten Aufschlag in der Runde macht Georg Mascolo mit seinem Eingeständnis, dass er viele Jahre lang einer Auseinandersetzung mit seinen Fehlern aus dem Weg gegangen sei. Einziger Trost: Mit dieser Haltung sei er nicht allein gewesen. Obwohl ein transparenter Umgang mit Fehlern schon seit Jahrzehnten in der Ziffer 3 des Pressekodex festgeschrieben sei, würden sich erst jetzt zarte Ansätze einer Fehlerkultur in den Redaktionen entwickeln. Dabei meint er mit „Fehlern“ nicht nur faktische Fehler, sondern schließt darin ausdrücklich auch Fehleinschätzungen und falsche Urteile ein, die aufgrund eines Mangels an Informationen entstünden, sich aber durch einen Zuwachs an Informationen relativieren ließen. Auch zu solchen Fehleinschätzungen müssten sich Journalist_innen Fragen gefallen lassen und versuchen, sie konstruktiv zu beantworten. Denn diese Fragen der Leser_innen und Zuschauer_innen, ob die Medien wahrheitsgemäß berichten, würden künftig konstante Begleiter der journalistischen Arbeit bleiben.
Was allerdings die Definition eines konstruktives Umgangs mit Fehlern und Fehleinschätzungen betrifft, so war das Hamburger Podium doch von relativ geteilten Meinungen geprägt. ZDF-Mann Theveßen plädiert in dieser Frage für offene Entschuldigungen statt Rechtfertigungsversuchen. Im Anschluss müssten die Fehler korrigiert und die Workflows im redaktionellen Betrieb derart verändert werden, dass solche Fehler nicht mehr passieren können. Veränderung der Workflows, das heißt etwa eine Verdichtung der Kommunikationswege, um Gegenpositionen und gegenseitige Überprüfungen zu fördern. Als Beispiel nennt er seine öffentliche Entschuldigung auf Facebook als Reaktion auf die Entscheidung, in der heute-Ausgabe vom 04. Januar 2016 nicht über die Ereignisse der Silvesternacht in Köln zu berichten, sondern diesen Beitrag auf den folgenden Tag zu verschieben. Tatsächlich hat Theveßen für diese Entschuldigung vor allem eines geerntet: Kritik. Und das nicht zu knapp und leider oft auch dermaßen geschmacklos, dass eine nicht genauer definierte Zahl an Facebook-Kommentaren von der Redaktion gelöscht werden musste.
Diese, aber auch eigene Erfahrungen nimmt Gniffke zum Anlass, einen solch offenen und demütigen Umgang mit Fehlern infrage zu stellen. Ohnehin könne man mit dem reinen Thematisieren von Fehlern niemanden zurückgewinnen, den man bereits verloren habe. Die Fehlerkultur habe sich in den letzten Jahren nun mal verändert und darauf müsse man reagieren, indem man Fehler korrigiere – mehr aber auch nicht. Und schon gar nicht Fehler auch noch zelebrieren. Anders gesagt: Das journalistische Ethos verlange es zwar, faktische Fehler und offensichtliche Falschmeldungen richtigzustellen. Eine zu ausgiebig praktizierte Fehlerkultur berge jedoch die Gefahr in sich, die Glaubwürdigkeit der Medien erst recht zu schwächen. Gniffke widerspricht auch Theveßens These, dass Fehler Anpassungen im Workflow zur Folge haben müssten. Er vertritt die Ansicht, dass kein neues Fact-Checking-Prozedere nötig sei. Nachrichten seien nun mal per se nicht perfekt und könnten es auch gar nicht sein.
Niggemeier und Mascolo sind sich jedoch einig: Reaktionen, wie die Prügel, die Theveßen für seine öffentliche Entschuldigung einstecken musste, müssen Journalist_innen und Medien aushalten, denn einen Weg zurück gibt es nicht. Wird der Weg der offenen Fehlerkultur auch kein leichter, so ist er angesichts der Digitalisierung und der damit einhergehenden Multiplikation von Medien und Sendern im medialen Diskurs der einzig gangbare. Erleichtert werden könne dieser Weg jedoch, so die Position Niggemeiers, durch den Einsatz von Ombudsleuten, eine Meinung, die auch Mascolo teilt. Tatsächlich, so erfährt das Publikum der Podiumsdiskussion, habe Mascolo Niggemeier einst als Ombudsmann für den Spiegel gewinnen wollen. Warum das letztendlich nicht geklappt hat, bleibt leider unklar. Klar ist aber, dass amerikanische Medien wie die „New York Times“, die nach den gefälschten Artikeln des Jayson Blair 2003 erstmals einen Ombudsmann, auf englisch public editor, einstellte, gute Erfahrungen mit Ombudsleuten gemacht hätten, so Niggemeier. Aufgabe des Ombudsmanns beziehungsweise der Ombudsfrau, so der Medienjournalist weiter, sollte es dabei nicht nur sein, die Fehlerkultur in den Medien zu institutionalisieren, sondern auch durch seine/ihre Persönlichkeit beim Publikum Vertrauen zu den Medien aufzubauen.
Eine Idee, die bei allen Zustimmung findet – außer bei Kai Gniffke: „Ein Ombudsmann wäre nichts als ein Feigenblatt.“ So beschäftige allein ARD Aktuell bereits zwei Personen, die sich mit Programmbeschwerden beschäftigen. Doch habe er den Eindruck, dass es sich bei den Beschwerdeführern oftmals weniger um konstruktive Kritiker als vielmehr um notorische Nörgler handeln würde. Ein Problem, das nach seiner Auffassung auch ein Ombudsmann nicht lösen könne.
Tenor der Diskussion: Fehlerkultur ja, aber wie, darüber streiten sich die Geister. Sicher scheint nur, dass das Thema Transparenz in den Medien wohl auch noch auf den nächsten Jahreskonferenzen von netzwerk recherche einen nicht unwesentlichen Platz einnehmen wird.