Um den Preis des eigenen Untergangs

Spaniens meistgehörter Radiosender Cadena Ser entlässt drei der populärsten Polit-Talker. Unter ihnen Fernando Berlin, der seit 18 Jahren für den Sender arbeitet und der durch ein eigenes Morgenradio im Internet – radiocable.com – in Spanien eine Art Kultstatus inne hat. Allen drei Entlassenen ist eines gemein: Sie lassen sich nicht hineinreden. Die drei altgedienten Journalisten gehören zu den wenigen, die in politischen Diskussionsrunden offen das bisherige Zwei-Parteiensystem kritisieren und gewisse Sympathie oder zumindest Verständnis für die junge Anti-Austeritätspartei Podemos (Wir können) aufbringen.

Die Cadena Ser, Privatradio aus dem Hause PRISA, vollzieht damit einen Rechtsruck, wie ihn El País – die Tageszeitung aus dem gleichen Haus – bereits vorgemacht hat. Auch dort wurden kritische Stimmen entlassen. Nachdem Spanien auch nach einer Wiederholung der Wahlen vom 20. Dezember am 26. Juni ein zersplittertes Parlament gewählt hat, in dem einfache Mehrheiten nicht möglich sind, rücken all diejenigen enger zusammen, die das verteidigen, was die Spanier „78er-Regime“ nennen. 1978 trat die Nach-Franco-Verfassung in Kraft. Sie brachte das Zwei-Parteiensystem hervor, in dem sich die konservative Partido Popular und die sozialistische PSOE ablösten. Korruption und Klientelwirtschaft haben dieses System in Misskredit gebracht. Seit mit der linkspopulistischen Podemos und der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) zwei neue Parteien die Unzufriedenheit kanalisieren und ins Parlament getragen haben, kämpft das Althergebrachte ums Überleben.

Der Medienkonzern PRISA, der mit El País und Cadena Ser wie kein anderes Medienunternehmen die Nach-Franco-Demokratie mitgeprägt hat, ist entschlossen, alles zu tun, um den politischen Wandel in Spanien zu bremsen – auch um den Preis des eigenen Untergangs. Was einst der Hort der Meinungsfreiheit war, wurde in den letzten Monaten gleichgeschaltet. Die Entlassung der drei Polit-Talker ist der bisher letzte Schritt auf diesem Weg.

Alle verbliebenen Debattenteilnehmer_innen haben eines gemein: Sie verteidigen das Zwei-Parteiensystem und sie setzen alles daran, zu verhindern, dass Podemos jemals an die Regierung kommt. Seit Wochen übt PRISA Druck auf die Sozialisten aus, um diese dazu zu bewegen, den Konservativen durch Zustimmung oder durch Enthaltung einmal mehr an die Regierung zu verhelfen.

Diese Haltung kommt nicht von ungefähr. Durch finanziell kostspielige Pay-TV-Abenteuer und internationale Expansion zur Zeit des Booms ist PRISA in Milliardenhöhe verschuldet. Banken und Hedgefonds sitzen in der Unternehmensleitung. Die Personalpolitik bei der Cadena Ser und bei El País wird von ganz oben diktiert und folgt dem Grundsatz: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Die unangemessene Provokation

Sie haben es wieder getan. Zum zweiten Mal nach 2020 verweigern die Ministerpräsidenten den öffentlich-rechtlichen Anstalten die von der KEF empfohlene Anpassung des Rundfunkbeitrags. Gegen diesen abermaligen Verfassungsbruch ziehen ARD und ZDF erneut vor das Bundesverfassungsgericht. Gut so! Denn nach Lage der Dinge dürfte auch dieses Verfahren mit einer Klatsche für die Medienpolitik enden.
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »