Sachsen-Sumpf nicht am Ende

Dresdner Journalistenprozess: Andeutung von Freispruch

Die Wende kam noch vor dem dritten Verhandlungstag. Er gehe davon aus, dass sich die Darstellung im Bereich der zulässigen Verdachtsberichterstattung bewegt habe, teilte der Vorsitzende Richter am Dresdener Landgericht den Verteidigern von Arndt Ginzel und Thomas Datt am 20. November per Fax mit. Die beiden freien Journalisten, die neuerlich wegen zweier Artikel über den sogenannten „Sachsen-Sumpf“ vor Gericht stehen, können aufatmen. Offenbar und beinahe wider Erwarten – die Verteidigung war mit Befangenheitsanträgen gegen den Kammervorsitzenden gestartet – brechen sich in der Berufungsinstanz nun Vernunft und Pressefreiheit Bahn. Die Verurteilung zu 50 Tagessätzen Geldstrafe wegen übler Nachrede vom August 2010 scheint fast vom Tisch. Das Amtsgericht hatte seinerzeit etwa die in ZeitOnline gestellte Frage „Gerieten sie (zwei Polizisten – d.R.) unter Druck, weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob?“, als rhetorisch und ehrabschneidende Tatsachenbehauptung bewertet. Die Landgerichtskammer hält die Formulierungnun erklärtermaßen für offen und zulässig. Andere Passagen aus einem Spiegel-Artikel der Autoren, wegen derer ein ehemaliger Richter als Nebenkläger in erster Instanz sogar Haftstrafen gefordert hatte, seien vom Leser auch gegenteilig interpretierbar, meint jetzt das Landgericht. Damit wäre die Berichterstattung von Datt und Ginzel über Ungereimtheiten um das 1993 ausgehobene Leipziger Minderjährigenbordell „Jasmin“ wieder als mutige und professionell saubere journalistische Arbeit zu sehen. Wohl denn! Die noch geplanten Zeugenbefragungen bis Mitte Dezember mögen der wasserdichten Absicherung des Urteils gegen mögliche Revision dienen. Am Ende sollte stehen, wofür Datt und Ginzel und Journalistenorganisationen gestritten haben: ein „Freispruch erster Klasse“. Alles andere, so Reporter ohne Grenzen, wäre ein „fatales Signal an Journalisten, die politische und gesellschaftliche Missstände aufdecken“.
Doch Jubel wäre verfrüht. Zu viel Ungereimtes, Unglaubliches hat sich im Umfeld des „Sachsen-Sumpfs“, einer bis heute nicht restlos durchforsteten vermeintlichen Korruptions- und Immobilienaffäre aus den 90er Jahren, bereits offenbart. In der Folge war nicht nur gegen die zwei Angeklagten, sondern gegen 20 weitere Journalisten ermittelt worden, die ebenfalls zum Thema recherchierten. Und noch gibt es in Dresden einen Parallelprozess, bei dem sich zwei junge Frauen gegen den Vorwurf der Verleumdung wehren müssen. Beide, als Teenager Zwangsprostituierte im „Jasmin“, sind nicht davon abzubringen, hochrangige Juristen als ehemalige Freier wiedererkannt zu haben.


(update)

Freispruch im Sachsen-Sumpf-Prozess

Die Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel wurden am 10. Dezember im so genannten Sachsen-Sumpf-Prozess vor dem Dresdner Landgericht freigesprochen. Das Urteil des Amtsgerichts von 2010 wurde aufgehoben. Damit folgte die Strafkammer der Forderung der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer zuvor Geldstrafen von je 6000 Euro wegen übler Nachrede und Verleumdung gefordert. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di wertete das Urteil als einen „Erfolg für die Pressefreiheit“. „Der Freispruch zeigt, dass der Anspruch, den wir an unsere Medien haben, unbeeinflusst und ohne Angst davor, auch die Verfehlungen vermeintlich Mächtiger aufzudecken, eingelöst werden kann. Das ist beruhigend“, unterstrich dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. Allen, die immer wieder versuchten, Berichterstattung zu ihren Gunsten zu beeinflussen oder zu verhindern, sollte das Urteil eine Warnung sein. (http://dju.verdi.de)

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Feminismus trifft Klassenkampf im Film

Das Internationale Frauenfilmfest (IFFF) wirft einen sehr außergewöhnlichen Blick auf die Arbeitswelt von Frauen im Film. Damit kommt es beim Publikum gut an und liegt voll im Trend. Denn es geht um Frauensolidarität, Antirassismus, Antisexismus und Klassenkampf. Bei der 41. Ausgabe des Festivals vom 16. bis 21. April in Köln gab es volle Kinosäle. Der Schwerpunkt der von Frauen produzierten Filme aus aller Welt lag in diesem Jahr auf dem Horrorgenre.
mehr »

Klimakiller in der TV-Werbung

Knapp ein Drittel aller Spots in TV und auf YouTube wirbt für klimaschädliche Produkte. Das verstößt gegen den Medienstaatsvertrag, wie die am 6. Mai veröffentlichte Studie „Reklame für Klimakiller“ der Otto Brenner Stiftung offenlegt. Denn der Medienstaatsvertrag untersagt explizit Werbung für „in hohem Maße“ umweltschädliches Verhalten. Die Autoren fordern von der Medienpolitik eine strengere Regulierung klimaschädlicher Werbung.
mehr »

ARD und ZDF: Offene technische Plattform 

ARD und ZDF stellen sich mit einer Open-Source-Initiative und einer gemeinsamen Tochterfirma für den Betrieb ihrer Mediatheken als Streaming-Anbieter auf dem deutschen Markt neu auf. Beide wollen künftig zentrale Komponenten arbeitsteilig entwickeln und gemeinsam nutze, teilten sie gemeinsam mit. Zugleich sollen wichtige Bausteine als Open Source anderen Dienstleistern offen stehen. Das gelte unter anderem für den Player, das Empfehlungs- und das Designsystem.
mehr »

Negativrekord der Pressefreiheit

Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende. Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie. Das sind so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht.
mehr »