Die Konzentration auf dem Zeitungsmarkt schreitet voran. Eine größere Leserschaft wird dadurch nicht erzielt. Aktuelle Sparvorgaben des in Hannover ansässigen Madsack-Konzerns sollen Personalkosten bei der „Ostsee-Zeitung“ (OZ) und den „Lübecker Nachrichten“ (LN) senken; sinken tut aber vor allem die Qualität der Zeitung. Das war am Dienstagabend von verschiedenen Seiten auf einer ver.di-Veranstaltung in Lübeck zu hören. Drei Tage vor den Verhandlungen zwischen Betriebsrat und der LN-Geschäftsleitung trafen beide Seiten schon einmal aufeinander.
In seinem Input für die Diskussion um das aktuelle Spardiktat bei OZ und LN beschwor Martin Dieckmann, Fachbereichsleiter Medien von ver.di Nord, das Gespenst einer bald bundesweit Einzug haltenden Einheitszeitung. Immer mehr identische Mantelseiten in verschiedenen Zeitungstiteln würden jedenfalls nicht gerade von Meinungsvielfalt und journalistischer Pluralität zeugen. Die Ankündigung der Veranstaltung machte sogar die LN-Geschäftsführerin Stefanie Hauer und LN-Chefredakteur Gerald Goetsch so neugierig, dass sie zu den rund 50 Besucher_innen gehörten. In der Diskussion verteidigten beide das in der Vorwoche vorgestellte newsdesk-Regionalkonzept, zu dem der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm sagte, er wisse nicht, ob er so arbeiten könne, wobei augenscheinlich der Großraumbüro-Arbeitsplatz allen Beteiligten viel Disziplin abverlange. Was Hauer als Bereicherung tituliert, sahen Redaktionsmitglieder jedenfalls kritischer und sprachen von einer damit weiter zunehmenden Entfremdung vom regionalen Leser.
Dieckmanns Beschreibung der aktuellen Zeitungskrise mit sinkenden Leserzahlen und rückläufiger Reichweite deckt sich mit der Darstellung seitens der Verlage. Was LN und OZ zugemutet werde, seien seinen Ausführungen zufolge beileibe keine Einzelfälle. Hunderte, ja vielleicht Tausende Arbeitsplätze seien in den vergangenen Jahren verloren gegangen – die Krise sei allerdings geblieben. Der Medienfachmann der Gewerkschaft lastet den Zeitungshäusern aber an, das schleichende Wegbrechen ihres Nachrichtentransportmarktes gekoppelt mit Anzeigengeschäft und Leserbindung total verschlafen zu haben. Wenn jetzt noch mehr Personal bei Service und Redaktion eingespart werde, dann, so fürchtet Dieckmann, werden erst recht die Ressourcen fehlen, um dem stetigen Abwärtstrend mit innovativen Ideen entgegen zu wirken.
Karin Luther, Betriebsratsvorsitzende der LN, sieht schwierige Sozialplanverhandlungen auf sich zukommen. 18 Stellen sollen per Kündigung ersatzlos wegfallen, betroffen seien Beschäftigte, die zum Teil 40 Jahre für die LN gearbeitet haben. Weiteren Kollegen drohe ein Outsourcen in zum Teil tarifungebundene Gesellschaften. Und auch bei der OZ sieht Madsack weiteres Einsparpotential. Für den dortigen Betriebsratsvorsitzenden Robert Haberer ist es besonders bitter, dass Beschäftigte dem Sparprogramm „Madsack 2018“ zum Opfer fallen sollen, die in den vergangenen Jahren zur Sicherung von Arbeitsplätzen bereits wiederholt Verzicht geübt hätten.
Es gehört inzwischen zum Zeitungsherausgeberbild, dass eine landesspezifische Verortung wegfällt, in Schleswig-Holstein beispielsweise mit den „Kieler Nachrichten“ – wenn auch nur zu 49% – und den LN zwei Blätter dem niedersächsischen Madsack-Konzern gehören und der dritte große Nachrichtenanbieter, der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (Medienhaus s:hz), in die Neue Osnabrücker Zeitung-Mediengruppe (NOZ Medien) übergeht. Eine unter örtlichen Gesichtspunkten fehlende Identifikation ist schon längst kein Hindernis mehr. Die in Essen ansässige Funke-Medien-Gruppe etwa macht dies bundesweit vor. Dabei habe die Leserschaft laut Dieckmann bei Befragungen angegeben, ihr größtes Interesse liege bei den regionalen Nachrichten. Dort die Arbeitsverdichtung zu forcieren, wirke sich jedoch auf die journalistische Qualität aus, was wiederum den Leser_innen nicht verborgen bleiben dürfte.
Der altgediente LN-Redakteur Matthias Wiemer wies in seiner Wortmeldung als Replik zu den Anmerkungen der LN-Geschäftsführerin noch einmal darauf hin, dass eine Rationalisierungsmaßnahme und redaktionelle Verschlankung keinesfalls mittels rhetorischer Akrobatik als journalistische Verbesserung dargestellt werden dürfe. Zweifel an der Qualität der Madsack-Philosophie des Zentralisierens prägten die Diskussion. Die frühere LN-Maxime des dezentralen sich Zubewegens auf die Leserschaft soll heute jedenfalls nichts mehr wert sein.
Ein Appell des Abends lautete: Verlagshäuser wie Medienkonzerne sollten mit ihrer wichtigsten Zielgruppe, den Leser_innen, und ihrer wichtigsten Ressource, den Beschäftigten, besser umgehen. Umstrukturierungsprozesse seien nach den Skizzierungen von Martin Dieckmann vielerorts mit Sicherheit unvermeidlich, doch müsse die Belegschaft dabei zwingend mitgenommen und nicht konfrontativ ausgegrenzt werden. Genau das Credo wünschen sich auch die Mitarbeiter_innen der OZ. Die dortige Vorgabe der Geschäftsleitung, bis Ende 2018 ein Viertel der Stellen abzubauen, drückt vor Ort mächtig auf die Stimmung und die Arbeitsmotivation.
Die Veranstaltungsreihe von ver.di Nord und DGB „Was wird aus Ihrer Tageszeitung?“ soll fortgesetzt werden.