Noch nicht angekommen

Unabhängiger Diskurs zu Entwicklungspolitik bleibt Wagnis

Entwicklungspolitik beschäftigt Politik und Wissenschaft. Erhard Eppler attestiert diesem Politikfeld, im 21. Jahr­hundert angekommen zu sein. Ist auch der öffentliche Diskurs zu diesem Politikbereich im 21. Jahrhundert angekommen? Um dies zu beantworten, gilt es auf vier Jahrzehnte zurückblickend das Wagnis zu einem aktuellen unabhängigen entwicklungspolitischen Forum aufzuzeigen – dem ersten dieser Art.

Blick in die 60er Jahre. In Bonn wachsen Kräfte, die nach wirtschaftlichem Wiederaufbau innere Reformen für dringlich halten. Die gewachsene internationale Bedeutung der BRD ruft nach Neubestimmung auch ihrer Außenbeziehungen.
Der Vietnamkrieg mobilisiert immer mehr Menschen. Lauter werden die Rufe, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ausdruck zu verleihen – im Inneren wie im Umgang mit anderen Gesellschaften. Bonn ist angesichts der studentischen Rebellion verunsichert. Macht diese doch das Verhältnis des abhängigen Südens zu sich imperial gebärdenden Großmächten zu einem großen Thema.
Zur Rückschau auch der Blick auf den „Süden“. Im Ökumenischen Rat der Kirchen kommen die Ärmsten der Armen zu Wort. Es sind die Leidenden in der Dritten Welt, es sind Befreiungsbewegungen, denen hier Stimme verliehen wird. Sie fordern eine Neubesinnung über die Schmalspur oder gar Irrweg des Transfers von Entwicklungshilfe hinaus. Transfer of power ist das Stichwort. Dies setze eine Strukturveränderung in den reichen Ländern vo­raus, die nicht ohne einen bürgergesellschaftlichen Diskurs dort denkbar sei. Das trifft auf Bonner Überlegungen, die Außerparlamentarische Opposition (APO) aus Konfrontation in die gesellschaftliche Willensbildung zurückzuführen. Sollte man ihr die aufwertende Akzeptanz ihrer Beteiligung an einem Diskurs der Nord-Süd-Konflikt-Konfiguration anbieten?
Ernst gemacht haben evangelische Kirchen in Deutschland, ihr Kirchlicher Entwicklungsdienst (KED). Man sah sich in der Verpflichtung der Ökumene, einen Diskurs herbeizuführen. Basis des KED waren Hilfswerke. Sie neigen dazu – angewiesen auf Spenden für ihre Projekte – Entwicklungspolitik auf unmittelbare Bekämpfung von Katastrophen und Notlagen zu verengen und strukturelle Ursachen auszublenden. Sie haben zugleich Interesse daran, als Nichtregierungsorganisation (NRO) anerkannt zu sein, um staatliche Unterstützung für ihre Projekte zu erhalten. Hierfür steht es ihnen gut an, der Öffentlichkeit die Diskussion der Entwick­lungshilfe zu offerieren. Das traf die Erwartungen des „Südens“.
Das neue Blatt wird einer Nachrichten­agentur angedockt, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Name lautet epd-Entwicklungspolitik. Die Konstruktion erweist sich im Hinblick auf Unabhängigkeit als unzureichend und konfliktträchtig. Herausgeber ist der epd, weisungsberechtigt gegenüber der fremdfinanzierten und als eigenständig gedachten Redaktion. Mit Macht versehener Financier ist der KED.
Trotz minimalster Ausstattung verschafft sich das 1970 erscheinende, von mir geleitete Periodikum Gehör – durch neue, unbequeme Stimmen aus aller Welt. Unabhängige Autoren widersprechen, fun­diert durch Recherche und Wissenschaft, vorherrschenden Interpretationen des mit Entwicklungshilfe viel zu eng beschriebenen Politikfeldes. Die Diskursfunktion auch unter ständig drohendem Wegfall der Finanzierung auszuüben führt in immer stärkere Konflikte, entfacht von Spannungen aufgrund sich widersprechender Ziele innerhalb des Trägermilieus. Einem gemein­nützigen Dienen dem Ganzen, wie es das Diskursforum als Basis brauchte, standen zunehmend partikulare Interessen entgegen.
Zu spät wird deutlich, dass bei der Einrichtung des Periodikums dessen heikle Aufgabe nicht gesichert wurde. Dabei war dies trefflich zu Beginn konzipiert. Die Diskursinitiative wollte Signal setzen. Ihr Vorhaben sollte Nukleus sein für eine breite Trägerschaft. Chancen, einen potenten Herausgeberkreis zu bilden, hat es gegeben – auch im zivilgesellschaftlichen Bereich bis hin zu Wirtschaft und Gewerkschaften. Nach jahrelangem Kampf gegen Ablehnung der Träger gelingt es mir zu Anfang des neuen Jahrhunderts, die Zeitschrift aus der Nachrichtenagentur herauszulösen und einen Herausgeberverein zu schaffen, in dem jetzt auch die katholische Seite sowie Einrichtungen beider Kirchen der Schweiz mitwirken. Die essentielle Öffnung gegenüber dem säkularen Raum bleibt abgelehnt. Dieser kaum noch für machbar gehaltene Erfolg ist ein Torso.
Vor Wochen ist das inzwischen umbenannte Forum mit der evangelischen Quartalsschrift „der überblick“ fusioniert worden. „Welt-Sichten“ ist die Bezeichnung für das Neue. Beim unzureichenden Herausgeberkreis ist es geblieben.
Diskurs darf nicht Spielball einzelner Interessen sein, sondern muss ihr Spielfeld werden – mit klaren Regeln. Die Sicherung der Unabhängigkeit steht an erster Stelle.
Den in dem Forum diskutierten Fragestellungen kommt große Bedeutung für die Gesellschaft zu. Dies rechtfertigt eine Lösung der Forumsfunktion vergleichbar mit den öffentlich-rechtlichen Medien, wenn auch in deutlich bürgergesellschaftlicher Verantwortung.
Das Ringen um das Medium hat Wahrheit gebracht und Weg gewiesen. Wir sind in der Entfaltung eines bürgergesellschaftlichen Diskurses zu Fragen der Entwicklungspolitik noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.

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