Zeitungswerbung über Terror-Videos, Auto-Werbung zwischen Neonazi-Tiraden – wegen solcher Werbeplatzierungen wird Google von Werbetreibenden wie Pepsi, Volkswagen oder der britischen Regierung boykottiert. Für redaktionelle Medien ist die Krise des Konzerns eine Chance ihre eigene Werbepolitik zu überdenken!
Eigentlich läuft es für Google prima. Im vergangenen Jahr konnte der Konzern im Anzeigengeschäft ein Plus von 17 Prozent verzeichnen. Allein im vierten Quartal 2016 nahm Google in dem Geschäftsbereich 22,4 Milliarden Dollar ein. Zwar sinken die Werbepreise konstant — doch durch die ständige Ausweitung der Reichweite macht der Konzern weiter seinen Schnitt. Auch die Debatte um Fake-News überstand Google weitgehend unbeschadet, während sich der Konkurrent Facebook immer wieder scharfer Kritik ausgesetzt sieht.
Doch die Glückssträhne scheint für Google vorerst vorbei zu sein. Seit die britische Zeitung „The Times“ publiziert hat, dass Neonazis, radikale Islamisten und sonstige Extremisten-Gruppen von den Werbegeldern des Konzerns profitieren, sieht sich der Konzern einem seltenen kommerziellen Boykott ausgesetzt. Mehr als 250 Marken haben sich laut Medienberichten von YouTube und anderen Google-Plattformen zurückgezogen. Zu groß ist das Risiko, dass das Image von Marken Schaden nimmt, wenn Werbung neben den falschen Inhalten erscheint.
Für Google ist diese Affäre nicht nur peinlich, sondern auch kostspielig. So haben auch Werbegrößen wie Procter & Gamble oder Johnson & Johnson ihre Kampagnen auf YouTube eingestellt. Beide Konzerne stecken jedes Jahr über 10 Milliarden US-Dollar in die Vermarktung ihrer Produkte – wenn das Geld nun in andere Kanäle fließt, dürfte das auch Auswirkungen auf den Umsatz haben. Der Kurs der Google-Aktie ist seit vergangener Woche um zirka fünf Prozent abgestürzt.
Der Internetkonzern gibt sich inzwischen reumütig: So werde man mehr Personal anheuern und neue, intelligente Algorithmen darauf ansetzen, YouTube markenfreundlicher zu gestalten, versichert Google-Manager Philipp Schindler in einem Blogbeitrag. Zudem solle eine neue Hotline für Anzeigenkunden geschaffen werden, um Probleme zu melden.
Doch die Beschwichtigungen haben nicht die gewünschte Wirkung – täglich ziehen neue Marken ihre Kampagnen von Google zurück. Dies zeigt, dass es um mehr geht als vereinzelt falsch platzierte Werbespots. So geben sich Werbetreibende zunehmend kritisch gegenüber „programmatischen” Werbeplattformen. Hier wird Werbung nicht mehr bei bestimmten Inhalten platziert, sondern an Zielgruppen adressiert. Algorithmen ermitteln auf Plattformen wie Google eigenständig, welche Videos und Webseiten von der gewünschten Käuferschicht gesehen werden. Über Hochgeschwindigkeits-Auktionen werden die Werbeplätze dann in Sekundenbruchteilen an den Meistbietenden verkauft.
Das Modell erschien attraktiv. Werbetreibende konnten große Reichweite zu niedrigen Preisen erreichen. Website-Betreiber bekamen Werbung zugeteilt, ohne sich Gedanken um die Werbekunden machen zu müssen. Doch das Geschäft hat für beide Seiten einen hohen Preis: Werbetreibende müssen damit leben, dass ihre Produkte neben fragwürdigen, sogar illegalen Inhalten angepriesen werden. Verlage, die zu unkritisch auf dieses Geschäftsmodell setzen, lassen ihre Websites immer mehr zur Resterampe verkommen, auf der es kaum noch auf Inhalte ankommt – und auf der sich die Leser_innen bespitzelt vorkommen.
Verlage haben nun die Chance, von der Schwäche Googles zu profitieren und sich als Plattformen zu präsentieren, auf der Qualität mehr zählt als nur der nächste Klickerfolg. Das ist auch dringend nötig: Denn viele Verlage haben die fallenden Werbepreise durch immer mehr und immer aufdringlichere Werbung auf ihren Seiten kompensiert: So sind redaktionelle Texte oft kaum noch zwischen Popups, Autoplay-Videos und blinkenden Werbebannern zu erkennen.
Der Beliebigkeit bei der Werbung folgte auch inhaltliche Gleichgültigkeit: Zu viele Redaktionen wurden zentralisiert und eingespart, übrig blieb oft inhaltlicher Einheitsbrei. Doch nur, wer den Leser_innen Qualität anbietet, kann auch von den Werbevermarktern höhere Preise verlangen. Oder es geht langfristig bergab! Die Krise bei Google kann als warnendes Beispiel dienen.