Frauenfilmfestival bleibt politisch

Preisverleihung auf dem Internationalen Frauenfilmfestival. V.l.n.r.: Claudia Kokoschka (Leiterin des Kulturbüros Dortmund), Tanja Frommert (Leiterin des Private Banking der Sparkassse Dortmund), Silke Räbiger (Leiterin des IFFF Dortmund | Köln), Ariane Labed (Darstellerin im Film VOIR DU PAYS), Marnie Blok (Jury des Internationalen Spielfilmwettbewerbs), Ginger Romàn (Darstellerin im Film VOIR DU PAYS), Diane Jägers (Stadträtin der Stadt Dortmund), Pecha Lo (Jury des Internationalen Spielfilmwettbewerbs), Gesa Marten (Jury des Internationalen Spielfilmwettbewerbs), Sonja Hofmann (Kuratorin des IFFF)
Foto: Julia Reschucha

Seit 30 Jahren gibt es nun das Internationale Frauenfilmfestival (IFFF) im jährlichen Wechsel in Köln und in Dortmund. Vom 4. bis 9. April fand es in diesem Jahr unter dem Titel „Alles unter Kontrolle“ in der Ruhrpott-Metropole statt. Es ist sich treu geblieben, war von Beginn an orientiert am aktuellen politischen Geschehen.  

„Einerseits versuchen Regierungen europäischer Länder nun immer stärker Kontrolle über alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger zu erlangen, zugleich aber läuft andererseits politisch immer mehr aus dem Ruder“, erklärt die Festivalleiterin Silke Räbiger das Motto des diesjährigen Internationalen Frauenfilmfestivals „Alles unter Kontrolle“. Mit 120 Filmen wartete das IFFF zu Themen wie Flucht und Vertreibung, sozialen Spannungen oder den Folgen populistischer Politik auf: unter weiblicher Regie und aus der Frauenperspektive gesehen. Hat sich das IFFF verändert, weil Kriege und Krisen nun näher an Europa heranrücken – was auch durch die Flüchtlinge, die dort ankommen, zunehmend spürbar wird? Das verneint die Festivalleiterin: „Wir waren schon immer politisch, auch vor 30 Jahren schon – nur anders“. In seinen Anfängen habe sich das Festival aus der Frauenbewegung und dem Solidaritätsgedanken heraus entwickelt. Die Filme und Debatten darüber hätten sich thematisch mehr um die Selbstbestimmung der Frau und des weiblichen Körpers gedreht. 1989, zur Zeit von Perestroika, im Jahr des Mauerfalls, als unter dem Titel „Filme sowjetischer Frauen“ Frauen aus Deutschland und der Sowjetunion erstmals beim IFFF zusammentrafen, habe dies zu heftigem Unverständnis letzterer und Auseinandersetzungen mit ihnen geführt, erzählt Räbiger aus dem Nähkästchen. Ein Tabubruch! Denn die Befreiung der Sexualität der Frau, nackte Körper in Filmen oder Themen wie Abtreibung seien für die sowjetischen Frauen zum damaligen Zeitpunkt kein Thema gewesen. Sie interessierten eher materialistische Aspekte, wie etwa Frauen am Arbeitsplatz oder deren Stellung in Politik und Geschichte. „Damals hatte uns niemand die Türen aufgerissen, wenn wir gesagt haben, wir sind ein Frauenfilmfestival“. Das habe sich nun geändert. 2001 habe sich das Festival erstmals einen Wettbewerb wie andere professionelle Festivals der Branche zugelegt.

Das Thema Migration habe schon immer eine große Rolle gespielt, 2003 habe das Festival dies mit „No place like home“ thematisiert. Neuerlich aber handelten die Filme nun von den Kindern in der zweiten oder dritten Generation; viele seien von Migrantinnen selbst unter Berücksichtigung ihrer eigenen Geschichte gemacht. Etwa der französische Spielfilm „Peur de rien“ von Danielle Arbid, der die teilweise autobiographische Geschichte der Filmemacherin aus dem Libanon beschreibt, die nach Paris kommt, und beim aktuellen Festival zu sehen war. Dass das IFFF auch heute noch ein sehr politisch geprägtes Festival ist, zeigt sich unter anderem daran: Den vom Festival verliehenen Internationalen Spielfilmpreis für Regisseurinnen des Festivals in Höhe von 15 000 Euro hat diesmal eine Art Antikriegsfilm gewonnen: „Voir du pays“ (Aus Sicht des Landes) schildert die Auswirkungen eines Afghanistan-Einsatzes auf junge französische Soldatinnen. Der Film der beiden Schwestern Delphine und Muriel Coulin erzählt die Geschichte von Aurore (Ariane Labed) und Marine (Soko), die nach der Rückkehr vom Einsatz in Afghanistan mit ihrer Truppe drei Tage in einem Fünf-Sterne-Hotel auf Zypern verbringen und so ihre Kriegserlebnisse verarbeiten sollen.  Er hat noch keinen Verleih in Deutschland gefunden. Um vom IFFF prämierte Filme zu fördern, hat sich das Festival überlegt, den Preis zu splitten: Jeweils 10 000 Euro gehen an den deutschen Verleih und 5000 an die Regisseurinnen.

Insgesamt seien die Themen vielfältiger geworden, so Räbiger. Das ist auch an den aktuellen Wettbewerbsfilmen zu sehen: „Corniche Kennedy“ von Dominique Cabrera etwa handelt von der Abenteuerlust einer gutsituierten französischen Schülerin, die ihr Abitur sausen lässt, sich stattdessen unter Jugendliche in Marseille mischt, die von einer Klippe dort an der Küstenstraße ins Meer springen oder als Chauffeur für eine lokale Drogenbande jobben. Die Regisseurin Meg Rickards will mit ihrem südafrikanischen Film „Tess“ schockieren und aufrütteln, indem sie das von Gewalt geprägte Leben einer Prostituierten inszeniert, deren Kindheitserlebnisse von sexuellem Missbrauch geprägt sind. Der britische Beitrag der Regisseurin Sally Potter „The Party“ dagegen ist eine spöttisch-witzelnde und unterhaltsame Filmkomödie, die das linksliberale Spektrum einer Abendgesellschaft auf die Schippe nimmt, deren Gastgeberin gerade zur Ministerin ernannt wurde. Dafür hat dieser Film vom IFFF den mit 1000 Euro dotierten Publikumspreis erhalten.

Letztlich habe das Festival zum Ziel, sich auf Dauer als Frauenfilmfestival selber überflüssig zu machen, indem es weiterhin für eine Gleichbewertung der Filme unter weiblicher und männlicher Regie eintrete, so Festivalleiterin Räbiger. Der Weg dahin sei allerdings steinig. Dieses Ziel sei bislang keineswegs auch nur ansatzweise verwirklicht. So geht aus einer internationalen Studie des European Womens Audiovisual Network (EWA) von 2016 hervor, dass zwar mittlerweile 44 Prozent der Absolvent_innen von Filmhochschulen weiblich sind, aber nur 24 Prozent der Regisseur_innen. Und 84 Prozent der öffentlichen Filmförderung fließen in Projekte, die Männer inszenieren. Filme von Frauen verbleiben deshalb hauptsächlich im Low-Budget-Bereich. Wie sehr die Regisseurinnen unter Druck stehen, um in der Branche Fuß zu fassen und wie stressig sich ihr Alltag gestaltet, wurde auch daran sichtbar. Statt ihren Erfolg zu genießen und mit dem Festival-Publikum über ihren Film diskutieren zu können, hatte die Regisseurin Danielle Arbid ein spontan eingeschobenes Vorstellungsgespräch für ein Nachfolge-Projekt wahrnehmen müssen.

Mit der Geschichte der Emanzipation gehe es bedenklich langsam voran, gibt Räbiger zu bedenken. Bis 1977 sei etwa in der Bundesrepublik noch gesetzlich verankert gewesen, dass eine Frau ohne Zustimmung des Ehemannes gar nicht hätte arbeiten dürfen. In den kommenden Jahrzehnten sei folglich kaum zu erwarten, dass es für ein Internationales Frauenfilmfestival keinen Bedarf mehr geben würde.

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