Vom 26. April bis 1. Mai war das Sehsüchte Filmfestival wieder Treffpunkt Tausender junger Filmemacherinnen und Filmemacher, die in diesem Jahr unter dem Motto ‚surfaces’ nicht nur an den Oberflächen gekratzt, sondern hinter die Oberfläch(lichkeit)en gesellschaftlich relevanter Themen geschaut haben. Ein Motto, das auch die ver.di-FilmUnion mit ihrem „Realitätscheck“ umgesetzt hat, einem Workshop für junge Filmschaffende, die vom Filmemachen leben wollen.
Oberflächen hinterfragen
Zum 46. Mal hat das aus den FDJ-Studententagen der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR hervorgegangene Sehsüchte Filmfestival in diesem Jahr unter dem Motto ‚surfaces’ an der Filmuni in Potsdam Babelsberg einen Raum zur Begegnung und zum Austausch zwischen jungen Filmschaffenden und einem filminteressierten Publikum geschaffen. Jeder der sehr unterschiedlichen 130 Filme aus 32 Ländern hat sich auf seine Weise mit dem Thema Oberflächen und Oberflächlichkeiten auseinandergesetzt. Oberfläche in einem durchaus materiellen Verständnis und Oberfläche als Projektion darunterliegender gesellschaftlicher Strukturen und Dynamiken.
So hat etwa der bestürzende, aber ergreifende Film „Watu Wote“ die Terrorherrschaft der islamistischen Al-Shabaab-Miliz und die daraus entstandenen Konflikte zwischen Christen und Muslimen in Kenia beleuchtet – und dabei unter der Oberfläche eine Geschichte von menschlicher Solidarität über religiöse Grenzen hinweg sichtbar gemacht. Die Darstellung des terroristischen Überfalls auf einen Reisebus, bei dem die muslimischen Passagiere ihre christlichen Mitreisenden unter Einsatz ihres Lebens beschützen, basiert auf einer wahren Begebenheit. Der von Tobias Rosen produzierte Film hat dafür nicht nur den Preis für die Beste Produktionsleistung (Spotlight), sondern auch den Publikumspreis des Festivals gewonnen.
Die Realität hinter der Fassade checken
Unter die Oberfläche, hinter die Fassade schauen. Das war auch das Anliegen des Workshops der ver.di-FilmUnion, der im diesjährigen Sehsüchte-Rahmenprogramm unter dem Titel „Realitätscheck“ lief und sich an junge Filmemacher_innen richtete, die von ihrer Arbeit bei Film und Fernsehen leben wollen. Denn essentielle Fragen wie die nach sozialer Absicherung und angemessener Vergütung drohen angesichts des hehren Versprechens von der kreativen Selbstentfaltung nur allzu oft hinten runterzufallen. „Klar, Filmemachen ist auf jeden Fall das Beste, was es so gibt. Die Frage ist nur: Wie können wir auch davon leben?“, brachte es die freie Texterin und Autorin Lisa Basten auf den Punkt. Sie promoviert derzeit am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und unterrichtet an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) im Studiengang „Medienwissenschaften“. Zusammen mit dem Dramaturgen Gunther Eschke, O-Tonassistent Caspar Sachsse und Kathlen Eggerling von der ver.di-FilmUnion Berlin-Brandenburg leitete Lisa Basten den Workshop, bei dem es weniger darum ging, den Teilnehmer_innen einen Vortrag über Tarifverträge, Gagen und Versicherungen zu halten, sondern vielmehr um ein gemeinsames Erarbeiten der Rahmenbedingungen für die Arbeit bei Film und Fernsehen.
Worüber in der etwa dreistündigen Veranstaltung geredet wurde, das konnten die rund 20 Filmschaffenden, unter anderem aus den Bereichen Schauspiel, Drehbuch, Regie und Produktion, selbst bestimmen. Begriffe wie die Einhaltung des Tarifvertrags, angemessene Gagen, Rückstellungsvertrag, Künstlersozialkasse, Freiberuflichkeit oder Ausfallhonorar landeten schließlich auf dem Flipchart, an dem die Fragen der Teilnehmer_innen gesammelt wurden. Dabei zog sich ein Paradigma wie ein roter Faden durch den gesamten Workshop, wie Basten abschließend feststellte, nämlich der gefühlte Widerspruch zwischen dem Künstler und dem Unternehmer. Um die (angehenden) Filmemacher_innen in die Lage zu versetzen, diesen Widerspruch auszubalancieren, gab es nicht nur allerhand praktische Informationen und Begriffserklärungen, sondern vor allem viele Ratschläge aus dem Erfahrungsnähkästchen der Profis. So gab etwa Eschke den Teilnehmer_innen mit auf den Weg, nicht darauf zu warten, dass die Angebote von selbst kommen, nur weil man ein Profil bei einem Berufsverband, bei Crew United oder einer Agentur hat. Es gelte, selbst aktiv zu werden, um die Karriere ins Rollen zu bringen. Erst, wenn man sich einen Ruf in der Branche gemacht habe, würden die Angebote auch über Empfehlungen kommen. Dazu gehöre allerdings auch, angemessene Gagen zu fordern, anderenfalls werde man nicht ernstgenommen. Ein Umstand, den auch Sachsse aus eigener Erfahrung bestätigt. Einsteiger_in hin oder her, wer unterirdische Gagen akzeptiere und sich unter Wert verkaufe, schade langfristig seiner beruflichen Zukunft.
Bei den jungen Filmschaffenden kam es an, das Konzept des Realitätschecks. „Cool, dass ihr das hier macht“, so das positive Feedback einer jungen Regisseurin in der Abschlussrunde. Sie habe nun das Gefühl, dass man mit seinen vielen Fragen nicht alleine ist und dass es wohl doch viel mehr Stellen gebe, an die man sich wenden könne. Allerdings hätte sie sich solch einen Workshop schon im ersten Semester an der Filmuni gewünscht. Derartige Formate sollten an den Hochschulen viel mehr verankert werden, so ihr Fazit. Eine weitere Teilnehmerin nahm aus dem Workshop hingegen das gute Gefühl mit, dass die kreative Freiheit entgegen aller Skepsis nicht bodenlos ist, sondern dass man davon auch leben kann – wenn man weiß wie. Realitätscheck? Check!