Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) hat auf ihrem Forum in Köln den derzeit inhaftierten türkischen Journalisten Ahmet Şık mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet. Ebenfalls geehrt wurden das deutsch-türkische Portal taz.gazete und der Buchautor Stefan Schulz.
Günter Wallraff würdigte Şık als unerschrockenen Journalisten, der in seiner mittlerweile 27-jährigen Karriere die Suche nach Wahrheit selbst nach seiner ersten Inhaftierung im Jahr 2011 nicht aufgegeben habe. Şık sitzt seit Ende 2016 erneut für seine Berichterstattung in Haft. Den mit 5000 Euro dotierten Preis nahm Yonca Şık entgegen und verlas eine kurze Botschaft ihres Ehemannes: „Die Wahrheit lässt sich nicht einsperren. Daran glaube ich fest“. Wallraff erinnerte in seiner Laudatio an die über 160 Journalist_innen, die inzwischen in der Türkei inhaftiert sind. Der Investigativ-Reporter zeigte sich aber optimistisch, dass sich die Lage in dem Land wieder bessern werde. „Die Lehre ist folgende: Niemand kann ewig an der Macht bleiben.“
Auch der zweite Preisträger des Wallraff-Preises engagiert sich für regierungskritischen Journalismus in der Türkei: Das zweisprachige Portal „taz.gazete“. Es soll türkischen Journalist_innen eine Plattform geben und mit seinen Honoraren dazu beitragen, dass die Journalisten trotz Zeitungsschließungen und Entlassungen einen Teil ihres Lebensunterhalts bestreiten können. „Die Situation für frei und kritisch berichtende Journalist_innen in der Türkei als einem europäischen Land ist unerträglich und inakzeptabel“, begründete die Jury der INA e.V. die Entscheidung, den Preis in diesem Jahr zu gleichen Hälften auf zwei Preisträger auszuteilen.
Einen undotierten Sonderpreis erhielt der ehemalige FAZ-Redakteur Stefan Schulz für sein journalismuskritisches Buch „Redaktionsschluss“, in dem er sich mit dem Bedeutungsverlust der Zeitungsredaktionen in einer von digitalen Plattformen geprägten Welt beschäftigt. In dem vorangegangenen 3. Kölner Forum für Journalismuskritik forderte der Autor einen neuen Umgang mit Journalismus: So sollten Journalisten sich dem Reichweiten optimierten Journalismus verweigern, der insbesondere durch Plattformen wie Facebook gefordert werde. Stattdessen plädierte der Publizist für eine Abkehr von einem geschliffenen und zu sehr auf Neutralität bedachten Journalismus. „Warum sollte man Journalisten nicht zugestehen, eine Meinung zu haben“, fragte Schulz.
Handwerk gegen populistische Parolen
Einen anderen Standpunkt hatte zuvor der Gastgeber der Konferenz vertreten. Der Intendant des Deutschlandradios Willi Steul verurteilte die Tendenz, Sachverhalte salopp oder gar hämisch zu formulieren. „Natürlich ist dies auch Teil einer Verunsicherung, die den professionellen Journalismus erreicht hat und sicher auch Teil der Suche nach einem jungen Publikum“, erklärte Steul und mahnte: „Vorsicht, Leute.“ Er zeigte sich besorgt darüber, dass laut einer Umfrage mittlerweile 60 Prozent der Befragten überzeugt seien, die Herausforderungen des Landes besser meistern zu können als Politiker. Dieses Ergebnis sei besorgniserregend, da es zeige, dass der professionelle Journalismus ein unterkomplexes Bild von der Gesellschaft vermittle.
Das beste Mittel gegen populistische Parolen vorzugehen ist nach Steuls Auffassung das Festhalten an den Qualitätsstandards. „Nicht jeder Mensch kann Journalismus – das ist ein Handwerk, das muss man lernen“, betonte der Intendant. Steul verurteilte die Tendenz vieler Medien, jeder Schlagzeile hinterherzulaufen. So sei für ihn weder der anfängliche Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz verständlich, noch dessen Herunterschreiben nach den ersten Landtagswahlen in diesem Jahr.
Glaubwürdigkeit wiedergewinnen
Einen Grund für die zunehmenden Glaubwürdigkeitsprobleme der etablierten Medien sahen viele Konferenzteilnehmer_innen in der durch Internetplattformen veränderten Mediendynamik. Ebru Taşdemir von taz.gazete berichtete, dass in der türkischen Community immer mehr Nachrichten über das Chat-Programm WhatsApp geteilt würden. Mangels türkischer Zeitungen, die sich mit der Lebensrealität in Deutschland beschäftigten, seien solche Plattformen mittlerweile zum wichtigsten Nachrichtenmedium aufgestiegen –
selbst wenn darüber Falschnachrichten wie die Entführung von Kindern durch bulgarische Gastarbeiter verbreitet würden. Auch die späte Aufklärung der NSU-Morde und die vorangegangene Berichterstattung über die Opfer habe viel Glaubwürdigkeit gekostet. Russischstämmige Einwohner würden sich angesichts der mangelhaften medialen Versorgung durch etablierte deutsche Medien lieber an vermeintliche Alternativen wie den russischen Regierungssender RT oder die Online-Plattform Sputnik wenden. Taşdemir appellierte an die Journalisten, mehr auf diese Bevölkerungsgruppen zuzugehen und sie auch als Quelle ernstzunehmen.