Medientage in Lage-Hörste boten ein kritisches Bild der Informationsbranche
„Entfremdete Medien – Die Rolle von Glaubwürdigkeit und Vertrauen im Journalismus“ war der Titel der fünften Medientage in Lage-Hörste, zu denen vom 29. bis 31. Mai 2015 rund 50 Journalistinnen und Journalisten, aber auch Medieninteressierte anderer Berufe gekommen waren.
Er sei „gebeten worden, einen Einführungspudding an die Wand zu nageln“, bemerkte Steffen Grimberg, Medienjournalist und Leiter des Grimme-Preises in Marl, zu Beginn seines Auftritts bei den diesjährigen ver.di-Medientagen. „Was leisten Medien in unserer Demokratie noch?“, hieß die Frage, mit der er sich auseinandersetzen sollte. Journalismus als Vermittlungstätigkeit im gesellschaftlichen Auftrag sei heute keine Alleinstellung mehr. Durch das Internet „stehen wir dauernd auf dem Prüfstand“, sagte Grimberg. In einer Zeit der großen Koalition wirkten auf viele Zuschauer und Leser auch die Medien wie eine große Koalition – „Mainstream“ sozusagen. Dazu trage bei, dass sich die Nachrichtenredaktionen im Fernsehen zu stark an politischem Kalender und Ritualen orientierten und immer wieder die gleichen Bilder produzierten: Staatschef fährt vor etc. In den Talkshows säßen ständig die gleichen Leute, das führe auch bei gebildetem Publikum zur Langeweile. Zusätzlich biete auch der Zeitungsmarkt, beispielsweise im Ruhrgebiet, durch Redaktionszusammenlegungen und Seitenübernahmen immer mehr „Einheitsbrei“. Das merke der Leser und nehme es übel.
Dazu kämen „handwerkliche Ungenauigkeiten“, zum Beispiel, wenn nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo die Demonstration der Staatschefs in Paris als Teil der allgemeinen Demo im Fernsehen groß „gefeiert“ werde und dann rauskommt, dass die sie in einer abgesperrten Straße marschierten. „Die klassischen Medien haben ein Glaubwürdigkeitsproblem und verkaufen ihr Publikum trotzdem bisweilen für dumm“, monierte Grimberg. Das Publikum sei durch das Netz „zu einer realen Person geworden, mit lästiger, aber auch intelligenter Kritik“. Korrekturspalten und Ombudsleute in den Medien seien darauf eine gute Antwort. Die Diskussion mit dem Leser, Zuhörer, Zuschauer, User müsse offensiver geführt werden, wofür die Redaktionen mehr Aufmerksamkeit und Zeit aufwenden müssten. Dass „Lügenpresse“ als „Unwort des Jahres“ ausgewählt worden sei, solle nicht Anlass sein, berechtigte Kritik auszublenden, hieß es in der lebhaften Diskussion.
Deutschland ein „Entwicklungsland“
Über „rechte Feindbilder: Einwanderung, Islam, gesellschaftliche Pluralisierung“ berichtete Alexander Häusler vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. Deutschland sei „im Sinn des Rechtspopulismus ein Entwicklungsland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern“, werde aber von den dortigen rechten Parteien sehr genau beobachtet, ob sich hier eine rechte Partei außer der vergangenheitsbelasteten NPD etablieren kann.
Die Pegida-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands), die dann als „eine Art politisches Franchise-Unternehmen“ durch Deutschland gewabert sei, war laut Häusler von Anfang an stark mit rechten Gruppen und Medien verbunden. Bei Befragungen von Mitgliedern standen jedoch Kritik an Politikern, an der Asyl- und Einwanderungspolitik und den angeblich die Wahrheit unterdrückenden „Mainstream-Medien“ weit vor der Angst vor einer Islamisierung, welche die Bewegung im Namen führt. Ähnliches sei bei der „Alternative für Deutschland“ (AfD) zu beobachten, die von der anfänglichen Anti-Euro-Partei längst zur Anti-Zuwanderungspartei mutiert sei und enge Kontakte zu Pegida unterhalten habe. Häusler fasste die Strömungen in der AfD so zusammen: „Anti-pluralistisch, anti-feministisch, homophob und mit einem reaktionären Familien- und Gesellschaftsbild“.
AfD und Pegida sind nach Häuslers Thesen „Ausdruck eines rechten Kulturkampfes in Deutschland“, eine „Revolte, die selbst autoritäre Zustände ersehnt“. Auf Einwände, die Pegida-Anhänger seien von der Presse doch gleich als „extremistisch und blöd“ dargestellt worden, ohne nach ihren Ängsten zu fragen, antwortete Häusler ganz ruhig: „Es gibt auch Bewegungen, die sind schlicht extremistisch und blöd.“
Über die Wirklichkeit bei Berichten aus Krisen- und Kriegsregionen sprach Chris Grodotzki, ein junger Fotograf, der 2013 den „dpa-Newstalent-Award“ gewann. Er berichtete von seinen Foto-Recherchen an der türkischen Grenze während des Kampfes der Kurden gegen den „Islamischen Staat“ (IS) um Kobane, wo er für einige Zeit in der Türkei festgesetzt worden war (M 8/2014). Für Grodotzki war Kobane der „Worst Case“ einer „geschaffenen Wirklichkeit“. Strategisch sei das Städtchen unbedeutend gewesen, aber durch die große Medienbeobachterschar auf türkischer Seite habe der Kampf, vor allem auch für den IS, eine ganz besondere Bedeutung gewonnen. In Kobane sei in den Medien alles auf „Kurden gegen IS“ reduziert worden, dabei sei die Lage in vielen Bereichen Syriens mit den verschiedenen agierenden Gruppen sehr viel komplexer. Die Rolle der Türkei, die dem IS Waffen geliefert habe, sei nur spärlich erwähnt worden, die Möglichkeit eines Bündnisfalles an einer NATO-Außengrenze ebenfalls.
Aktive Bürgerreporter
Horst Röper, Leiter des Formatt-Instituts in Dortmund, war vom Tagungsleiter Karlheinz Grieger gebeten worden, sich den „Bürgerjournalismus“ in lokalkompass.de genauer anzuschauen. Die Plattform ist an die Westdeutsche Verlags- und Werbegesellschaft und damit an die Anzeigenblätter zweier großer Verlage (Funke-Mediengruppe, Ruhr-Nachrichten) angebunden. Sie haben zusammen eine Auflage von fünf Millionen Exemplaren von der holländischen Grenze bis zum Sauerland. lokalkompass.de zählt über 74.000 „Bürgerjournalisten“. Sie bestücken die Internetseite mit Fotos und Berichten mit bisher mehr als einer halben Million Beiträgen und rund drei Millionen Fotos. „Bürgerreporter“ erwerben Punkte für ihren Fleiß, werden meist mit Bild vorgestellt und auch mal als „Bürgerreporter des Monats“ geehrt. Besondere Auszeichnung: Der Beitrag wird auch im Anzeigenblatt gedruckt. Der lokalkompass.de sei kein altruistisches Projekt, so Röper. Er soll vor allem die Bindung der Leser zu den Funke-Anzeigenblättern verstärken. Dabei scheint der Umgangston in den Kommentaren relativ zivil zu sein, Politik sei aber auch kein wichtiges Thema. Die Texte würden von Redakteuren der Funke-Anzeigenblätter vor Veröffentlichung gesichtet, heißt es.
Dass diese „Kontrolle“ der Bürgerreporter nicht immer funktioniert, war eine Erkenntnis des Workshops mit dem Medienpädagogen Helgo Ollmann. Es konnte leicht nachgewiesen werden, dass sich jeder, mit einem falschen Namen und mit einer durchaus erdachten Geschichte – offenbar ohne Prüfung – als Bürgerreporter registrieren kann. Zudem wurde eine „schwärzeste Grauzone“ bei Werbung und „Reporter“-Texten festgestellt. Mit Anzeige gekennzeichnete, aber nicht leicht identifizierbare Texte, tauchten häufig mittendrin auf. Anzeigen stehen im Anzeigenblatt und auf der Lokalkompass-Website. Und es gibt einige Tracker (M 8/2014), die zum Beispiel Daten über das Besucherverhalten auf der Seite sammeln können.
In den weiteren Workshops ging es um „Gekaufte Wahrheiten: Der richtige Umgang mit PR und Propaganda im Netz“ sowie um „Verleumdungen, Shitstorms und Gewaltandrohungen: Wie schütze ich meine Identität?“. Julia Hoffmann vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden diskutierte mit ihrer recht großen Gruppe Indizien für Internetseiten, die sich als Nachrichtenmedium gerieren, aber in Wirklichkeit PR-Seiten sind. Eindeutige Erkennungszeichen gebe es dabei nicht, aber Hinweise, etwa ein fehlendes Impressum, Überalterung, nicht funktionierende Links und ähnliches. Es sei hilfreich, Textstellen mit Google oder anderen Diensten zu überprüfen, um Plagiate zu entdecken, oder bei denic.de den Inhaber der Seite zu überprüfen. Gerade bei Selbsthilfegruppen stünden mitunter Pharmafirmen dahinter und finanzierten einen aufwändigen Internet-Auftritt.
Im dritten Workshop ging es um den Schutz der eigenen Identität. Im Gegensatz zu Twitter habe man bei Facebook keine Chance, falsche Kommentare entfernen zu lassen, berichtete Hauke Gierow von „Reporter ohne Grenzen“. Bei Internetseiten, die Kommentare zulassen, sollte ein deutlicher Hinweis auf die Netikette nicht fehlen, Trolle sollten am besten ignoriert werden. Bei E-Mails mit Anfeindungen von Unbekannten sei ein Gespräch mit dem Verleger und dem Rechtsschutz für dju-Mitglieder der geeignete Weg.
Einen großen Teil des Workshops nahm der Passwort-Schutz ein. Es ist erstaunlich, dass absolute Simpel-Passwörter wie „12345678“ tatsächlich häufig vorkommen. Gierow empfahl die „Lange Satz Mantra Methode“, in der man sich einen Satz ausdenkt und dann beispielsweise die Anfangsbuchstaben benutzt. Empfohlen wurden auch Apps wie Thunderbird – Portable Edition oder GPG4win, eine Weiterentwicklung von Pretty Good Privacy. Die Mitarbeiter von „Reporter ohne Grenzen“ bieten auf ihrer Kontaktseite eine Verschlüsselung für E-Mails an. Mehr Informationen zum Schutz der Identität bietet auch die Seite selbstdatenschutz.info.
Ulrich Janßen, Vorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di erinnerte – wie auch Karlheinz Grieger bei der Begrüßung – an den Schließungsbeschluss für Lage-Hörste zum Ende des Jahres. Er hatte zusammen mit M-Redakteurin Karin Wenk auch kurz die Versammlung des gerade tagenden Fördervereins besucht, der nach neuen Wegen für den in Lage-Hörste beheimateten „Geist für kritische Selbstreflexion“ suche, so Janßen.
Dass die sechsten Medientage im Jahr 2016 stattfinden werden, darauf legte sich der dju-Vorsitzende fest. Nur wo konnte er noch nicht sagen. Nach zwei Tagen der Selbstreflexion und der Selbstkritik betonte Janßen, dass ein „Bürgerjournalismus“ einen professionellen Journalismus nicht ersetzen könne. „Wir sollten uns auch bewusst machen, welche Bedeutung wir als Journalisten haben und stolz sein auf das, was gut läuft.“ Würde der kritische Journalismus in Zeitungen, Zeitschriften und Sendern wegfallen, seien die Folgen für unsere Gesellschaft kaum vorstellbar. Auch wenn es Nazi-Schmierereien an Redaktionen gebe, Brandanschläge auf Verlagshäuser oder fingierte Todesanzeigen für Journalisten: „Dass wir uns da nicht einschüchtern lassen und uns wehren, auch darauf bin ich für unseren Berufsstand ein bisschen stolz.“
Die Tagungsdokumentation finden Sie hier: http://imk.azlink.de/course/view.php?id=62