Wie kann ein attraktiver, moderner, leistungsstarker Lokaljournalismus im digitalen Zeitalter überleben? Aktuelle „best practice“-Digitalprojekte wurden vom 28. bis 30. Juni auf der Redaktionskonferenz „Wir lieben Lokaljournalismus“ präsentiert. Die zentrale Erkenntnis: Mit Mut zum Experiment lässt sich die tägliche Routine zwischen Hofberichterstattung und nervtötender Terminhetze allemal durchbrechen.
Schwierig gestaltet sich dagegen die Suche nach einem validen Geschäftsmodell, wurde auf der von der Bundeszentrale für politische Bildung organisierten Veranstaltung in Berlin deutlich.
Zum Beispiel Video. Kein ganz taufrisches Medium im Lokalen, aber es kommt darauf an, wie es eingesetzt wird. Bei der Würzburger Main Post (MP) setzt Art Direktorin Meike Rost auf einen möglichst hohen Zusatznutzen für das Publikum. Ihr geht es darum, „Emotionen zu transportieren, um den Text zu ergänzen“. Ihre Vorliebe für „Naharbeit am Menschen“ erprobte sie „mit unserem Schrauben-Sepp, ein älterer Herr, der seit langem einen Schraubenladen in der Innenstadt betreibt“. Dieses fränkische Original „muss man sehen und hören, ein Text reicht nicht aus, diesen Menschen zu erfassen“. Das so entstandene Video erreichte auf Anhieb 12.000 Abrufe. Rost organisiert die Videoarbeit systematisch: An die 100 Reporter der 16 Lokalredaktionen wurden digital geschult, zusätzlich sind 10 Fotografen mit Spiegelreflexkameras in der Stadt unterwegs. Neben human interest geht es natürlich auch um harte Politik. Dramatische Momente konnte ein Reporter der „Main Post“ per Live-Berichterstattung beim terroristischen Axt-Attentat vor einem Jahr in einem Regionalzug bei Würzburg wiedergeben. Für Rost unabdingbar der Verzicht auf Effekthascherei: „Erst live gehen, wenn man etwas zu sagen hat!“ Derzeit produzieren die MP-Reporter täglich etwa drei Videos, meist mit einer Länge von um die 45 Sekunden. Im Schnitt erreichen sie ca. 25.000 Aufrufe, darunter auch von vielen jungen Menschen, die dem Printprodukt eher fern stehen. Problematisch bleibt die Monetarisierung. „Wer ist heutzutage denn bereit, für ein Video Geld zu bezahlen, wo es sie doch überall im Überfluss gibt?“ Ein Weg könne die Teilfinanzierung durch Werbung sein. Leichter ließen sich Einnahmen jedoch im Bereich Corporate Publishing erzielen. Etwa durch Auftragsdienste für das lokale Fußballteam. Oder demnächst bei der Landesgartenschau, wo die MP sich vorstellen könnte, ihr Know-how bei Drohnenflügen einzusetzen. Auf eines legt Meike Rost allerdings Wert: „Diese Bereiche müssen getrennt bleiben. Redaktionelle Inhalte lassen sich nicht von außen gestalten.“
Mit offenem Versuchslabor
Innovative Wege bei der Entwicklung digitaler Produkte gehen auch die Nürnberger Nachrichten (NN). Das fränkische Blatt kooperiert seit einem halben Jahr mit dem ortsansässigen Fraunhofer-Institut. Gemeinsam betreibt man in der Nürnberger Innenstad den Laden „Josephs“. Das ist, so erläutert Chefredakteur Michael Husarek, ein „offenes Versuchslabor, in dem nicht marktreife journalistische Produkte getestet werden“. Die Erfahrungen fielen bislang durchaus zwiespältig aus. Zum Beispiel die mit dem Prototyen einer digitalen Abendausgabe. Die Redaktion visierte dabei ein „geschlossenes journalistisches Produkt“ an, eine Art „besseres e-Paper“, das täglich zwischen 17 und 20 Uhr erscheinen sollte. Eine Leserumfrage ergab, dass diese Projektkonfiguration an den Bedürfnissen der Leser vorbeiging. Die Nachrichtenlage, so der häufigste Einwand, verändere sich doch so schnell, da sei ein statisches Produkt wie die Abendausgabe nicht wirklich interessant. Zum anderen vermissten die Leser die Möglichkeit, mit der Redaktion zu interagieren.
Kaum erfolgreicher verlief das Experiment mit einer personalisierten App, einem Prototyp namens „Re-fresh“. Hier kritisierten die User mangelnde Transparenz und Steuerbarkeit. Für die Redaktion interessant war das Ergebnis, „dass die Menschen sich der Filterblasenproblematik sehr bewusst sind“. Die User erwarteten geradezu einen Hinweis auf eine mögliche Informationsverengung. Das inhaltliche Angebot sei darüber hinaus zu dünn gewesen. „Auf das Grundrauschen an relevanten Nachrichten wollen die meisten nicht verzichten“, bekennt Husarek. Zwecks Überarbeitung geht die NN-Redaktion jetzt noch mal zurück ins Labor. Überdacht werden soll auch nochmals das Preismodell. Angedachte Abopreise von zehn Euro hätten sich längst als illusorisch erwiesen. „Selbst Netflix oder Spotify liegen unterhalb dieser Schranke“, sagt Husarek. Das sei wohl auch die „Schmerzgrenze für ambitionierte journalistische Produkte“.
Test mit Bezahlinhalten
Ähnliche Erfahrungen machte auch die Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA) aus Kassel. Mit ihrem mobil optimierten Online-Magazin „Sieben“ wolle die Redaktion testen, unter welchen Konditionen Bezahlinhalte im Netz funktionieren, erläuterte Jens Nähler, Leiter der Online-Redaktion. Mitarbeiter aus vierzehn Lokalredaktionen bereiten lokale und regionale Geschichten auf, zehn bis 15 Beiträge werden monatlich exklusiv für das Portal erstellt. Geschichten wie: „So bleibst du cool: Richtiges Trinken nicht nur für Läufer“ oder: „Unterwegs mit Bauern: So wird in der Region mit Gülle gedüngt“. Für die bisherigen HNA-Abonnenten ist dieses Angebot kostenlos. Alle anderen müssen sich auf dem Portal „Deine HNA“ registrieren und werden zur Kasse gebeten. Der ursprüngliche Plan, eine Paywall in Höhe von 4,90 Euro zu errichten, scheiterte. „Drei Euro sind das Maximum“, schätzt Nähler die Zahlungsbereitschaft für derlei Inhalte inzwischen realistischer ein. Die kurzfristige Bilanz fällt einigermaßen ernüchternd aus. Vor dem Runterlassen der Bezahlschranke hatte hna.de 24.000 regelmäßige Besucher. Demgegenüber hat „Sieben“ in den ersten vier Wochen gerade mal 50 Abonnenten gewinnen können. Nähler gibt sich trotzig bis zuversichtlich: Man wolle das Bewusstsein dafür stärken, „dass die Inhalte wertig sind und wir sie nicht einfach so raushauen“.