Vor drei Wochen fiel die Entscheidung, wer als Plattformbetreiber das zweite bundesweite Multiplex für das Digitalradio DAB+ aufbaut. Über Chancen, Strategien, Erfordernisse und Verbreitungswege für Hörfunk im Digitalzeitalter sprach M mit Heike Raab, Staatssekretärin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und in Europa, für Medien und Digitales.
M | Den Zuschlag als Plattformbetreiber erhielt Antenne Deutschland, das Gemeinschaftsunternehmen des Radioveranstalters Absolut Digital und des Sendenetzbetreibers Media Broadcast. Was bedeutet diese Entscheidung für die Zukunft von DAB+?
Heike Raab | Ich freue mich sehr, dass das zweite Bundes-Mux, wie wir in der Fachsprache sagen, ein unglaubliches Interesse erfahren hat. Das damit verbundene bundesweite Angebot an Digitalradioprogrammen wird das Digitalradio für Nutzer attraktiver machen und dem Digitalradio in Deutschland insgesamt einen großen Schub geben. Als Vorsitzende des Digitalradio-Board haben Dorothee Bär, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, und ich das Ziel, die Verbreitung des digitalen Radios in Deutschland zu beschleunigen. Wir waren bislang eher im Schneckentempo unterwegs und jetzt wollen wir zum Geparden werden.
M | Bereits Mitte März hat die Rundfunkkommission der Länder den „Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter“ beraten. Was sind die nächsten Schritte?
Raab | Wir haben die technischen Voraussetzungen geschaffen. Einige Privatsender, die im Arbeitskreis Privater Rundfunk und auch im Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) organisiert sind, werden auch auf dem zweiten Bundes-Mux sein. Allerdings werden im Vorstandsbereich des VPRT zusätzliche Erwartungen formuliert. Etwa die, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugunsten von DAB+ geräumte UKW-Frequenzen privaten Anbietern zur Verfügung zu stellen. Wir haben nicht grundsätzlich Nein gesagt, halten aber ein Einfrieren dieser Frequenzen für besser. Wir haben aber auch gesagt: Wir werden diesen Netzinfrastrukturwechsel weg von der teuren UKW-Übertragung hin zum digitalen Hörfunk vorantreiben. Wir haben eine bessere Qualität bei DAB+, wir haben mehr Sicherheit bei der Übertragung, wir haben interaktive Elemente. Wir können außerdem bei der Simulcast-Phase – UKW, DAB und Webradio nebeneinander – Kosten reduzieren, wenn wir die Verbreitung von digitalem Radio beschleunigen und die kostspielige Simulcast-Übertragung von Hörfunkprogrammen über UKW und DAB+ beenden. Dazu gehört auch die Distribution von digitalen Endgeräten.
M | Der VPRT meint, der Aktionsplan begünstige einseitig die öffentlich-rechtlichen Sender. Aus Protest ist der Verband aus dem Digitalradio-Board ausgestiegen. Natürlich geht es um Geld. Erst ab einer Marktdurchdringung DAB+-fähiger Geräte von mehr als 40 Prozent, so schätzt der VPRT, könnten sich die Privatsender überhaupt die Multicast-Phase – die parallele Ausstrahlung von digitalem und analogem Radio – leisten. Was halten Sie davon?
Raab | Wir sollten aus den Erfahrungen anderer Länder lernen. Norwegen hat den Ausstieg aus UKW per Umschaltdatum zum 11. Januar 2017 bereits festgelegt. Dort steigt schrittweise das ganze Land auf Digitalradio um. Wir in Deutschland haben das nicht vor. In Großbritannien, wo es eine Durchdringung mit digitalen Radio-Endgeräten von rund 50 Prozent gibt, hat man einiges erreicht. Man hat eine gezielte Kampagne gestartet in Richtung der Automobilindustrie. Man hat aber auch für den privaten Endkundenbetreiber tolle Angebote gemacht und Adapter mit intensivem Marketing beworben. Diese kosten um die 20 Euro, haben ein kleines Format, können im Auto angebracht werden und ein normales UKW-Radio in ein DAB-fähiges Radio verwandeln. Wir haben uns auch angeschaut, dass beispielsweise sämtliche deutschen Neu-Automobile, egal welchen Fabrikats, in Großbritannien ohne Zusatzkosten mit dem Multinorm-Chip DAB-fähig ausgeliefert werden. In Deutschland zahlt der Endverbraucher, der einen neuen PKW bestellt, immer noch 300 bis 500 Euro oder mehr zu. Das darf nicht sein. Deshalb habe ich mich im Namen des Landes Rheinland-Pfalz für eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes eingesetzt. Artikel 48, auch das ist eine der Maßnahmen aus dem Aktionsplan, sieht eine so genannte Interoperabilitätsverpflichtung vor. Das bedeutet, dass jedes neue Endgerät mit dem Multinormchip ausgestattet werden muss. Das ist keine Gängelei des Marktes. Wir verfahren ähnlich wie beim Fernsehen. Dort war die Auflage, dass die Fernseher sowohl digital als auch analog können.
M | Bei DAB+ gab es von Anfang an das Henne-Ei-Problem: Der Verband der Automobilindustrie (VDA) etwa argumentiert seit Jahren, DAB+ müsse in Sachen Netzabdeckung und Programmvielfalt noch wesentlich zulegen, um für Autofahrer interessant zu werden. Gehört das künftig der Vergangenheit an?
Raab | Erfreulicherweise ist ja Politik ein Raum für Gestaltungen. Der VDA saß mit am Tisch im Digitalradio-Board und hat die Entwicklungen, zu denen auch die Vergabe des zweiten Bundes-Mux gehört, zur Kenntnis genommen. Eine Änderung des TKG würde nicht nur für deutsche Automobilhersteller gelten, sondern für jeden Anbieter weltweit, der in Deutschland ein Auto neu auf den Markt bringen will. Und das würde einen enormen Schub bringen. Man hat mich sogar zur Eröffnung der Automobilmesse nach Frankfurt am 14. September eingeladen. Sicher auch, weil man mir neue DAB-Empfangsgeräte in Automobilen präsentieren möchte.
M | Ein festes Datum für den digitalen „Switchover“, also die Abschaltung von UKW existiert nicht. Sie erwähnten Norwegen. Dort wurde Anfang dieses Jahres mit der schrittweisen Abschaltung von UKW begonnen. Warum geht sowas hierzulande nicht?
Raab | In Sachsen und Sachsen-Anhalt ist ein Abschaltdatum gesetzlich auf den 31. Dezember 2025 festgelegt. Im Übrigen ist das Meinungsbild im Länderkreis sehr heterogen. – Norwegen hatte eine sehr fragmentierte UKW-Landschaft. Wir wissen, dass die skandinavischen Länder in den Hauptstädten ein sehr verdichtetes Gebiet haben, aber viel ländlichen Raum mit schwach besiedelten Regionen. Dort war die UKW-Abdeckung noch kostenintensiver und auch gar nicht flächendeckend vorhanden. Man hat sich deshalb entschlossen, sehr konsequent diesen Weg zu gehen, begleitet von einer gezielten Aufklärungskampagne. In Norwegen war offensichtlich der Kostendruck noch größer, sodass man ein unrentables System in ein rentableres überführen wollte. Hier in Deutschland ist die Zeit, glaube ich, noch nicht ganz reif. Unser Markt ist auch deutlich größer. Norwegen hat fünf, Rheinland-Pfalz vier Millionen Einwohner. Deutschland hat einen Markt mit theoretisch 83 Millionen Endkunden. Das ist eine ganz andere Herausforderung. Wenn wir 50 Prozent Marktdurchdringung haben wollen, müssen wir 40 Millionen Geräte unter die Leute bringen. Es gibt natürlich auch schon neue Smartphone-Generationen, die DAB+ empfangen können.
M | Einige Fundamentalkritiker finden, mit DAB+ werde eine Technologie gefördert, die keine gute Perspektive hat. Ihr Argument: Künftig werde die Mehrzahl der Radiohörer ohnehin lieber auf internetbasierte Angebote, auf Spotify und Co. zurückgreifen. Liegen diese Kritiker falsch?
Raab | Wenn ich zu Hause in meinen vier Wänden bin, gar kein Problem. Aber in meinem Heimatbundesland Rheinland-Pfalz können Sie in bestimmten Regionen zum Beispiel noch nicht mal per Handy telefonieren. Da gibt es dann auch keinen Webradioempfang, weil einfach die Mobilfunkabdeckung sehr zu wünschen übrig lässt. Es gibt jetzt große Pläne seitens der Bundesnetzagentur, die 5G-Verbreitung zu forcieren. Wir reden aber frühestens über einen Zeitpunkt um das Jahr 2025, und es kann auch später werden. DAB+ gibt es schon jetzt. Wir können jetzt für die Verbreitung sorgen. Dann müssen wir nicht warten, bis wir Webradio mobil und sicher auch überall im ländlichen Raum nutzen können. Von Ballungsgebieten wie Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt oder München abgesehen: 75 Prozent der Deutschen wohnen im ländlichen Raum. Und an die müssen wir genauso denken wie an die, die eine gute Versorgung haben. Im prinzipiell breitbanddefizitäten Mobilfunk wird der Datenverbrauch auf absehbare Zeit Geld kosten. Das ist bei DAB+ nicht der Fall.