Die Geschichte ist so besonders und gleichzeitig doch so alltäglich wie jede andere Romanze: Zwei junge Menschen verlieben sich ineinander und stellen fest, dass es Unterschiede gibt, mit denen sie irgendwie klarkommen müssen. Doch in diesem Fall handelt es sich um ein christliches deutsches Mädchen und einen geflüchteten Moslem aus Syrien. Ein harmloser Film des Kinderkanals (KiKA) über das Paar könnte nun gravierende Folgen für das gesamte Kinderfernsehen haben.
„Malvina, Diaa und die Liebe“ heißt der Film, den Marco Giacopuzzi für die Reihe „Schau in meine Welt“ des Kinderkanals (KiKA) gedreht hat. Der Autor ist im vergangenen Jahr mit dem Robert Geisendörfer Preis ausgezeichnet worden. Seine Arbeiten unterscheiden sich von vergleichbaren Filmen durch einen überaus sensiblen Umgang mit seinen Protagonist_innen. Trotzdem sei die Dokumentation, die der Kika im November im Rahmen seines Themenschwerpunkts „Gemeinsam Leben“ ausgestrahlt hat, ein Skandal, finden viele Mitglieder und Sympathisant_innen der AfD: weil er Propaganda für eine Beziehung mit muslimischen Flüchtlingen mache. Als unter anderem auch die Bild das Thema begierig aufgriff, zumal sich der Kika in einer Bildunterschrift beim Alter des Syrers vertan hatte (dort stand 17 statt 19), entwickelte sich eine Dynamik, die in Morddrohungen gegen Malvina und Diaa gipfelte.
Für Joachim von Gottberg, Theologe, Pädagoge und Honorarprofessor für Medienethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, belegt die Diskussion „wieder einmal den uralten Irrglauben, Medien wirkten linear. In diesem Fall hieße das: Wenn ein Film von der Beziehung zwischen einem christlichen Mädchen und einem Moslem handelt, wollen die deutschen Mädchen diesem Beispiel nacheifern. Das ist natürlich Unfug.“ Man könne der Dokumentation vielleicht vorwerfen, dass sie die Beziehung romantisiere, aber „selbst das wäre aus meiner Sicht erst dann problematisch, wenn sich Malvina ihrem Freund willenlos unterwerfen würde. Davon kann jedoch überhaupt keine Rede sein, sie zieht ja im Gegenteil ganz klare Grenzen.“ Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI, München), ist bei einer Studie mit hundert Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Die Kinder teilten zwar die kritische Haltung der AfD und gingen davon aus, „dass Diaa Malvina seine Kultur aufzwingen will und möchte, dass diese sich ihm unterordnet“, aber die Wirkung des Films ist offenbar eine ganz andere, als die rechtspopulistischen Kritiker vermuten: Die Mehrheit der befragten Mädchen lehnte eine Beziehung zu einem Jungen wie Diaa ab.
Während seriöse Medien auch die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs thematisieren – Malvina und Diaa haben zwischenzeitlich Polizeischutz bekommen -, ist eine ganz andere Frage bislang noch nicht gestellt worden: Welche Konsequenzen haben die Ereignisse für das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen? Werden die Sender aus Angst vor einem erneuten „Shitstorm“ von potenziell kritischen Themen lieber die Finger lassen? Maya Götz sieht durchaus die Gefahr, dass das Kinderfernsehen von nun an auf Realitätsbezüge verzichte, „um keine Angriffsfläche zu bieten. Dann drohen uns US-amerikanische Verhältnisse. Dort wird jedes Drehbuch durchleuchtet, ob sich irgendwo etwas findet, worüber sich jemand ereifern könnte. Die Folge davon wäre Zuckerwattefernsehen.“
Auch Marco Giacopuzzi fände es fatal, „wenn die Sender nun jeden Vorschlag erst mal darauf hin abklopfen, ob irgendeine politische Seite einen Aufhänger für eine Kampagne finden könnte. Ich kann nur an die Redaktionen appellieren, sich auch in Zukunft ohne AfD-Schere im Kopf mit heiklen Stoffen auseinanderzusetzen.“ Er hält es „für ganz wichtig, dass das Kinderfernsehen weiterhin alle Themen aufgreift, mit denen sich Jugendliche beschäftigen, und zwar mit sämtlichen Widersprüchen, die solche Stoffe oft mit sich bringen“. Astrid Plenk, Programmgeschäftsführerin des Kinderkanals, hat ebenfalls Hassnachrichten bekommen, was doppelt absurd ist, weil sie ihr Amt erst sei Anfang Januar ausübt. Sie betont, dass die unterschiedlichen Perspektiven von Kindern und Erwachsenen keinesfalls miteinander vermischt werden dürften: „Kinder müssen mündige, kritische, selbstbewusste und eigenständige Haltungen entwickeln können.“ Filme wie „Malvina, Diaa und die Liebe“ werden also weiterhin ohne Gebrauchsanweisung ausgestrahlt.
Plenks Vorgänger Michael Stumpf, mittlerweile Leiter des Kinderfernsehens im ZDF, versichert gleichfalls, seine Redaktion werde sich auch in Zukunft mit Fragestellungen zum Leben in einer multikulturellen Gesellschaft befassen, „damit sich Kinder ihre eigene Meinung zu relevanten Themen bilden können“. Um solche Themen kindgerecht umzusetzen und für junge Zuschauer_innen nachvollziehbar aufzubereiten, seien die Programmmacher_innen „auf nahbare Menschen“ und deren ganz persönliche Sichtweise angewiesen, denn erst sie ermöglichten authentische Einblicke in andere Leben. Stumpf fürchtet jedoch, dass es schwieriger werden könnte, die passenden Protagonisten zu finden: „Die Dynamik in den sozialen Netzwerken und der Hass von rechts setzen genau hier an. Diese Menschen wollen Andersdenkende und Anderslebende in Angst versetzen und zum Schweigen bringen. Das darf unsere Gesellschaft nicht akzeptieren.“