Der amerikanische Journalist Jeff Jarvis am Rande der Bloggerkonferenz re:publica in Berlin über die Chancen von gutem Journalismus
M | „Was würde Google tun? – Wie man von den Erfolgsstrategien des Internetgiganten profitiert“, heißt ihr Buch. Gibt es auch etwas, wo Sie sagen würden: Man sollte es auf keinen Fall so machen wie Google!
JEFF JARVIS | Ja, zuerst fällt mir China ein. Als Google das erste Mal nach China expandiert ist, haben sie ihre eigenen Prinzipien verletzt. Und ich bin froh, dass sie sich inzwischen wieder dazu bekannt haben. Ich wünschte, auch andere Unternehmen und Regierungen würden sich für die freie Meinungsäußerung der Chinesen stark machen. Von Google würde ich mir darüber hinaus wünschen, dass sie ihre Geschäftsbeziehungen zu Verlegern und Werbekunden transparenter machten. Sie haben versprochen, dies in Zukunft zu tun, nachdem sie kritisiert wurden. Außerdem: Produkte wie Wave und Buzz, die großes Potential haben, funktionieren noch nicht richtig. Also, Google ist menschlich und nicht unbesiegbar.
M | Wie viel Geld verdienen Sie eigentlich durch Google Ads, die Werbung, die sie mit Hilfe von Google auf ihrem Blog schalten?
JARVIS | Nicht viel! Ich glaube, letztes Jahr habe ich mit Google Ads so ungefähr 2.000 Dollar verdient, zu wenig um den Tagesjob aufzugeben. Aber ich habe Google-Aktien und die laufen ganz o.k.
M | Sehen Sie darin noch Wachstumspotential, so dass Sie irgendwann vom Bloggen leben könnten?
JARVIS | An der Graduierten Journalisten Schule der City Universität von New York, wo ich neue Geschäftsmodelle für Nachrichten lehre, haben wir uns intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Wir haben Blogger in den USA gefunden, die sich darauf spezialisiert haben, Kleinstädte mit 50.000 Einwohnern mit aktuellen Nachrichten zu versorgen. Sie verdienen mit ihren Blogs im Durchschnitt 200.000 Dollar im Jahr. In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass sie es sogar auf 350.000 Dollar bringen könnten. Ich glaube fest daran, dass es für Städte oder andere Spezialbereiche Potential gibt.
M | Sie waren selbst einmal angestellter Journalist und haben Ihren Job gekündigt. Warum wollten Sie lieber Blogger werden?
JARVIS | Ich habe als Journalist für die Chicago Tribune, den San Francisco Examiner, das People Magazine, für den Entertainment Weekly und die New York Daily News sowie für Condé Nast gearbeitet und habe dann gekündigt. Ich musste erfahren, dass Medienunternehmen einen unheimlich schmerzlichen Kostenkampf durchmachen, um sich in dieser postindustriellen digitalen Welt neu zu strukturieren. Ich glaube, die Zukunft des Journalismus liegt im Unternehmertum. Und ich möchte mit Menschen zusammenarbeiten, die diese neue Zukunft gestalten. Daher unterrichte ich an der Universität neue Geschäftsmodelle für Journalismus. Mit dem Bloggen habe ich während meiner Tätigkeit bei Condé Nast begonnen, denn ich war am 11. September am World Trade Center. Ich wollte eigentlich nur für ein paar Wochen über meine Erfahrungen schreiben, doch das Bloggen veränderte mein Leben und meine Karriere. Ich habe auf einmal einen ganz anderen Blick auf die Medien bekommen.
M | Sie prophezeien das Ende der Druckerpresse. Wie sieht es mit Büchern aus?
JARVIS | Ich denke, einige Bücher als auch die Printmedien haben ihren Platz in der Zukunft. Dennoch, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das industrielle Drucken haben sich geändert. Viele der gedruckten Zeitungen werden verschwinden. und ich glaube, dass auch viele Bücher nur noch digital erscheinen werden. Gleichzeitig ist das auch eine gute Möglichkeit, sie billiger zu verkaufen.
M | Aber heißt das auch, dass Autoren wie Sie davon leben können?
JARVIS | Ich gebe zu, dass es ein wenig geheuchelt ist. Wenn ich meine eigenen Regeln befolgt hätte, dann hätte ich kein gedrucktes Buch veröffentlichen dürfen, sondern alles digital ins Netz gestellt und für alle verfügbar gemacht. Aber ich wurde dafür bezahlt, ein Buch zu schreiben und mit gedruckten Büchern kann man noch Geld verdienen. Gott sei Dank! Lassen Sie uns aber nicht vergessen, dass auch heute nur sehr wenige Autoren vom Bücherschreiben leben können. Das wird in Zukunft sicher noch schwieriger. Ich denke, wir sollten neue Modelle finden. Ich glaube, dass es für ganz spezialisierte Autoren Möglichkeiten geben wird, ihr eigenes Buch ohne einen Verlag zu veröffentlichen und es selbst zu vermarkten. Immer schwieriger wird es allerdings – und das gilt für alle Medien – einen wirklichen Blockbuster zu produzieren, also große Aufmerksamkeit zu generieren.
M | Lassen Sie uns über den Journalismus reden. Jetzt, wo viele US-amerikanische Zeitungen ums Überleben kämpfen, wird da ein Mangel von Qualitätsjournalismus für Sie spürbar?
JARVIS | Es gibt darin einen großen Unterschied zwischen Deutschland und den USA. In Deutschland haben Sie diese wunderbare Kakophonie starker Stimmen in den Medien, denn hier gibt es einen nationalen Markplatz für Vielfalt. Das war in den USA sowieso nie der Fall. Aber wir haben uns an der Universität, an der ich unterrichte, mal versucht vorzustellen, was denn nun wirklich passieren würde, wenn in einer US-amerikanischen Großstadt tatsächlich ein großes Blatt schließt. Das, was wir jetzt schon sehen, ist das Entstehen eines gleichwertigen Systems mit verschiedenen Akteuren. Blogger versorgen Kleinstädte mit Nachrichten, neue Arten von Nachrichtenorganisationen entstehen. Ein großer Zeitungsverlag könnte vielleicht von zweihundert kleinen Medienunternehmen ersetzt werden. In der Zwischenzeit wird es natürlich Chaos geben und die Qualität wird unter der Neustrukturierung weiter sinken. Aber langfristig gesehen, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass der Markt die gleiche Anzahl von Journalisten tragen könnte, die weniger kosten und auf der anderen Seite viel enger mit ihrer Community verbunden sind. Und ich glaube, dass sich der Journalismus dadurch sogar verbessert.
M | Welche positiven Beispiele für ihr Szenario gibt es denn schon in den USA?
JARVIS | Politico, eine digitale Zeitung für Politikberichterstattung aus Washington, ist so ein Beispiel. Und ich berate ein Medium in den USA, das sich Journal Register nennt. Das war ein bankrotter Zeitungsverlag, den niemand mehr wahr genommen hat. Der neue Chef John Paton, der mit spanischsprachigen Zeitungen in den USA unheimlich erfolgreich gewesen ist, wird der digitalen Verbreitung den Vorrang geben. Er wird die alte Kostenstruktur soweit wie möglich los werden und Effizienz dadurch erzielen, dass er die Leser mehr mit einbezieht. Wir werden sehen, ob wir damit Recht behalten.
M | Aber wenn ihre Prophezeiungen auch für Deutschland eintreten und Zeitungen ihre Ressorts outsourcen und nur noch alles verlinken, so wie Sie das in Ihrem Buch vorgeschlagen haben, dann würden wir ja diese Vielfalt, die Sie gerade bewundern, verlieren. Liegt darin nicht ein Widerspruch?
JARVIS | Nein, wenn Verlage Mitglieder eines System unter Gleichen werden, wenn sie Teil eines Netzwerkes werden, dann wird es weiterhin Vielfalt geben. Wenn sich Verlage fragen würden: Was würde Google tun? Dann würden sie sich als Plattform ausbauen. Wir sind zwar hier auf der Bloggerkonferenz re:publica, aber die Bloggerwelt hat in Deutschland noch keine Maßstäbe wie in den USA gesetzt. Ich denke, auch deutsche Verleger können Netzwerke bilden und Leuten die Chance geben, neue Nachrichtenseiten ins Leben zu rufen. Die Verlage könnten diese Seiten dann verlinken und helfen, Werbung darauf zu schalten. Ansätze gibt es dafür schon beim Burda-Verlag und ihrer Investition in Glam, das auch als Netzwerkmodell funktioniert.
M | „Tu was Du am besten kannst und verlinke den Rest“, würde diese von Ihnen propagierte Strategie in den USA jetzt schon funktionieren? Gibt es denn schon so viele spezialisierte Angebote im Netz, dass man daraus eine Zeitung machen könnte?
JARVIS | Ja, es gibt davon schon eine Menge. Nehmen wir zum Beispiel die Technologieindustrie. Der Blog Techcrunch macht seine Aufgabe besser als jede Zeitung das könnte, weil er nur darauf spezialisiert ist. Die Washington Post übernimmt bereits Techcrunch-Beiträge und deckt diese Sparte gar nicht mehr selbst ab. Sie bietet ihren Lesern dadurch eine gute Berichterstattung über die Technologiesparte und spart eine Menge Geld ein. Techcrunch erhält im Gegenzug mehr Leser und kann sich mit dem Markennamen der Washington Post schmücken.
M | Lesen Sie selbst Zeitungen?
JARVIS | Ich lese jeden Tag die New York Times auf meinem iPhone. Meine Frau mag immer noch die gedruckten Zeitungen, aber wir haben die Zahl unserer Abonnements verringert. Früher einmal bezogen wir pro Tag fünf bis sechs Zeitungen, heute sind es nur noch drei. Generell lese ich keine gedruckten Zeitungen mehr, weil ich das sehr unbequem finde.
M | Besorgt Sie das aber nicht auch ein wenig? Immerhin zahlen Sie online und auf Ihrem iPhone für diese Inhalte nicht. Zeitungen finanzieren sich ja hauptsächlich durch ihre Druckausgaben, doch diese Einnahmen gehen weiter zurück. Sind Sie da nicht auch als Leser besorgt um die Zukunft Ihrer Lieblingsinhalte?
JARVIS | Doch sicher. Ich mag die New York Times und sorge mich um ihre Zukunft, aber ich denke, sie wird die Krise überstehen, denn sie ist die stärkste nationale Marke in der US-amerikanischen Zeitungslandschaft. Das Hauptproblem der mobilen Zeitungsinhalte ist, dass die darauf geschaltete Werbung sich für die Verlage nicht rechnet. Deswegen versuchen Verlage ihr Glück mit kostenpflichtigen Apps. Aber ich finde eine mobile Zeitungslandschaft, die nur auf Apps basiert problematisch, denn das würde die einzelnen Inhalte zu sehr einzäunen und das Verlinken sowie das intuitive Entdecken der Inhalte durch Surfen und Linkempfehlungen anderer behindern. Die Bedeutung der großen Zeitungsmarken könnte hinter diesen geschlossenen Mauern sinken und das besorgt mich mehr, als dafür nicht bezahlt zu haben. Journalismus beruhte schon immer auf einem Subventionsgeschäft entweder durch Werbung oder andere Geschäfte. Wir Leser haben vorher auch nie voll für den Journalismus gezahlt. Und ich glaube, online Geld zu verlangen, wird nicht funktionieren, denn es gibt viele Konkurrenten, die ihre Angebote immer kostenlos anbieten werden und Verlage müssen sich endlich mit dieser Realität abfinden. Auf der anderen Seite können die Kosten für den Journalismus und seine Produktion radikal gesenkt werden. Zum einen, weil die Kosten für Druck und den Transport wegfallen und zum anderen, weil man nach dem Prinzip: „Do what you do best and link to the rest“ nicht mehr alles selber produzieren muss. Wenn man sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert, dann steigt auch der Marktwert.
M | Wo sehen Sie die meisten Einsparungspotentiale?
JARVIS | Man kann viele Einsparungen vornehmen, zum Beispiel indem man keine Ressourcen verschwendet. Wenn in Washington die Political Conventions stattfinden, dann senden alle Medienunternehmen rund 15.000 Journalisten dort hin, obwohl nichts wirklich passiert. Und das was passiert, das hat man schon aus dem Fernsehen erfahren. Warum tun sie das? Wegen des Egos, um sagen zu können, dass sie ihre eigene Person vor Ort haben. Das ist wirklich eine Verschwendung, die man sich in solchen Zeiten nicht erlauben kann. Es gibt aber auch noch weitere Einsparungspotentiale. Nicht jede Zeitung in Amerika braucht zum Beispiel einen Golf- oder Kinokritiker. Man sollte sich vielmehr überlegen, was man am besten kann und genau das sollte man machen. Das größte Einsparungspotential liegt also in der Spezialisierung. Es gibt dabei nur ein Problem, wenn man all das befolgt, dann hat man am Ende ein viel schlankeres Unternehmen. Die Wallstreet weiß aber noch nicht viel damit anzufangen, denn an den Börsen werden Unternehmen nur nach Größe und Wachstum beurteilt. Ich glaube aber, dass das, was in der Medienbranche gerade abläuft, eine Vorschau für den Rest der Wirtschaftswelt ist. Die Kostenstrukturen werden weiter sinken. Das wird auch den Banken und dem Einzelhandel bevor stehen.