Der Streit über die Zukunft von ARD und ZDF verschärft sich. Manche reden von einer Akzeptanzkrise. Unter dem Eindruck des No-Billag-Referendums in der Schweiz diskutierten am 9. März in Berlin auf Einladung der Fraktion Die Linke im Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Politiker, Wissenschaftler und Journalisten über „Auftrag und Rolle der Medien in Zeiten des digitalen Wandels. Die Linke steht „für ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem, in dem die festen und freien Beschäftigten mehr und die Verwaltungen weniger zu sagen haben“.
Dazu bedürfe es mehr Mitspracherechte des Publikums, einer Demokratisierung der Rundfunkräte sowie mehr redaktioneller Mitbestimmung der Beschäftigten per Redaktionsstatuten. So steht es im Wahlprogramm der Linken für die vergangene Bundestagswahl 2017.
Doris Achelwilm, die neue Sprecherin der Linken-Fraktion für Medienpolitik sieht hierzulande „nach wie vor eine große Akzeptanz“ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Aber sie wünscht sich eine stärkere Schärfung des Bewusstseins für seine Leistungen. Von den Anstalten erwartet sie, dass sie „nicht nur auf die Quote schielen“. Sie selbst vermisst „mehr kulturelle Formate zur Prime Time“, wünscht sich eine längere Verweildauer hochwertiger Programme im Netz, mehr Diversität bei den Talk-Formaten und auch mehr Frauen-Themen.
Zuvor hatte der Mediensoziologe Volker Grasmuck in seinem Impuls-Referat die aktuelle Situation der Öffentlich-Rechtlichen und Grundzüge möglicher Reformen skizziert. Trotz vielfältiger Angriffe auf die Sender werde in jüngster Zeit wieder eine Zunahme des Medienvertrauens registriert. „Die Lügenpresse-Hysterie ebbt ab“, konstatierte er. Speziell das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei gestiegen, wohingegen die Glaubwürdigkeit des Internets beim Publikum „abgestürzt“ sei. Gleichwohl gebe es einen Reformbedarf, vor allem im digitalen Bereich. Entgegen den Bestrebungen der Verleger, die Öffentlich-Rechtlichen im Netz zu beschränken, plädierte Grasmuck dafür, den Online-Auftrag eher weiter zu fassen. Grasmuck begrüßte die im neuen Rundfunkstaatsvertragsentwurf vorgesehene Regel, wonach ARD, ZDF und Deutschlandradio ihre Telemedien (= digitale Inhalte) miteinander vernetzen sollten, insbesondere durch Verlinkung.
Plädoyer für eine breite gesellschaftliche Debatte
In der anschließenden Debatte bemerkte Karola Wille, Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks, der Erfolg der Schweizer No-Billag-Gegner biete die Chance, auch hierzulande eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu führen. Die Sender müssten klarmachen, dass sie Angebote für alle gesellschaftlichen Gruppen lieferten. Längst nicht allen Bürger_innen sei klar, dass sich um das Hauptprogramm der ARD eine ganze „Inhaltefamilie“ gruppiere: KIKA, Phoenix, 3sat und vieles mehr. Grundgedanke sei es, die gesamte Gesellschaft „frei von staatlichen und wirtschaftlichen Einflüssen im Programm“ abzubilden. Dieser Anspruch sei noch nicht in allen Bereichen erfüllt. So werde die Realität der Menschen im Osten Deutschlands nach wie vor nicht ausreichend gespiegelt.
Über die Bedürfnislage des Publikums gebe es kaum Studien, beklagte Christine Horz, Medienwissenschaftlerin an der Ruhr-Uni Bochum. Sie vermisst Untersuchungen zum „Public Value aus Nutzersicht“. Als eine Leerstelle im Programm nannte sie den unzureichenden Reflex auf die Entwicklung der Bundesrepublik hin zu einer „Migrationsgesellschaft“.
Viel Raum nahm in der Debatte die Forderung nach mehr Transparenz in den Sendern ein. Jörg Langer, Medienforscher und Gründer von Langer Media research & consulting, sieht dabei Defizite im ZDF und den meisten ARD-Landesrundfunkanstalten. Als „Leuchtturm“ in Sachen Transparenz bezeichnete er in dieser Hinsicht den MDR, der auf seiner Homepage regelmäßig Berichte zu Beteiligungen, Entwicklung, etc. publiziere. Er räumte ein, dass in einigen Bereichen das Wettbewerbsrecht der Transparenz auch Grenzen setzen könne.
Malte Krückels, Medienstaatssekretär Thüringens, bekannte sich zur Bestands- und Entwicklungsgarantie des ÖRR, auch „in neuen Vertriebsstrukturen“, also im Internet. Als Nutzer ärgere er sich manchmal über die gleichzeitige Ausstrahlung identischer Formate bei Privaten und ARD/ZDF, etwa bei hochkarätigen Sportereignissen. Auch in den Programmen der neun Landesrundfunkanstalten gebe es viele Doppelungen oder parallele Ausstrahlungen. Angesichts der Mediensituation in Thüringen mit der starken Print-Dominanz von Funke-Gruppe und Bild wünschte er sich mehr Regionales und Lokales im MDR.
Die offene Debatte unter Beteiligung des Publikums kreiste dann eher um Spitzengehälter von Senderhierarchen, um die soziale Unausgewogenheit identischer Rundfunkbeiträge für Niedrigverdiener und Wohlhabende sowie um die Qualität der Programmleistungen von ARD und ZDF. Medienwissenschaftlerin Christine Horz bedauerte, dass über den Rundfunk häufig nur unter der Kampfparole „Ich zahle nur, was ich nutze“, also aus einer Konsumentenhaltung gestritten werde. Nötig sei demgegenüber eine stärkere Fokussierung auf die „Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft“. Dazu könne es nützlich sein, wenn sich die Rundfunkgremien mehr öffneten. Sie regte die Einführung von Publikumsräten an, analog zu den „audience councils“ der BBC. MDR-Intendantin Wille verwies auf verstärkte Bemühungen ihres Senders, mit „Tagen der offenen Tür“ und ähnlichen Formaten den Dialog mit dem Publikum zu fördern.