Späte Einsichten des russischen Ministerpräsidenten oder nur Propaganda?
Mitte Januar kam es im Moskauer „Weißen Haus“, wo Wladimir Putin seinen Amtssitz hat, zu einem ungewöhnlichen Ereignis. Während einer Preisverleihung für kritische Journalisten umarmte der Premier den durch einen Überfall im November 2008 schwer gezeichneten ehemaligen Chefredakteur der Chimkinskaja Prawda, Michail Beketow. Der Journalist, dem Ärzte nach dem Überfall das rechte Bein und drei Finger amputieren mussten, geht heute an Krücken und kann nicht mehr sprechen.
In seiner Festrede erklärte Wladimir Putin, die Arbeit der Journalisten sei „sehr wichtig für alle Länder“. Im Gespräch erwähnte Putin später auch den in Syrien getöteten Fernseh-Reporter, Gilles Jacquier. Dass in Russland schon viele Journalisten ihre Arbeit mit dem Leben bezahlen oder brutale Überfälle ertragen mussten, erwähnte der Premier nicht. Putin sagte nur, zur Arbeit der Journalisten gehöre Mut, eine „Bürger-Position“ und Talent.
Der mit einem Preis ausgezeichnete Journalist Michail Beketow war durch sein Engagement gegen den Autobahnbau durch den Chimki-Wald nahe Moskau bekannt geworden. Durch den unerschrockenen Widerstand gegen die Zerstörung einer von Moskaus „grünen Lungen“ hatte der Journalist hohe Beamte und Geschäftsleute gegen sich aufgebracht, die sich von neuen Geschäftsansiedlungen große Gewinne versprechen. Experten meinen, dass diese Kreise auch hinter dem Überfall auf Beketow stecken.
Eine Bombe als Warnung
Unbekannte hatten Beketow im Mai 2008 vorgewarnt und eine Bombe in seinem Auto gezündet. Der Journalist beschuldigte den Bürgermeister der Stadt Chimki als Auftraggeber der Tat, worauf dieser Beketow wegen Verleumdung verklagte. Der Journalist wurde zu einer Strafe von 5.000 Rubel verurteilt, musste das Geld aber dann wegen Verjährung der Tat nicht zahlen.
Mehrere bekannte kritische Journalisten, die als Ehrengäste eingeladen worden waren, erschienen nicht zu der Zeremonie, bestritten aber, dass ihre Abwesenheit einen politischen Hintergrund gehabt habe. Die Leiterin der Umweltbewegung gegen die Abholzung des Chimki-Waldes, Jefgenia Tschirikowa, hatte die geplante Preisverleihung an Beketow bereits im letzten Jahr als „zynisch“ bezeichnet. Der Preis werde von Leuten verliehen, „welche das herrschende System aufgebaut haben“, begründete die Aktivistin ihre Kritik.
Nur Wahlkampftaktik?
Was der russische Premier bei der Preisverleihung erklärte, ist erstaunlich, denn bisher hatte Putin den Eindruck erweckt, kritischer Journalismus sei eher störend als nützlich. So hatte der frisch gewählte Präsident Putin nach seinem Amtsantritt im Jahre 2000 gleich dafür gesorgt, dass die Redaktion des Kreml-kritischen Fernsehkanals NTW ausgewechselt wurde. Nach dem Mord an Anna Politkowskaja im Oktober 2006, hörte man von Putin kein Beileid, sondern eiskalt: der Tod der Journalistin habe Russland mehr geschadet als ihre kritischen Artikel.
Doch angesichts der über 50 Millionen Internet-Nutzer in Russland, der nicht enden wollenden Protestbewegung gegen offensichtliche Wahlfälschungen und den nahenden Präsidentschaftswahlen, versucht sich der Ministerpräsident nun als Gralshüter der Demokratie zu präsentieren. So schrieb Putin in einem Grundsatzartikel für den Kommersant, die „Mechanismen der russischen Demokratie“ müssten „erneuert“ werden, da der Staat hinter der aktiven Zivilgesellschaft „zurückgeblieben“ sei.
Putins Lobeshymnen auf „mutige Journalisten“ und die „erwachsen gewordene Zivilgesellschaft“ hat jedoch da ihre Grenzen, wo er unpatriotisches Verhalten ausmacht. So kanzelte Putin bei einem Treffen mit russischen Chefredakteuren den Leiter des liberalen „Radio Echo Moskau“ Aleksej Wenediktow ab, weil „Echo Moskau“ die Gefahr der amerikanischen Abwehrraketen in Europa für Russland nicht anerkenne. Das Programm des Radio-Senders, der faktisch seit Jahren die Audio-Plattform der liberalen Szene in Russland ist, bezeichnete Putin als „Gequassel“.